Zwei entspannte Wochen bei der Familie, das ist es, was sich die Kinderbuchillustratorin Juliette (Izïa Higelin) erhofft, als sie Paris hinter sich lässt und in ihre alte Heimat fährt. Entspannend ist dabei aber nur wenig. Zwar gibt sich ihr Vater Léonard (Jean-Pierre Darroussin) Mühe, sie in seiner Wohnung willkommen zu heißen, leidet aber an einer zunehmenden Vergesslichkeit. Ihre Mutter Nathalie (Noémie Lvovsky) ist mit ihrem neuen Liebhaber beschäftigt. Bei ihrer Schwester Marylou (Sophie Guillemin), die mit ihrem Mann Stéphane (Eric Caravaca) und den beiden Töchtern lebt, ist sowieso mal wieder die Hölle los. Auf viel Verständnis für ihre eigenen psychischen Probleme braucht Juliette da nicht zu hoffen. Doch zu ihrem Glück ist da auch noch Pollux (Salif Cissé), der im Haus ihrer Großmutter Simone (Liliane Rovere) wohnt und bei dem sie sich zu Hause fühlen kann …
Adaption der bewegenden Graphic Novel
Mit Frauen, die ein wenig mit dem Leben hadern, kennt sich Blandine Lenoir aus. So erzählte sie in Madame Aurora und der Duft von Frühling von einer Frau in den Wechseljahren, die weder Job noch Mann hat und doch nach dem Glück sucht. Insofern verwundert es nicht wirklich, dass die französische Regisseurin Gefallen an der Graphic Novel Juliette: Gespenster kehren im Frühling zurück Gefallen hat. In dieser erzählt ihre Landsfrau Camille Jourdy von der titelgebenden Juliette, die von Paris in ihre Heimat fährt und dort auf ihre ebenfalls kriselnde Familie trifft. Wobei der Titel des Comics dabei bereits stärker andeutet, dass diese Rückkehr in den Schoß der Familie auch eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit bedeutet.
Die Adaption hält sich dabei in den Grundzügen eng an die Vorlage, behandelt viele gemeinsame Themen, manche Szenen sind eins zu eins übernommen worden. Lenoir, die auch am Drehbuch gearbeitet hat, ließ es sich aber auch nicht nehmen, einige Punkte umzuändern. Dass Juliette in der Filmadaption als Kinderbuchillustratorin arbeitet, führt zumindest dazu, dass es zwischendurch einige nette Bilder zu sehen gibt. Inhaltlich bringt das die Geschichte aber kaum voran. Andere Entscheidungen sind sogar bedauerlich, da sie die zutiefst bewegende Vorlage verwässern. Das zeigt sich gerade bei Pollux, der im Comic noch ein eigenes Schicksal haben durfte und erst durch seine Gebrochenheit zu einem Seelenverwandten der Protagonistin werden konnte. In Juliette im Frühling ist er einfach nur da. Auch Punkte wie die Demenz der Großmutter wurden entschärft, zugunsten eines heiteren Tons.
Zwischen Abgrund und Hoffnung
Das heißt aber nicht, dass alle ernsten Themen verschwunden sind. Zwei Schlüsselpunkte sind nach wie vor Teil der Geschichte und prägen diese maßgeblich mit. Da ist zum einen die Depression, unter der Juliette leidet und die von anderen nicht ernstgenommen wird. Auch da hatte der Comic etwas mehr zu bieten, der durch die Adaption an vielen Stellen gekürzt werden musste. Doch selbst in dieser Version ist Juliette im Frühling ein zuweilen bewegender Film, der sich nicht vor den Abgründen scheut. Und das gilt auch für ein zweites großes Familienthema, über das seit Jahrzehnten von niemandem gesprochen wurde und dem sich die Protagonistin nur nach und nach annähert, wenngleich das hier zufälliger geschieht als im Original, wo Juliette noch aktiv nach Antworten suchte.
Insgesamt hält der toll besetzte Film dabei die Balance aus bekömmlichen Szenen, die von den eher kuriosen Figuren leben, und solchen, bei denen sich Lenoir mit dem komplizierten Innenleben befasst. Einer der Höhepunkte ist dabei wie im Original das Verhältnis der beiden Schwestern, die sich lieben, teilweise aber nur wenig Verständnis füreinander aufbringen. Gerade die Szene, in der die zwei endlich einmal aussprechen, was sie ihr Leben lang beschäftigt hat, hat etwas Befreiendes – für die Figuren wie auch das Publikum. Damit behält Juliette im Frühling auch die Grundrichtung des Comics bei, der bei all dem bitteren Ballast mit einer positiven Botschaft endet, die Hoffnung spendet. Zwar weiß am Ende niemand in der Familie genau, wie es weitergehen wird und soll. Aber sie haben es geschafft, einen ersten wichtigen Schritt zu tun, und es wäre den zwar anstrengenden, aber sympathischen Figuren zu wünschen, dass ihnen noch viele weitere folgen werden.
OT: „Juliette au printemps“
Land: Frankreich
Jahr: 2024
Regie: Blandine Lenoir
Drehbuch: Blandine Lenoir, Maud Ameline, Camille Jourdy
Vorlage: Camille Jourdy
Musik: Bertrand Belin
Kamera: Brice Pancot
Besetzung: Izïa Higelin, Sophie Guillemin, Jean-Pierre Darroussin, Noémie Lvovsky, Eric Caravaca, Salif Cissé, Thomas De Pourquery, Liliane Rovere
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