Von „Raubkunst“ spricht man im Zusammenhang mit den Nazis oder dem Kolonialismus. Dass auch der Iran einem seiner berühmtesten Künstler hundert Gemälde weggenommen hat, ist weniger bekannt. Nickzad „Nicky” Nodjoumi musste 1980 um sein Leben fürchten, als das gerade erst installierte Mullah-Regime seine Bilder zunächst unbedingt ausstellen wollte, sie dann aber als Schande brandmarkte. Anhänger von Ayatollah Khomeini, dem neuen Herrscher nach dem Sturz des Schahs, stürmten das Ausstellungsgebäude. Der Maler musste Hals über Kopf in die USA fliehen. Was aus seinen Gemälden wurde, blieb 42 Jahre unbekannt. Aber 2022, als die Proteste nach dem Tod von Masha Amini losbrechen und der Slogan „Frau, Leben, Freiheit“ weltweite Aufmerksamkeit erlangt, schöpft auch Filmemacherin Sara Nodjoumi, die Tochter des Malers, Hoffnung. Gemeinsam mit ihrem Ehemann und kreativen Partner, Till Schauder, sucht sie nach den geraubten Werken des Vaters. Aus der Recherche wird neben dem Thrill konspirativer Undercover-Aktionen eine Reise ins Innere einer Künstlerfamilie, die unter dem Druck politischer Repression zerbrach.
Sanfter Rebell
Wenn Nicky Nodjoumi mit seiner Tochter spricht, steht er oft vor einer Leinwand mit dem Pinsel in der Hand. Kunst ist für den inzwischen 81-Jährigen ein Elixier, ohne das er nicht sein kann. Sie ist seine Art, mit dem Leben klarzukommen. Aber nicht als Fluchtmöglichkeit, sondern als Konfrontation mit der Realität und ihren Widersprüchen. Von jungen Jahren an bestimmt Politik sein Werk: erst der Protest gegen den Schah von Persien und seine westlichen Unterstützer, dann gegen Khomeini und gegen jede Art von Unterdrückung und Unrecht, insbesondere auch in den USA. Seine Bilder sind oft von Motiven aus der Zeitung inspiriert, Gewalt paart sich in ihnen mit alptraumhaften Situationen, aber auch mit Figuren aus persischen Miniaturen, mit nackten Körpern und mit Tieren, ebenso mit Pop-Art-Einflüssen. In seiner Kunst setzt sich Nicky Nodjoumi mit inneren Dämonen auseinander. Das habe ihn davon abgehalten, kriminell zu werden, sagt er einmal zu seiner Tochter. Tatsächlich erleben wir im Film einen sanften, nachdenklichen Mann, dessen Persönlichkeit im Kontrast zu den Motiven seines Werks steht.
Unzählige Werke sind über die Jahrzehnte entstanden. Und doch schmerzt der Verlust der hundert Gemälde aus dem Teheraner Museum der modernen Kunst so sehr, als sei dem Maler ein Teil seiner Identität abhandengekommen. Immerhin: Über einen Mittelsmann aus dem Iran erfahren die Filmemacher, dass zumindest ein Teil der Werke im Keller des Museums archiviert ist. Die geheime Suche gleicht einer Spionage-Geschichte. Namen werden ausgeblendet, Gesichter auf Bildschirmen verpixelt, und einmal spricht einer der Mittelsmänner eine unmissverständliche Warnung aus. Man möge die verdeckte Suche stoppen oder zumindest eine Pause einlegen, sie sei lebensgefährlich für die Kontaktleute im Iran.
Privates und Politisches
Vielleicht ist diese Unterbrechung mit ein Grund, dass die Filmemacher Sara Nodjoumi (in ihrem Regiedebüt) und Till Schauder (Der Iran Job, 2013), Wenn Gott schläft, 2017) das Politische mit dem Persönlichen verflechten und einen zweiten Erzählstrang in ihre Doku einziehen, der über weite Strecken noch fesselnder und berührender ist. Er handelt von den privaten Kosten des politischen Engagements. Saras Mutter Nahid Hagigat, selbst eine anerkannte Künstlerin, musste zurückstecken, um die Familie durchzubringen. Und Sara selbst ist fassungslos, als sie erfährt, wie der Vater die Familie 1979 im Stich ließ, um aus den USA, wo er schon einmal Zuflucht gefunden hatte, zurück nach Teheran zu gehen und an der Seite der Revolutionäre für den Sturz des Schahs zu kämpfen. „Hast du mich vermisst“, fragt die Tochter, die damals sieben war. „Nein“, antwortet der Vater der fassungslosen Regisseurin, die selbst zwei Töchter hat. Es ist einer der berührendsten Momente des Films.
A Revolution on Canvas vereint mindestens zwei Filme in einem. Der politische Erzählstrang macht mit der hierzulande wenig bekannten Kunst von Nicky Nodjoumi und Nahid Hagigat bekannt, deren Werke völlig zu Recht ausführlich präsentiert werden. Und er ist ein starkes Plädoyer für die Freiheit der Kunst, die von den religiösen Machthabern auf erschreckend brutale Weise unterdrückt wird. Dabei verhindert der private Erzählstrang, Nicky Nodjoumi zu einem Heiligen zu verklären, der unter großen persönlichen Verlusten gegen Diktatoren kämpfte. Aber die beiden narrativen Fäden greifen nicht in allen Momenten organisch ineinander. Immer mal wieder drängt sich der Eindruck auf, dass der Film nur deshalb zum privaten Drama springt, weil die Recherche nach den geraubten Gemälden gerade stockt. Dennoch funktioniert jeder Erzählfaden für sich genommen hervorragend. Und würde ohne Probleme eine eigene, abendfüllende Geschichte abgeben.
OT: „A Revolution on Canvas“
Land: USA
Jahr: 2023
Regie: Sara Nodjoumi, Till Schauder
Drehbuch: Sara Nodjoumi, Till Schauder
Musik: Sussan Deyhim
Kamera: Till Schauder
Tribeca Film Festival 2023
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