Dan Johnstone und Castor Fernandez sind US-amerikanische Regisseure und Produzenten. Beide verfügen über sehr viel Erfahrung durch ihre Mitarbeit an Dokumentation sowie Miniserien. Johnstone ist zudem Gründer von Breaklight Pictures, einer Produktionsfirma, mit der er unter anderem Projekte wie American Cartel, Detective Diaries und Hillsong: A Megachurch Exposed realisierte. Darüber hinaus war Johnstone bei der Entwicklung von Dokumentationen zu dem Zodiac Killer (The Hunt for the Zodiac Killer) und dem Attentat auf John F. Kennedy (JFK Declassified: Tracking Oswald) beteiligt.
Auch Castor Fernandez hat an mehreren Projekten mitgewirkt, die sich mit US-amerikanischer Geschichte und der Unterwelt befassen. Dazu gehören Dokumentationen wie Brothers in Exile, Dark Horses und Clemente Effect. Darüber hinaus arbeitete er an zahlreichen Produktionen für Discovery Channel, Discovery ID, History Channel und PBS.
Für die vierteilige Mini-Doku-Serie Cowboy Cartel, die seit dem 2. August 2024 auf Apple TV+ zu sehen ist, arbeiten Fernandez und Johnstone das erste Mal zusammen. Erzählt wird die unglaubliche Geschichte eines FBI-Agenten, der, frisch von der Akademie entlassen, über eine Geldwäsche-Operation stolpert, die schließlich den Fall eines der größten und gefährlichsten Drogenkartelle Mexikos einläutete.
Anlässlich des Streamingstarts von Cowboy Cartel sprechen Johnstone und Fernandez über das Leben an der US-mexikanischen Grenze, ihre Quellen und inwiefern die Geschichte noch heute relevant ist.
Die Geschichte, die ihr in Cowboy Cartel erzählt ,ist so unglaublich, dass man meint, sie sei eine Mischung aus Scarface und True Crime. Wie seid ihr zu dieser Geschichte oder zu diesem Projekt gekommen?
Castor Fernandez: Das ist ein schöner Vergleich, wobei wir immer von Gefährliche Brandung an der US-mexikanischen Grenze gesprochen haben.
Als ich an Dark Horses arbeitete, meinte ein Freund zu mir, er habe eine weitere, unglaubliche Geschichte für mich, in denen Pferde auch eine Rolle spielen würden. Dan hatte gerade ein Projekt mit dem Titel American Cartel abgeschlossen und war also noch voll im Thema drin. Es war nur logisch für mich, dass ich mit der Idee zu Cowboy Cartel zu Dan ging.
Man meint als Zuschauer, man habe schon alles zu diesem Thema gehört, aber Cowboy Cartel liefert einen Aspekt und eine Perspektive, die wirklich neu, spannend und interessant ist.
Die Autorin Melissa del Bosque, auf deren Sachbuch Bloodlines: The True Story of a Drug Cartel: the FBI, and the Battle for a Horse-Racing Dynasty die Serie basiert, sagt dass diese Geschichte sowohl eine US-amerikanische wie auch eine mexikanische sei. Wie seht ihr das?
Dan Johnstone: Mit Cowboy Cartel wollen wir unserem Zuschauer zeigen, wie allgegenwärtig diese Drogenkartelle sind und dass sie keineswegs nur ein mexikanisches oder nur ein amerikanisches Problem sind. Jeder kennt die Gewalt, die von ihnen ausgeht, entweder aus Filmen, aus Dokumentationen oder Berichten in den Nachrichten, aber nur wenige haben eine Ahnung von dem, was sich darunter befindet. Kartellen geht es immer um Macht und Einfluss, wobei Gewalt ein Ausdruck dieses Strebens danach ist. In jedem Land versuchen sie sich in wirtschaftliche und politische Prozesse einzumischen, natürlich auf Dauer. Wenn sie erfolgreich sind, bestimmen sie das Geschehen in einem Ort, einer Stadt oder gar in einem ganzen Land mit. Wenn man das begreift, merkt man, dass Cowboy Cartel eine Geschichte erzählt, die alle etwas angeht.
Scott Lawson, der FBI-Agent, der maßgeblich an dem Fall mitarbeitete, erklärt, dass dieser ein Beispiel dafür sei, dass man den Kartellen vor allem mittels „Papier“, „Quittungen“ und natürlich der „Spur des Geldes“ beikommen kann. Wieso ist es nach wie vor so schwierig, den Kartellen mit Beschuldigungen wegen Mordes oder Erpressung beizukommen?
Dan Johnstone: Diese Art der Ermittlung ist nach wie vor die effektivste, weil sie die Kartelle da trifft, wo es ihnen am meisten weh tut, ihrem Portemonnaie. Spätestens wenn sie Geld über die Grenze in die USA bringen, hinterlassen sie eine Spur, die man nachverfolgen kann. Blutspuren an einem Tatort kann man wegwischen, aber bei den Spuren, die Geld hinterlässt, ist das nicht so einfach. Die Kartelle müssen sich also etwas einfallen lassen, wenn man nicht merken soll, dass sie Geld mit dem Handeln und dem Schmuggeln von Drogen verdienen. Hier können Ermittler wie Lawson ansetzen.
Castor Fernandez: Es ist doch bezeichnend, dass Al Capone nie verhaftet wurde, weil er unzählige Morde begangen hat oder den Auftrag für diese gab, sondern weil er Steuern hinterzogen hat. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass, wenn man das Geld und damit den Einfluss einer verbrecherischen Organisation wie einem Kartell angreift, es für einen sehr gefährlich werden kann. Ich würde sogar so weit gehen und behaupten, dass man noch viel eher in Gefahr ist als bei einem Schusswechsel mit einem der unzähligen Handlanger des Kartells.
Laut Amnesty International sind seit 2000 141 Journalisten in Mexiko umgekommen, weil sie Geschichten um die US-mexikanische Grenze oder die Kartelle verfolgten. Vor dem Hintergrund solch erschreckender Zahlen, wie habt ihr dennoch Menschen gefunden, die über Drogenkartelle und ihre Machenschaften sprechen wollen?
Dan Johnstone: Für Cowboy Cartel haben wir auf viele Quellen und Zeugen zurückgegriffen. Viele von ihnen leben und arbeiten noch heute in der Nähe der Grenzregion, die wir in der Serie zeigen, weshalb wir ihre Aussagen zwar aufnahmen, sie aber nicht vor der Kamera zu sehen sind. Das gilt natürlich besonders für alle Mitglieder des FBI oder der DEA, die wir befragten.
Die Begegnungen, die wir im Zuge der Recherche für die Serie und während der Dreharbeiten machten, waren nicht nur sehr wichtig, sondern sehr erhellend für uns beide. Mexikanische Journalisten haben uns ihre Geschichten erzählt und wie sie noch heute mit der Angst leben, eines Tages zum Ziel des Kartells zu werden.
Jedoch waren alle Menschen, mit denen wir geredet haben, der Meinung, dass diese Geschichte es verdient hat, dass man sie erzählt: Scott Lawson ist noch immer ein aktiver FBI-Agent, der an der US-mexikanischen Grenze arbeitet, und für ihn stand fest, dass man diese komplexe Geschichte erzählen muss, weil sie vielen Menschen die Augen öffnet für das eigentliche Problem.
In der Geschichte spielt der Gegensatz zwischen der US-Stadt Laredo und Nuevo Laredo auf der mexikanischen Seite eine besondere Rolle. Nur ein paar Meter breiter Fluss trennt die beiden Gemeinden und doch könnte der Kontrast nicht krasser sein. Was habt ihr über das Leben in diesen beiden unterschiedlichen Welten durch die Arbeit an Cowboy Cartel gelernt?
Dan Johnstone: Laredo und Nuevo Laredo trennen wirklich nur ein paar Meter voneinander. Es gibt in Cowboy Cartel die Aufnahmen von einer Familie, die ihren Verwandten, die auf der anderen Seite und damit in Mexiko stehen, zuwinkt. Sie sind so nah und doch so weit voneinander entfernt, was unter anderem mit den Kartellen zu tun hat. Ich finde, dieser Moment zeigt deutlich, welchen Einfluss diese Organisationen auf das Leben einfacher Menschen haben, wie wir es schon erwähnt haben.
Ich denke, dieses Bild fasst gut zusammen, was wir unserem Zuschauer zeigen wollen. Es geht nicht allein um die Kartelle oder um Gewalt, sondern um Geld, Einfluss und Macht. Es geht darum, wie Gemeinden und Familien gefährdet oder sogar auseinandergebracht werden. Man meint vielleicht, die ganze Geschichte der Kartelle und ihrer Macht zu kennen, doch Cowboy Cartel soll zeigen, dass dem nicht so ist.
In Cowboy Cartel greif ihr nicht nur auf viele Interviews zurück, sondern auch auf eine Vielzahl von Archivmaterial. Wie lange hat es gedauert, bis die narrative und formale Struktur der Serie stand?
Castor Fernandez: Das hat durchaus eine Weile gebraucht, alleine weil die Geschichte so komplex ist. Es war uns beiden wichtig, die Menschen in den Vordergrund zu stellen, die gegen die Kartelle gekämpft haben, ob durch ihre Ermittlungen oder durch ihr Artikel in Zeitungen und Magazinen. Die narrative Struktur hatten wir also schon durch die Berichte dieser Menschen, und die schwierigste Aufgabe war es, zu entscheiden, was wir schneiden mussten. Ansonsten wäre Cowboy Cartel mehrere Stunden lang.
Wie der Titel der Serie schon andeutet, geht es um Kartelle, aber auch um Pferde und Pferderennen. Könnt ihr etwas zu der besonderen Rolle der Pferde in der mexikanischen Kultur sagen?
Castor Fernandez: Die mexikanische und die US-amerikanische Geschichte sind eng miteinander verwoben. Das merkt man beispielsweise an der Rolle von Pferden. In Amerika spricht man von Cowboys, in Mexiko spricht man von vaqueros. In Amerika verbindet man Pferde mit der Erschließung des Landes oder mit Wettbewerben wie einem Rodeo. Das ist in Mexiko nicht viel anders. Wenn Menschen zusammenkommen, die Pferde besitzen, geht es immer darum, wie schnell die Pferde sind und ob sie in einem Rennen gegeneinander antreten sollen. Diese Unterhaltung könnte in den USA genauso wie in Mexiko spielen.
Vielen Dank für das interessante Gespräch.
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