Sabbatical
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Sabbatical

„Sabbatical“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Inhalt / Kritik

„Du magst anstrengende Frauen“. Daran muss Tara (Seyneb Saleh) ihren Partner Robert (Trystan Pütter) inzwischen ausdrücklich erinnern. Denn in der Beziehung, aus der die sechsjährige Tochter Nia (Zoë Baier) hervorging, kriselt es seit langem. Eine einjährige Auszeit in Griechenland sollte Abhilfe schaffen. Aber jetzt, nach der Heimreise der Sommergäste und der Rückkehr des Winters auf die peloponnesische Halbinsel, frösteln die beiden nicht nur wegen der kaputten Heizung ihres großzügigen, direkt am Meer gelegenen alten Hauses. Die überraschende Ankunft von Roberts jüngerem Bruder Joni (Sebastian Urzendowsky) könnte eine willkommene Abwechslung bieten. Doch der Besucher setzt das rissige Paargefüge erst recht unter Spannung in dem facettenreichem, klug gebautem Familiendrama.

Spürbare Disharmonie

„Was hast du denn gegen die Garnelen“, fragt Tara ihren Mann gereizt, als die kleine Familie im nächsten Ort einkauft. Die kleine Nia schaut derweil in einer Mischung aus Neugier und Entsetzen auf die Augen der toten Fische, die auf dem Eis der Auslage liegen, in ihrer ganzen einstigen Pracht, noch nicht ausgenommen oder filetiert. Ausgerechnet eines dieser großen Exemplare kauft Robert, ohne auf den Protest seiner Frau oder die stumme Angst seiner Tochter zu achten, in traditioneller Macho-Manier, auch wenn das Paar ansonsten ein eher alternatives Leben zu führen scheint. Es liegt eine deutlich spürbare, aber schwer zu greifende Disharmonie über fast jeder Szene: ein Missklang, der sich in alles einschleicht, in jedes Gespräch, in jede Geste, in jeden Gesichtsausdruck. Regisseurin und Drehbuchautorin Judith Angerbauer registriert das in ihrem Regiedebüt mit unbestechlichem Blick, keineswegs kühl, aber doch ohne den Versuch, sich an den Illusionen zu beteiligen, die sich ihre Figuren über die heilsame Wirkung des einfachen Lebens fern der hektischen Metropole Berlin machen.

Judith Angerbauer arbeitet schon seit mehr als 20 Jahren im Filmgeschäft, bislang hauptsächlich als Drehbuchautorin. Diese Erfahrung kommt Sabbatical sehr zu Gute. Nur scheibchenweise lässt das Familiendrama Informationen einfließen, die zu einem besseren Verständnis der Charaktere beitragen. Trotzdem werden alle Akteure schon zu Beginn ihres ersten Auftretens komplex und lebensecht gezeichnet: durch die Art, wie sie reden, durch ihr Auftreten, und vor allem durch die Interaktion mit anderen. Selbst das Schweigen, das Nicht-Beantworten von Fragen verrät ungeheuer viel. So entsteht nach und nach ein dichtes Beziehungsgeflecht, zu dem auch die später eintreffenden Eltern von Robert und Joni beitragen. Vater Hans (Bernhard Schütz) lässt ahnen, warum seine Söhne so viel Stress miteinander und mit anderen haben. Mutter Marlies (Ulrike Willenbacher) versucht, den Laden zusammenzuhalten, gerät aber schnell an ihre Grenzen.

Wie unter einem Brennglas

Dadurch könnte man eher von einem Ensemblefilm sprechen als von einem Kleinfamiliendrama. Die feine Zeichnung der Beziehungen zwischen allen sechs Beteiligten gehört neben der feinfühligen Kamera (Michael Kotschi) zu den größten Stärken des Films – und ist augenscheinlich das, worauf es der Filmemacherin ankommt. Sie fühlt sich offensichtlich dem berühmten Diktum von Leo Tolstoi verpflichtet, dass sich glückliche Familien kaum voneinander unterscheiden, aber jede unglückliche Familie auf ihre ganz eigene Art unglücklich ist. Wie unter einem Brennglas seziert sie die Spannungen unter den Brüdern, deren je eigene Beziehung zu Vater und Mutter, das misstrauische Beäugen der Schwiegertochter und nicht zuletzt, welche Auswirkungen all das auf die kleine Nia hat, die unter nächtlichen Ängsten leidet, dem sogenannten „Pavor nocturnus“.

Das ist zuweilen so schmerzhaft wie das Leben selbst, gebiert aber manchmal einen Humor, der aus Kontrollsucht entsteht. Etwa wenn Vater Hans den „Familienrat“ einberuft, also den teils gefürchteten, teils gut gemeinten Versuch, die sich häufenden Probleme durch Gespräch und Rationalität zu bewältigen. Doch der Film weiß es natürlich besser, dass niemand Herr im eigenen Haus ist, wenn er – ohne zu psychologisieren – nach den Wurzeln der unbewusst weitergegebenen Konflikte und Bewältigungsmuster gräbt. Dabei gibt er keine Deutungen vor, sondern überlässt es dem Publikum, selbst eine Familienaufstellung vorzunehmen und dabei die eigenen Erfahrungen mit einfließen zu lassen. Denn das Drama, das in seiner Grundkonstruktion an Eine Million Minuten (2024) von Christopher Doll erinnert, überzeugt nicht nur durch sein starkes Drehbuch, sondern auch durch seine ebenso dezente wie anspielungsreiche Bildsprache, die auf präzise Details, emotional unterfütterte Landschaftsaufnahmen und beredte Metaphern setzt. Anders als der Kassenschlager mit Karoline Herfurth und Tom Schilling kommt das Regiedebüt von Judith Angerbauer keineswegs belehrend oder didaktisch daher.

Credits

OT: „Sabbatical“
Land: Deutschland
Jahr: 2024
Regie: Judith Angerbauer
Drehbuch: Judith Angerbauer
Musik: Ann Weller, Cheap Wedding
Kamera: Michael Kotschi
Besetzung: Seyneb Saleh, Trystan Pütter, Sebastian Urzendowsky, Ulrike Willenbacher, Bernhard Schütz, Zoë Baier

Trailer

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Sabbatical
fazit
„Sabbatical“ erzählt von einer Kleinfamilie, die ihre inneren Spannungen durch eine einjährige Auszeit in Griechenland zu lösen versucht. In ihrem ausgefeilten Drehbuch verdichtet Regisseurin Judith Angerbauer Probleme, die wohl jeder kennt, zu einem intensiven Beziehungsporträt zwischen drei Generationen.
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