Milch ins Feuer

Milch ins Feuer

Milch ins Feuer
„Milch ins Feuer“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Inhalt / Kritik

Katinka (Karolin Nothacker) wollte schon als Kind Bäuerin werden. Aber im Hohenlohischen, wo sich die 17-Jährige mit ihrer Mutter (Johanna Wokalek), dem älteren Bruder und den beiden Schwestern (Anne Nothacker, Sara Nothacker) um die Kühe und das Heu kümmert, erben nun mal ausschließlich die Männer den Hof. Und überhaupt würde es die Mutter viel besser finden, wenn Katinka eine Ausbildung beim Aldi oder im Schlachthof anfinge. Da verdiene man schließlich mehr. Dumm ist auch, dass Katinkas beste Freundin Carina (Pauline Bullinger) ausgerechnet mit Katinkas Bruder geschlafen hat. Das wären eigentlich starke Ausgangsbedingungen für ein veritables Drama. Aber Regisseurin Justine Bauer unterläuft in ihrem Debütfilm sämtliche Erwartungen auf erfrischend humorvolle Art. Ohne zu beschönigen, feiert sie das Dorfleben, einen unvergesslichen Sommer und vor allem: vier junge Frauen, die ihren eigenen Kopf haben. Auf dem Filmfest München gewann der Film den Förderpreis Neues Deutsches Kino in der Kategorie Produktion.

In Mundart und trotzdem verständlich

Es ist heiß und trocken, eigentlich die arbeitsreichste Zeit im bäuerischen Kalender. Aber Katinka trägt unter Bluse und Jeans immer Bikini oder Badeanzug. Denn das genießt sie am meisten: genau dann ins Wasser hüpfen zu dürfen, wenn man gerade Lust hat. Und obwohl Regisseurin und Drehbuchautorin Justine Bauer jeden einzelnen Handgriff des Kühe Melkens und des Treckerfahrens sehr detailgenau schildert, bleibt für die Schwestern und die Freundinnen viel Zeit für die Dinge, die man in diesem Alter eben gerne tut. Baden etwa, in der Sonne liegen, eine Party besuchen und den schlafenden Freundinnen eine Schnecke ins Gesicht setzen.

Auf die Gelassenheit und Lockerheit im Alltag dieser sehr selbstbewussten Nachwuchsbäuerinnen könnte man fast neidisch werden. Genau das beabsichtigt die Filmemacherin, die dieses Leben aus eigener Anschauung kennt. Aufgewachsen auf einer Straußenfarm, hat Justine Bauer den Film in ihrem Heimatdorf gedreht, fast ausschließlich mit Laiendarstellerinnen, in (verständlicher) Hohenlohischer Mundart und mit einer Anmutung, auf die das strapazierte Wort von der „Authentizität“ endlich einmal passt wie die Faust aufs Auge.

Will man über die vielen wunderschönen Eigenheiten dieses wahrheitsgetreuen, aber sich nicht dokumentarisch anbiedernden Films sprechen, muss man mit der Bildsprache anfangen. Schon das schmale 4:3-Format verrät einen Widerwillen gegen die typischen Landschaftspanoramen, in denen das bäuerliche Leben dem Kitsch fast zwangläufig ausgeliefert wäre. Schönheit sieht für die Regisseurin und ihren Kameramann Pedro Carnicer anders aus. Sie zeigt sich etwa in der bildfüllenden Großaufnahme der Großmutter, in den perlenden Bläschen des kleinen Badeteichs oder in zärtlichen Details von Füßen, Gesichtern, Händen. Kurzum: in einer Poesie, die die Härten des Landlebens in die Hoffnung auf eine selbstbestimmte Zukunft verwandelt, obwohl die Tristesse der Gegenwart ebenso anwesend ist. Sie tritt auf in Gestalt eines protestierenden Nachbarbauern, der grüne Kreuze in die Landschaft stellt und die nicht mehr profitable Milch ins titelgebende Feuer spritzt.

Den Spieß umgedreht

Männer sind ansonsten entweder abwesend in dieser Tragikomödie oder reden dümmliches Zeug. Diese Entscheidung begründete Justine Bauer beim Publikumsgespräch auf dem Filmfest München augenzwinkernd mit dem „Trick, den männliche Regisseure jahrzehntelang angewandt haben“ und den sie als Frau nun eben auch mal in Anspruch nehme. Den Zuschauerinnen und Zuschauern verriet sie zudem, dass Johanna Wokalek als einzige professionelle Schauspielerin einen Dialektcoach genommen habe, um sich nahtlos in die Riege der Laien einzureihen. Die Art der Kommunikation ist ein zusätzlicher Motor für den lakonischen Humor. Allerweltsätze werden so trocken vorgetragen, dass sie schon wieder komisch sind. Wesentliches bleibt dabei ungesagt. Man versteht einander auch ohne Worte, weil man denselben Rhythmus atmet, dieselben Dinge tut und in dieselben Kreisläufe eintaucht, die den bäuerlichen Alltag von jeher bestimmen.

Es ist also alles da, was man von einem Film über das Landleben erwarten würde. Und trotzdem ist alles ganz anders, bis hin zur sparsamen, klassizistisch angehauchten Musik (Cris Derksen), die nicht untermalt, sondern eigene Akzente setzt. Genau das bewirkt auch die eigenwillige, erstaunlich reife filmische Handschrift, deren ausgeprägter Stilwillen so gut mit dem unaufdringlichen Selbstbewusstsein der Freundinnen und Schwestern harmoniert. In den lose gestrickten, dramatisch nicht zugespitzten Alltagsepisoden schimmert etwas durch, was nicht behauptet, sondern unspektakulär gelebt wird: Dass die Männerherrschaft längt Risse bekommen hat und dass hier ein paar junge Frauen heranwachsen, die sämtlichen Widerständen trotzen.

Credits

OT: „Milch ins Feuer“
Land: Deutschland
Jahr 2024
Regie: Justine Bauer
Drehbuch: Justine Bauer
Musik: Cris Derksen
Kamera: Pedro Carnicer
Besetzung: Karolin Nothacker, Johanna Wokalek, Pauline Bullinger, Anne Nothacker, Sara Nothacker

Trailer

Kaufen / Streamen

Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.




(Anzeige)

Milch ins Feuer
fazit
„Milch ins Feuer“ erzählt von vier jungen Frauen, die im Dorfleben noch eine Zukunft sehen, allen Unkenrufen über das Bauernsterben zum Trotz. Regisseurin Justine Bauer setzt mit ihrem Debütfilm ein Ausrufezeichen, weil sie in knapp 80 Minuten alles ganz anders macht, als man es gemeinhin von einem Landfilm erwarten würde. Und dabei äußerst reiz- und humorvolle Akzente setzt.
Leserwertung0 Bewertungen
0
8
von 10