Madame Sidonie in Japan
Isabell Hupper in "Madame Sidonie in Japan" (©Majestic/Celine Bozon)

Isabelle Huppert [Interview]

Deutsche Version

In Madame Sidonie in Japan (Kinostart: 11. Juli 2024) spielt Isabelle Huppert die Autorin Sidonie Perceval, die noch immer unter dem Verlust ihres Mannes zu leiden hat und mit ihrem Buch nicht weiterkommt. Als sie nach Japan reist für eine Promotour anlässlich einer Neuauflage ihres ersten Romans, lernt sie ihren Verleger Kenzo (Tsuyoshi Ihara) kennen, mit dem sie viel Zeit verbringt und dem sie nach und nach näherkommt. Gleichzeitig muss sie sich aber auch mit ihrer Trauer auseinandersetzen, als sie plötzlich ihren verstorbenen Mann Antoine (August Diehl) überall als Geist wiedersieht. Wir haben Isabelle Huppert bei der Deutschlandpremiere auf dem Filmfest München 2024 zum Interview getroffen und mit ihr über den Film, Trauerarbeit und Geister gesprochen.

Was hat Sie daran gereizt, diesen Film zu drehen?

Ich denke, dass die ganze Erfahrung ungewöhnlich war, weil es ein französischer Film ist, der in Japan gedreht wurde. Wenn Sidonie nach Südfrankreich gegangen wäre oder in ein anderes europäisches Land, wäre es nicht so interessant gewesen. Sie muss diese lange Reise machen. Denn nur, indem sie so weit weg geht, kann sie sich selbst finden. Das ist die Idee.

Ihr Film handelt von einer trauernden Frau. Warum ist es Ihrer Meinung nach wichtig, diese Trau zu zeigen und darüber zu sprechen?

Ich weiß nicht, ob es wichtig ist, aber ich fand es sehr schon, wie der Film damit umgeht, weil er von einer Trauer spricht, mit der Sidonie nie umgehen konnte. Sie hat es nie geschafft, diesen Kummer zu bewältigen. Und jetzt wird sie das endlich schaffen. Die Geschichte ist daher schon tragisch, gleichzeitig aber auch voller Hoffnung.

Warum hat dies so lange bei ihr gedauert? Warum konnte sie damit nicht umgehen?

Es gibt ganz verschiedene Einstellungen, die Leute reagieren da sehr unterschiedlich. Manche lernen es nie, mit dem Verlust eines geliebten Menschen umzugehen, andere sind nach zwei Wochen darüber hinweg. Sidonie ist durch diesen Verlust selbst gestorben, auch wenn sie noch am Leben ist. Aber ihr Instinkt sagt ihr, dass sie nach Japan gehen sollte. Ich liebe den Anfang des Films, wo sie fast das Flugzeug verpasst. Sie wünscht sich, das Flugzeug zu verpassen, und zu spät zu sein. Am Ende geht sie aber doch. Da ist also immer noch dieser Instinkt des Lebens in ihr.

Im Film existieren Trauer und eine neue Liebe Seite an Seite. Was war für Sie interessant dabei, dass diese beiden Gefühle sich treffen?

Es passiert letztendlich unerwartete. Das ist es, was es für mich so interessant gemacht hat. Die Chance war so gering, dass die beiden sich treffen. Es wäre viel wahrscheinlicher gewesen, dass sie jemanden in ihrem Umfeld in Paris trifft. Aber sie geht nach Japan. Sie reist so weit und findet dort jemanden und dabei sich selbst, was eine schöne Idee ist. Es ist auch eine gute Ermunterung zu reisen. Du solltest viel reisen, um auf diese Weise gute Menschen zu treffen.

Madame Sidonie in Japan
Die Autorin Sidonie (Isabelle Huppert) und Verleger Kenzo (Tsuyoshi Ihara) kommen sich näher. (©Majestic/Celine Bozon)

Sidonie und Kenzo sind zwei Seelen, die verletzt sind und sich finden. Wie schwierig war es, eine solche spezielle Verbindung mit so wenigen Worten auszudrücken?

Es war sehr einfach, weil Filme ein gutes Medium sind, um nichts zu sagen. Es ist das beste Medium, um die Stille zu hören und hörbar zu machen. Aber auch im Hinblick auf eine narrative Vorstellung. Es war eine gute Idee, dass er ebenso verletzt ist wie sie, wenngleich nicht aus denselben Gründen. Er ist ebenfalls verletzlich und schwach. Es ist gehaltvoller und komplexer auf diese Weise. Jeder hat seine eigenen Probleme, die er mit sich herumträgt.

In einer Szene gibt sie der lokalen Presse ein Interview zu ihrem ersten Buch und sagt, dass ihre persönlichen Erfahrungen ihr Schreiben beeinflusst hat. Das Buch war für sie eine Möglichkeit, mit dem umzugehen, was ihr zuvor geschehen ist. Können Sie sich damit identifizieren, Kunst zu nutzen oder zu kreieren, um das Leben zu verstehen?

Ja, auf jeden Fall! Ich denke, dass jeder, der ein Buch schreibt oder Filme dreht, autobiografische Elemente nutzt. Manche werden vielleicht nicht ausgesprochen oder sind geheim. Aber sie haben doch alle etwas Persönliches. Ansonsten würdest du das nicht tun oder es wäre zumindest sehr schwierig. Wenn meine Rollen mit fremd wären, wäre es schwierig für mich sie zu spielen. Ich brauche irgendeine Gemeinsamkeit, nicht unbedingt auf einer anekdotischen Ebene, sondern vielmehr einer emotionalen.

In manchen Szenen sieht Sidonie den Geist ihres verstorbenen Mannes und spricht zu ihm. Wie schwierig war es, diese Szene zu spielen?

Nicht sehr schwierig, weil da auch Szenen waren, in denen der Ehemann tatsächlich da ist und von August Diehl gespielt wird. Wobei die Szenen ohne ihn sogar noch einfacher waren. Ich habe dann einfach zu niemandem gesprochen und auch mit niemandem interagiert, so wie es von mir erwartet war.

Glauben Sie selbst an Geister?

Ich? Nein. Aber Élise Girard, die Regisseurin des Films, tut es.

Und haben Sie mal zu jemandem gesprochen, der bereits tot war? Nicht im Sinne eines Geists, sondern so, als wäre die Person noch da?

Ich denke schon, ja, das ist etwas, das sehr universell ist. Du kannst es einen Geist nennen oder etwas anderes. Aber wenn du jemanden verlierst, dann wird es immer wieder vorkommen, dass dieser Mensch in deinem Kopf herumspukt. Nicht jede Minute am Tag natürlich, sonst würdest du verrückt werden. Aber der Mensch ist da, selbst wenn er nicht körperlich da ist.

Wenn Sie eine beliebige tote Person als Geist treffen können, wen würden Sie auswählen?

Ich weiß nicht. Das ist nichts, womit ich mich beschäftige. Wenn ich mehr über einen Autor erfahren möchte, lese ich lieber seine Bücher. Ich würde ihn auf diese Weise treffen. Und wenn ich mir ein Gemälde anschaue, treffe ich den Maler durch seine Kunst. Das ist die beste Weise, sich das anzuschauen.

Der Film handelt auch von dem Aufeinandertreffen zweier Kulturen. Wie waren Ihre Erfahrungen, als Sie nach Japan gegangen sind? War es seltsam?

So seltsam wie für jeden anderen auch, der nach Japan geht. Auch wenn ich viele Male dort gewesen bin, entdecke ich doch noch immer diese Unterschiede. Aber das ist etwas Positives. Die Menschen dort sind so freundlich, das Land hat etwas sehr Süßes an sich. Und es ist sehr schön. Die Realität ist vermutlich nicht ganz so cool und nett, wenn du dort lebst und alles genauer anschaust. Aber es ist doch immer mit einem netten Gefühl verbunden, nach Japan zu gehen.

Élise Giard hat sehr enthusiastisch von dir gesprochen und eine glückliche Atmosphäre beschrieben. Sind das Ihre üblichen Erfahrungen oder hatten Sie auch schon schlechte Erfahrungen?

Das hängt sehr davon ab. Wenn ein Regisseur nicht weiß, was er will, kann es schwierig werden. Meistens sind es aber angenehme Erfahrungen, weil ich nur mit guten Regisseuren zusammenarbeite.

Wie würden Sie denn einen guten Regisseur beschreiben?

Das ist schwierig, in einem Wort zusammenzufassen. Vielleicht ist es jemand, der seine Schauspieler liebt. Oder er nutzt Filme als Sprache. Filme sind wirklich wie eine Sprache. Wenn die Sprache wirklich gut ist, dann kannst du sie hören und die Absicht dahinter verstehen.

Sie drehen viele Filme und führen ein Leben in der Öffentlichkeit. Nervt es Sie manchmal, so sehr im Blickpunkt zu stehen, Interviews zu geben und so weiter?

Zum Glück besteht nicht mein ganzes Leben daraus. Aber ich finde es interessant, Interviews zu geben, weil du auf diese Weise erfährst, wie andere auf deinen Film reagieren und was sie darüber denken.

Arthouse-Filme haben es inzwischen schwer, ein Publikum anzuziehen. Manche ziehen es einfach vor, zu Hause zu bleiben und Netflix oder so anzuschauen. Wie sieht es bei Ihnen aus?

Für mich bleibt ein Kinobesuch etwas Magisches. Wenn ich könnte, würde ich jeden Tag einen Film ansehen. Ein Kino zu betreten und sich darin einen Film anzuschauen, es gibt einfach nichts Vergleichbares. Und ich hoffe, das ist es auch für andere. Es ist selbst dann noch eine nette Erfahrung, wenn ich den Film gar nicht mag. Eine Erfahrung, die du so nicht hast, wenn du dir den Film daheim anschaust.

Ihre Tochter Lolita Chammah ist ebenfalls eine Schauspielerin. Wie haben Sie reagiert, als sie Ihnen von ihren Plänen erzählt hat? Haben Sie sie ermutigt?

Sie hat mir gar nichts von den Plänen erzählt. Aber bei mir war das auch so. Ich habe zu niemandem gesagt, dass ich Schauspielerin werden will. Ich wurde einfach eine. Für sie war das genauso. Wir haben zusammen La Vie moderne gedreht, ein sehr guter Film, in dem sie fantastisch war. Der Regisseur Laurence Ferreira Barbosa hatte sie aber nur zufällig getroffen. Sie hat in dem Film nicht einmal meine Tochter gespielt. Ich habe Élise übrigens getroffen, weil sie ihren vorherigen Film Drôles d’oiseaux mit meiner Tochter gedreht hat.

Welchen Ratschlag hätten Sie für junge Schauspielerinnen?

Nur den, neugierig zu sein. Sich Filme in Kinos anzuschauen zum Beispiel, anstatt auf einem Handy. Aber ich bin nicht sehr gut darin, anderen Ratschläge zu geben. Ich glaube nicht, dass ich viel beibringen könnte. Manchmal denke ich, dass ich bessere Ratschläge von ihnen bekommen würde als umgekehrt.

Nach all den Jahren und den großen Erfolgen, haben Sie Ihre Technik oder Ihre Einstellung gegenüber der Schauspielerei geändert?

Ich denke, dass das gleichgeblieben ist. Ich bin beispielsweise überrascht, wenn ich ein Kind schauspielern sehe. Du hast dann nicht den Eindruck, dass ihm jemand etwas beigebracht hat, und es tut das alles dennoch so, wie du es seit vielen Jahren tust. Wenn du spielst, dann ist es immer so, als würdest du es das erste Mal tun. Deswegen denke ich nicht, dass du wirklich etwas lernen kannst. Es ist immer eine neue Erfahrung.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person
Isabelle Huppert wurde als Kind bereits von ihrer Mutter zur Schauspielerei ermuntert, so wie ihre Familie allgemein sehr an Kultur interessiert war. Mit 18 stand die Französin das erste Mal vor der Kamera, erhielt sowohl für ihre Filme wie auch die Auftritte auf der Bühne viel Kritikerlob. 1976 wurde sie für Aloïse das erste Mal für einen César nominiert, den wichtigsten französischen Filmpreis. 1978 erhielt sie bei den britischen BAFTA Awards für Die Spitzenklöpplerin eine Auszeichnung als beste Newcomerin. In den folgenden Jahrzehnten avancierte sie zu einer der bedeutendsten französischen Schauspielerinnen, mit 16 César-Nominierungen, darunter 14 als beste Hauptdarstellerin, hält sie noch immer den Rekord.



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