„Frauen wollen Menschen werden, Männer wollen was erreichen“. Das schrieb die aus Österreich stammende DDR-Schriftstellerin Maxie Wander in einem Brief an ihre Freundin. Der Satz ist universell. Er wird im Westen genauso gut verstanden wie im Osten. Das heißt aber keineswegs, dass Dokumentarfilmer Torsten Körner, der diesen Satz ans Ende seiner Fortsetzung von Die Unbeugsamen (2020) stellt, den Nachfolger mit dem Titel Die Unbeugsamen 2 – Guten Morgen, ihr Schönen in Richtung Ost-West-Gleichmacherei verwässern wollte. Ganz im Gegenteil. Während sich der erste Teil komplett auf 14 Politikerinnen der Bonner Republik konzentriert, liefert der Filmemacher nun das ostdeutsche Gegenstück. Zu Wort kommen zwölf Frauen aus der ehemaligen DDR, nicht in erster Linie Politikerinnen, sondern vor allem Künstlerinnen, Schauspielerinnen und Frauen aus den Betrieben. Sie erzählen, was sie vermisst haben an Gleichberechtigung in einem Staat, der formell die Emanzipation auf seine Fahnen schrieb. Genau diese Lücken verbinden ihre Erfahrungen mit Geschlechtsgenossinnen auf der ganzen Welt. Und so wird der Doppelcharakter des Films – höchst konkret und zugleich allgemein zugänglich – zu seiner größten Stärke.
Katrins Hütte
Stahlwerk Maxhütte in Thüringen: Ein riesiger Block glühenden Metalls gleitet durch die gigantische Halle, aufgehängt an einem Deckenkran. Die Arbeit in der Gießerei gehört zu den körperlich anstrengendsten und war jahrzehntelang nur Männersache. Aber an einem Schaltpult sitzt die junge Katrin Seyfarth und gibt den Kollegen Anweisungen. Sie bestimmt als „1. Blockwalzerin“ den Rhythmus und die Qualität der Produktion. Nach ihrer Pfeife tanzen gestandene Stahlwerker in schweren Schutzanzügen. „Früher haben die Arbeit nur Männer gemacht“, sagt die junge Frau. „Ich bin hier erst die zweite Frau und die erste Jugendliche“. Das Interview stammt aus dem Dokumentarfilm Katrins Hütte von Joachim Tschirner, dessen Dreh 1986 begann. Knapp vierzig Jahre später sitzt Katrin Seyfarth wieder vor der Kamera, dieses Mal vor der von Torsten Körner. Sie erzählt belustigt von ihrem ersten Einsatz als Lehrling – und wie ihr ein Kollege Ohrfeigen androhte, wenn sie weiter so viele Fehler mache.
Schon an diesem kleinen Beispiel wird die Bandbreite des Frauenalltags in der DDR deutlich. Hier die vorbildliche Förderung von weiblichen Talenten, dort das Macho-Gehabe. Hier das Gesetz über die volle Gleichberechtigung von Mann und Frau im öffentlichen und privaten Raum von 1950, dort die exklusive Männerriege des Politbüros. Nicht einmal Bildungsministerin Margot Honecker wurde in diesen erlauchten Kreis der Mächtigen aufgenommen. Von den Widersprüchen und Gegensätzen lebt Torsten Körners (Angela Merkel – Im Lauf der Zeit, 2022) bunter Rückblick in eine Zeit, die lange Zeit nur grau in grau gezeichnet wurde. Träume treffen bei Körner auf Wirklichkeit, Sehnsüchte auf Beharrungskräfte, Selbstermächtigungen auf Widerstände. Noch stärker als in Die Unbeugsamen (erster Teil) entsteht aus den Berichten der Frauen ein vielgestaltiges, komplexes Bild. Und zwar mit durchaus selbstbewussten Facetten, wie der zitierte DEFA-Hit Solo Sunny (1980) von Konrad Wolf zeigt, mit seiner berühmten Botschaft an den verdutzten Mann nach dem One-Night-Stand: „Is‘ ohne Frühstück“.
Es ist sehr verständlich, dass Verleih, Produktion und Filmemacher mit dem Fortsetzungstitel an den Erfolg der ersten Doku über die Bonner Republik anknüpfen wollen. Schließlich war Die Unbeugsamen einer der publikumsstärksten Dokumentarfilme der letzten Jahre. Aber zugleich legt die Ziffer „2“ eine falsche Fährte. Denn der Regisseur konnte das Konzept des Vorgängers nicht einfach auf Ostdeutschland übertragen. Schon allein, weil die weiblichen Abgeordneten der Ost-Berliner Volkskammer nicht frei ihre Meinung sagen durften. Ein anderer Ansatz musste also her, weg von einer homogenen Berufsgruppe hin zum Querschnitt durch mannigfache Erfahrungen und Meinungen, Qualifikationen, politische Einstellungen und vor allem: Beziehungen zu Männern, beruflich und privat.
Die Weite des Blicks tut dem Film ausgesprochen gut. Dennoch – oder vielleicht deswegen – hält er sein Material souverän zusammen, überfrachtet es nicht mit Redebeiträgen, sondern lässt Raum für Ordnung, Schönheit und einen Schuss Unterhaltung. Manchmal scheint es gar, als habe Torsten Körner hier die typisch weibliche Herausforderung am eigenen Leib erfahren: Mehr leisten zu müssen als andere, weil er erstens keine Frau und zweitens kein Ostdeutscher ist – und somit unter identitätspolitischen Gesichtspunkten doppelt beweisen musste, dass er mit dem Thema klarkommt.
Anmache einmal anders
Vor allem die mit Songs und Schlagern unterlegten Montagesequenzen schwelgen in einer Schaulust, die häufig an den teils kitschigen, teils nostalgischen, aber immer farbenfrohen Wandgemälden im öffentlichen Raum hängenbleibt. Zudem geht Körner keiner Anekdote aus dem Weg – vor allem, wenn sie über ein Schmunzeln hinaus Erhellendes bietet. So erzählt zum Beispiel die Historikerin und Journalistin Annette Leo, wie sie und ihre Freundinnen beschlossen, das typische „Anmach“-Verhalten der Männer einmal umzudrehen. Sie stiegen mit einem Abteilungsleiter in einen Fahrstuhl, lobten seine Hose und wie vorteilhaft sich sein Hintern darin abzeichne. Der Mann wusste nicht, wie ihm geschah, flüchtete mit hochroten Kopf aus dem Fahrstuhl und verschwand kommentarlos in seinem Büro.
Inspirieren ließ sich der Film, der sich wie ein Mosaik aus ganz vielen Teilen zusammensetzt, von der eingangs zitierten Maxie Wander und ihrem Porträtband Guten Morgen, du Schöne von 1977. Darin interviewte die Autorin Frauen unterschiedlicher Herkunft, die von ihren Alltagserfahrungen, ihren Befindlichkeiten und Wünschen erzählten. Ähnlich wie das Buch gibt auch der Film keine Haltung vor, bleibt deswegen aber keineswegs beliebig. Er würdigt die Errungenschaften der DDR-Frauen, die dank eines eigenen Berufs in den seltensten Fällen von ihren Männern abhängig waren. Er stellt sich aber zugleich hinter die Erkenntnis des „Frauenreports 90“ (wenige Tage vor der Wiedervereinigung veröffentlicht), dass es „in der DDR keine wirkliche Gleichberechtigung der Frauen gegenüber den Männern gab“. Es bleibt also in beiden Teilen Deutschlands viel Luft nach oben.
OT: „Die Unbeugsamen 2 – Guten Morgen, ihr Schönen!“
Land: Deutschland
Jahr: 2024
Regie Torsten Körner
Drehbuch: Torsten Körner
Musik: Cassis B Staudt
Kamera: Anne Misselwitz
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