„Ich bin eine Außerirdische hier und möchte es bleiben“. Das sagte Petra Kelly über ihre Arbeit in der EU-Bürokratie. Aber die Formulierung lässt sich auch auf den Bundestag und zuletzt sogar auf ihre eigene Partei anwenden, die von ihr mitgegründeten Grünen. Im Rückblick scheint es, als sei die Friedens-, Umwelt-, Frauen-, und Menschenrechtsaktivistin ihrer Zeit voraus gewesen: in ihrem vernetzten Denken, in ihrer Internationalität und vor allem in ihrer Geradlinigkeit. Da ist es nur folgerichtig, dass Dokumentarfilmerin Doris Metz sie mit den heutigen Aktivistinnen visuell verbindet, in eindringlichen Parallelmontagen von Demonstrationen, die das Gestern und das Heute einer Welt zusammendenken, die von multiplen, miteinander zusammenhängenden Krisen geplagt wird. Bisherige Dokumentationen haben sich nur mit Petra Kellys tragischem Tod 1992 beschäftigt. Doris Metz hingegen präsentiert weniger eine historische Figur, sondern vor allem eine Lebendige, die wenigstens im Film wieder aufersteht. Auf dem Filmfest München gewann Petra Kelly – Act Now! den One-Future-Preis.
Geprägt durch Martin Luther King
Auftritt John Kelly, Petras Halbbruder: Er berichtet, wie wichtig die Familie für die in Deutschland und den USA Aufgewachsene war, als Kraftzentrum und sicherer Hafen. Wie bestürzt sie über den Tod von Halbschwester Gracie war, für den sie eine Überdosis Strahlentherapie verantwortlich machte. Und wie sie sich als Studentin für den gewaltlosen Widerstand in der Tradition von Martin Luther King begeisterte, wie sie im Wahlkampf-Team des wenige Monate später ermordeten Robert F. Kennedy mitarbeitete. Gerade dieser US-amerikanische Hintergrund gehört zu den weniger bekannten Facetten im öffentlichen Bild von Petra Kelly. Indem sie die frühen Wurzeln des politischen Engagements freilegt, trägt Regisseurin Doris Metz (Trans – I Got Life, 2021, gemeinsam mit Imogen Kimmel) wesentlich dazu bei, das Bild von der verbissenen, sturköpfigen Schnellrednerin zu korrigieren, als die sie oft erinnert wird. Sofern man sie nicht sowieso komplett vergessen hat.
Auf faszinierende Weise verbindet Petra Kelly – Act Now! zwei Blickrichtungen: die ins Gestern und die ins Heute. Zu Petra Kellys Vermächtnis gehören etwa ihr bedingungsloser Einsatz für Gewaltfreiheit, ihr frühes Engagement für die ostdeutsche Friedensbewegung, verbunden mit einem staunenswerten Einfluss auf Erich Honecker, sowie ihre Spiritualität, die sie mit dem Dalai Lama, den Indianern, aber auch dem Künstler Joseph Beuys teilte. Als zukunftsweisend arbeitet der Film vor allem die frühe Kombination von Ökologie und Feminismus, ihr Weltbürgertum und die Konfrontation mit unverhohlenem Hass heraus. Wenig bekannt ist bislang, wie heftig Petra Kelly von der rechten „LaRouche“-Bewegung verfolgt wurde. Wie man sie beleidigte, bedrängte und bedrohte. Und wie wenig die Polizei das damals ernst nahm. „Dass Frauen, die Machtfragen stellen, eine ungeheure Aggression auf sich ziehen, ist absolut kein neues Phänomen“, sagt Luisa Neubauer, Sprecherin von „Fridays for Future“ und eine der Interviewpartnerinnen im Film, die selbst von Hass-Reden betroffen ist. Aber Petra Kelly habe es viel härter erwischt als die heutigen Aktivistinnen, weil es damals noch kein Bewusstsein für das Problem gegeben habe.
Prägende Bilder
Neben Luisa Neubauer und John Kelly kommen im Film auch Ina Fuchs, Büroleiterin von Gert Bastian und Petra Kelly, sowie Milo Yellow Hair, indianischer Aktivist gegen Uran-Abbau, Lukas Beckmann, langjähriger politischer Vertrauter, und Otto Schily, Gründungsmitglied der Grünen und späterer SPD-Innenminister, ausführlich zu Wort. Die Auswahl der Gesprächspartner besticht aus mindestens drei Gründen: Weil sie viel Raum für Petra Kellys eigene Aussagen lässt, weil jeder Gesprächspartner einen wichtigen, jeweils unterschiedlichen Teil von Kellys Persönlichkeit abdeckt und weil ihre Zahl insgesamt so klein ist, dass sie dem materialreichen Film Luft zum Atmen lässt. Besonders das Gespräch mit Otto Schily ist verblüffend offen und frei von politischer Taktiererei. Obwohl Schily und Kelly inhaltlich oft gegensätzliche Positionen vertraten, spricht er von ihr überaus warmherzig, voller Bewunderung für ihr Charisma und ihre Fähigkeit, „Bilder zu prägen“, die die Menschen bewegten und mitrissen. Wie Produzentin Birgit Schulz im Presseheft schreibt, war es Otto Schily, der die Anregung zum Film gab. Und zur Bedingung für seine Teilnahme machte, Petra so viel wie möglich selber sprechen zu lassen.
Die großen Themenblöcke Atomkraft, Frieden, Umwelt, Feminismus, und Menschenrechte nahtlos zu einem Ganzen zu verschmelzen, das schaffte nicht nur Petra Kelly, sondern gelingt auch dem Film. Regisseurin Doris Metz bändigt die ungeheure Materialfülle durch eine Montage, die wie nebenbei einen roten Faden durch den Film legt. Dabei stellt sie ihre Protagonistin nicht auf einen Sockel, sondern lässt auch Schattenseiten anklingen. Etwa die schwierige Liebesbeziehung zum ehemaligen Brigadegeneral Gert Bastian oder die unvorstellbare Arbeitswut, die die Gesundheit der Aktivistin regelmäßig an den Rand des Abgrunds trieb. Insgesamt lässt der Film in vielen Passagen Raum für eigene Deutungen des Publikums, aber in einer Frage vertritt er eine unumstößliche Meinung: Petra Kellys viel diskutierter Tod sei kein Doppelselbstmord gemeinsam mit Gert Bastian gewesen, sondern ein Mord durch den Ex-Soldaten, der seine Lebensgefährtin im Schlaf erschossen habe.
OT: „Petra Kelly – Act Now!“
Land: Deutschland
Jahr: 2024
Regie: Doris Metz
Drehbuch: Doris Metz
Musik: Cico Beck
Kamera: Sophie Maintigneux, Tom Bergmann, Daniel Erb, Christine Maier
Ihr wollt mehr über den Film erfahren? Wir hatten die Gelegenheit, uns mit Regisseurin Doris Metz zu unterhalten. Im Interview zu „Petra Kelly – Act Now!“ unterhalten wir uns über die Arbeit an dem Dokumentarfilm und was das Besondere an der Regisseurin war.
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)