Die Trennung von seiner Freundin will der Polizist He Qiwu (Takeshi Kaneshiro) noch nicht wahrhaben und ist überzeugt davon, dass sie nach einem Monat, also am 1. Mai, wieder zu ihm zurückfindet. Um sich dies immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, kauft er jeden Tag in einem kleinen Laden in der Nähe seiner Wohnung eine Dose Ananas mit dem Verfallsdatum 1. Mai. Sollte sich sein Wunsch nicht erfüllen, will er alle 30 Dosen an diesem einen Tag essen und sich danach betrinken. An diesem Tag begegnet ihm auch eine geheimnisvolle Frau mit einer blonden Perücke (Brigitte Lin), die er auf einen Drink einlädt und in die er sich verliebt. Von den Annäherungsversuchen ihres Gegenübers will die Frau aber nichts wissen, denn sie hat ganz eigene Sorgen.
Auch 663 (Tony Leung Chiu-Wai) ist ein Polizist auf den Straßen Hongkongs. Die 663 ist die Nummer seiner Dienstmarke. Jeden Abend kommt er an einem Imbiss vorbei, der die ganze Nacht geöffnet hat und unterhält sich mit dem Besitzer über das Essen, das er seiner Freundin mitbringen will. Als er eines Abends davon erzählt, dass er von ihr sitzen gelassen wurde, fällt ihm zum ersten Mal Faye (Faye Wong), die neue, quirlige Mitarbeiterin im Imbiss auf. Auch sie hat ein Auge auf ihn geworfen, sodass es in den nächsten Tagen immer wieder zu Begegnungen und Gesprächen zwischen den beiden kommt. Um ihm darüber hinwegzuhelfen, dass er nun wieder alleine lebt, beschließt Faye, ihm bei der Hausarbeit zu helfen.
Nur 0,01 cm
Chungking Express ist der dritte Spielfilm von Regisseur Wong Kar-Wai und gehört neben In the Mood For Love und Happy Together sicherlich zu seinen bekanntesten und beliebtesten Werken. Unter den vielen Ehrungen, die der Film im Laufe der Zeit erhalten hat, ist vor allem die Nennung unter den besten Filmen aller Zeiten in einer Umfrage der Zeitschrift Sight&Sound zu erwähnen, bei der Chungking Express auf Platz 88 landete. Die Beliebtheit des Films kommt nicht von ungefähr, denn Wong hat nicht weniger als eine moderne und nach wie vor zeitgemäße Parabel auf Liebe und Leid in der Großstadt geschaffen, deren Figuren und Momente man nicht mehr vergessen kann, wenn man sie einmal gesehen hat. Darüber hinaus hat der Film biografische Bezüge, denn vor allem die erste Geschichte ist eine Anspielung auf Wongs Kindheit und Jugend zu verstehen, die er größtenteils in den dicht bewohnten und ewig geschäftigen Apartmentblöcken Hongkongs verbrachte.
Es braucht meist nur eine flüchtige Begegnung oder Berührung in Wongs Film, damit die Möglichkeit von Nähe und Liebe zustande kommt. Schon vor ihrer Begegnung in einer Bar haben sich Brigitte Lins und Takeshi Kaneshiros Figur getroffen, ohne von einander groß Notiz genommen zu haben. Wong hält diesen Moment in einer Zeitlupe fest, umgeben von den geschäftigen, neonbeleuchteten Straßen der Metropole, die wie ein Labyrinth wirken, in dem man sich schnell wieder verlieren kann. Nur 0,01 cm, so heißt es im Voice-Over, haben zwei Menschen getrennt, doch es kam nicht zu einem Kennenlernen und man ging wieder getrennte Wege. In Wong Kar-Wais Filmen kommt es immer wieder zu diesen Momente, doch er hat eine Bildsprache gefunden, welche die Chancen dieser Augenblicke einfängt, ihre Melancholie und ihre Romantik, während die Figuren teils noch nicht einmal merken, dass sie etwas Erstaunliches erlebt haben. In Zusammenarbeit mit Kameramann Christopher Doyle und Produktionsdesigner William Chang kreiert Wong Kar-Wai poetische, romantische Bilder, die tief berühren.
Zufälle und Begegnungen
Das schon erwähnte Labyrinth der modernen Großstadt wird in Wongs Filmen zu einer Metapher für die moderne Liebe sowie die Einsamkeit. Wenn eine Figur sich Zugang zu der Wohnung einer anderen verschafft und beginnt, diesen Raum nicht nur aufzuräumen, sondern zu verändern, haben wir viel über das Innenleben dieser Charaktere gelernt, ohne dass wir langen Dialogen folgen mussten. Dass wir dabei wieder einmal California Dreaming von The Mamas and the Papas hören, rundet das Bild ab und deutet zugleich auf eine Sehnsucht hin, zu einem anderen Lebensgefühl vielleicht, zu einer anderen Welt oder einem Ende der Einsamkeit.
Dem Ensemble, das Wong vereint, gelingt der Balanceakt zwischen der Komik der Figuren und ihrer Emotionalität. Kaneshiro und Leung als Polizisten sollen Symbole für Ordnung sein, doch ihr Leben ist in einer solchen Unordnung, dass sie bereit sind, sich auf ein Risiko, eine Wette mit sich selbst einzulassen, damit ihre Welt wieder eins wird. Lin wirkt ebenso verloren und wirkt wegen der blonden Perücke so fehl am Platz, sodass ihre Suche in den labyrinthischen Gassen der Großstadt wie eine Allegorie auf ihren Gefühlszustand wirkt. Lediglich Faye Wong spielt eine Figur, die etwas mehr zurecht kommt in diesem Großstadtdschungel, was ihren Szenen eine gewisse Leichtigkeit, Komik und etwas Anarchisches verleiht, sodass ihr Charakter wohl den meisten Zuschauern im Gedächtnis bleiben wird.
OT: „Chunghing Sam Lam“
Land: Hongkong
Jahr: 1994
Regie: Wong Kar-Wai
Drehbuch: Wong Kar-Wai
Musik: Frankie Chan, Roal A. Garcia
Kamera: Christopher Doyle, Andrew Lau
Besetzung: Brigitte Lin, Takeshi Kaneshiro, Tony Leung Chiu-Wai, Faye Wong
Amazon (Mediabook „Chungking Express“)
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