Als Daniel Bigeault (Andranic Manet) 1983 aus den USA nach Frankreich zurückkehrt, ist er noch immer geflasht von seinen Erlebnissen im Ausland. Vor allem der Hip-Hop, der dort auf dem Vormarsch ist, hat es ihm angetan. So angetan, dass er unbedingt als DJ arbeiten will. Doch das ist alles nicht so einfach wie gedacht. Denn bislang weiß in seiner alten Heimat niemand etwas von dem neuen Musiktrend. Dabei sind es auch andere, die zunehmend von der Musik und dem damit verbundenen Lebensgefühl begeistert sind. Bruno Lopes (Anthony Bajon) etwa ist vom Anblick einiger Breakdance-Tänzer so begeistert, dass er es ihnen unbedingt gleichtun will. Dabei ist der Zeitpunkt ungünstig, könnte er doch auf ein renommiertes Fußballinternat, wofür er sein ganzes Leben trainiert hat. Seine Eltern halten von den Plänen deshalb auch nichts, ebenso wenig der Vater von Didier Morville (Melvin Boomer), der gleichzeitig seine Leidenschaft fürs Tanzen entdeckt hat …
Milieustudie trifft Zeitporträt
In den letzten Jahren hat es nicht wenige Produktionen gegeben, die sich mit dem Leben in den französischen Vorstädten beschäftigten. Die Geschichten sind meist bitter, von Wut und Perspektivlosigkeit geprägt, erzählen von jungen Menschen, die zwischen Armut und Kriminalität aufwachsen, zwischen Polizeigewalt und Rassismus. Das bekannteste Beispiel dürfte Die Wütenden – Les Misérables sein, das sogar für einen Oscar im Rennen war. Aber auch Athena war mit einem ähnlichen Szenario sehenswert, vor allem die mehrminütige Plansequenz zu Beginn hat es in sich. Vergleichbar explosiv wird es in Die Welt von morgen nicht. Dafür ist die auf arte ausgestrahlte Serie zu ruhig. Zu erzählen hat sie dabei jedoch eine Menge.
So nimmt sie einen – dem Titel zum Trotz – mit in die Vergangenheit und beschreibt die Situation in den 1980ern, also vier Jahrzehnte vor dem, was in den anderen Filmen so geschieht. Viele der gewohnten Themen sind aber auch dort bereits fest etabliert. Diese Milieustudie wird dabei mit einem Zeitporträt verbunden, wenn wir mehr darüber erfahren, wie der bislang nur in den USA bekannte Hip-Hop über den Atlantik schwappt und dabei die Jugend in Frankreich erreicht. Die Welt von morgen ist zudem ein Biopic, in Teilen zumindest. Denn die Jugendlichen, die im Mittelpunkt der Serie stehen, werden später als Kool Shen, JoeyStarr und Dee Nasty zu Ikonen und Pionieren werden. Sie gehörten zu den ersten, welche die neuen Einflüsse aufnahmen und in ihrem Land etablierten bzw. in ihre eigene Sprache übersetzten.
Spannend und eigen
Das ist natürlich vor allem für ein Publikum interessant, das selbst eine Vorliebe für diese Musikrichtung oder auch diesen Lebensstil hat. Wer beispielsweise noch nie verstanden hat, was an Breakdance so toll sein soll, wird kaum nachvollziehen können, was für eine bahnbrechende Erfahrung dies für die Jugend der 1980er war. Dieses Herumwirbeln auf der Straße, die rhythmische Akrobatik, das war schon etwas Anderes. Und doch ist Die Welt von morgen keiner von diesen Nostalgietrips, bei denen die Zuschauer und Zuschauerinnen sich wohlig an die eigene Jugend zurückerinnern sollen. Dafür ist das Drama oft zu bitter und zu ungeschönt. Gerade zu Beginn müssen die Figuren zahlreiche Kämpfe austragen, um ihren Träumen nachgehen zu können.
Das schreit eigentlich nach einer dieser typischen Aufsteigergeschichten, wie man sie in solchen biografischen Künstlerporträts immer wieder gern unterbringt. Aber auch in der Hinsicht geht Die Welt von morgen einen eigenen Weg, lässt sich nichts aufzwängen. Anstatt die dramaturgischen Konventionen brav abzuhaken, denen zufolge irgendwie jede Künstlergeschichte gleich ist, bleibt die Serie bei einem multiperspektivischen Zugang. Und einem, der oftmals eher dokumentarisch anmutet, wenn sich die Jugendlichen ausprobieren und in eine Welt eintauchen, die nicht nur für sie neu war. Das ist alles gut umgesetzt und auch gut gespielt: Selbst ohne Stars oder bekannte Gesichter gelingt es dem französischen Team, das Publikum auf eine spannende Zeitreise mitzunehmen.
OT: „Le Monde de demain“
Land: Frankreich
Jahr: 2022
Regie: Katell Quillévéré, Hélier Cisterne
Drehbuch: Katell Quillévéré, Hélier Cisterne, Vincent Poymiro, David Elkaïm, Laurent Rigoulet, Raphaël Chevènement
Musik: Amine Bouhafa, Dee Nasty
Kamera: Tom Harari
Besetzung: Anthony Bajon, Melvin Boomer, Andranic Manet, Victor Bonnel, Léo Chalié, Laïka Blanc-Francard, Yannick Choirat, Emmanuelle Hiron, Elga Gnaly, Ismaël Sy Savané
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