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Lacombe Lucien: Der Spitzel

Louis Malle Edition
„Lacombe Lucien: Der Spitzel“ // Deutschland-Start: 15. März 1974 (Kino) // 21. April 2016 (DVD / Blu-ray)

Inhalt / Kritik

Als der 17-jährige Lucien Lacombe (Pierre Blaise) im Juni 1944 auf den Bauernhof seiner Familie zurückkehrt, muss er feststellen, dass sich vieles verändert hat. Während sein Vater in deutscher Kriegsgefangenschaft ist, hat sich seine Mutter einen Liebhaber genommen, mit dem sie den Hof bewirtschaftet. Da er zu Hause nur noch geduldet wird, beschließt er, sich der Résistance anzuschließen. Doch der Lehrer Peyssac (Jean Bousquet) weist ihn ab, da er zu unzuverlässig sei. Als er einige Zeit später zufällig an dem Hôtel des Grottes vorbeikommt, welches das Hauptquartier der Kollaborateure ist, verrät er im angetrunkenen Zustand nicht nur den Lehrer. Er beginnt allgemein, für die Geheimpolizei zu arbeiten und die Mitglieder des Widerstands zu verraten. Richtig kompliziert wird es jedoch, als der den jüdischen Schneider Albert Horn (Holger Löwenadler) kennenlernt und sich in dessen Tochter France (Aurore Clément) verliebt …

Die Zufälligkeit des Bösen

Kaum eine Phase in der Menschheitsgeschichte wurde wohl derart häufig in Filmen thematisiert wie der Zweite Weltkrieg. Aus gutem Grund: Er war ein einschneidendes Erlebnis, das Millionen von Menschenleben gekostet hat und die komplette Weltordnung auf den Kopf stellte. Außerdem wurde der Krieg zum Aufhänger unzähliger Heldengeschichten, bei denen oft der eigene Patriotismus ausgelebt werden konnte. Das gilt natürlich insbesondere, wenn man zur guten Seite zählte und sich so richtig schön in Szene setzen kann. Wer erzählt schon gern von den Bösen? Louis Malle tat es. Der französische Regisseur und Drehbuchautor, dem wir solche Klassiker wie Fahrstuhl zum Schafott (1958) und Mein Essen mit André (1981) zu verdanken haben, erzählte 1974 in Lacombe Lucien: Der Spitzel von einem jungen Mann, der sich den Kollaborateuren angeschlossen hat.

Irritierend ist dabei, dass der Protagonist kurz zuvor noch versucht hatte, sich der Résistance anzuschließen. Wie kommt man dazu, innerhalb so kurzer Zeit bei zwei völlig konträren Organisationen beitreten zu wollen? Dass es im Bereich der Politik unglaubliche Wendehälse gibt, das ist bekannt. Aber ein einfacher Jugendlicher, der keinen direkten Vorteil daraus zieht? Das ist schon etwas erklärungsbedürftiger. Malle tut einem aber nicht den Gefallen, eine direkte Erklärung zu liefern. Der Widerspruch wird in Lacombe Lucien: Der Spitzel gar nicht aufgelöst, weil die Titelfigur das alles gar nicht als Widerspruch auffasst. Für ihn stellt beides eine Möglichkeit dar, etwas mit seinem Leben anzufangen. Letztendlich ist es reiner Zufall, der ihn dazu gebracht hat, sich den Bösen anzuschließen. Hätte der Lehrer ihn nicht als zu jung und unzuverlässig eingestuft, es wäre alles ganz anders gekommen.

Ein Leben ohne Überzeugungen

Das macht die Einteilung in gut und böse dann auch schwieriger. Vor allem im weiteren Verlauf, wenn Lucien eine jüdische Familie kennenlernt und sich verliebt. Auf einmal muss er Entscheidungen treffen, gerät in einen Zwiespalt. Dass Figuren in Filmen umdenken und angesichts eines besonderen Ereignisses zu besseren Menschen werden, das kommt natürlich oft vor. So eine Läuterung ist immer wieder ein beliebtes Szenario, um das Publikum zu rühren. Aber selbst dieses Vergnügen wird einem in Lacombe Lucien: Der Spitzel verwehrt. So hat man nicht unbedingt das Gefühl, dass der Protagonist existenziell dazulernen würde und sich damit weiterentwickelt. Erneut ist es reiner Zufall. Dass er eine Jüdin liebt, führt nicht dazu, dass er sein grundsätzliches Weltbild in Frage stellt. Ihm geht es prinzipiell erst einmal um die Menschen in seinem Umfeld, für alles weitere ist der Horizont zu weit weg.

Das ist faszinierend in der Konsequenz, in der Malle dem jungen Mann folgt, der eigentlich kein wirkliches Ziel im Leben hat. Der Filmemacher verweigert sich auch einem süßlichen Happy End, obwohl das bei der Geschichte ohne Weiteres möglich gewesen wäre. Stattdessen erzählt er in Lacombe Lucien: Der Spitzel, wie jemand ohne nennenswerte eigene Überzeugungen durchs Leben stolpert, bis es irgendwann vorbei ist. Das ist passend von Pierre Blaise gespielt, der selbst einer Bauernfamilie entstammte und über keinerlei Schauspielerfahrungen verfügte. Er wird zu einer Projektionsfläche, hinter dessen Fassade man zu gern schauen würde, die man aber nie ganz ergründen kann. Bereits ein Jahr drauf starb der Nachwuchsschauspieler bei einem Autounfall, was die Tragik seiner Figur nur noch verstärkt.

Credits

OT: „Lacombe Lucien“
Land: Frankreich, Deutschland, Italien
Jahr: 1974
Regie: Louis Malle
Drehbuch: Louis Malle, Patrick Modiano
Musik: Django Reinhardt, André Claveau, Irène de Trébert
Kamera: Tonino Delli Colli
Besetzung: Pierre Blaise, Aurore Clément, Holger Löwenadler, Therese Giehse, Stéphane Bouy, Jean Bousquet

Bilder

Trailer

Filmpreise

Preis Jahr Kategorie Ergebnis
Academy Awards 1975 Bester fremdsprachiger Film nominiert
BAFTA 1975 Bester Film Sieg
Beste Regie Louis Malle nominiert
Bestes Drehbuch Louis Malle, Patrick Modiano nominiert
United Nations Award Sieg
Golden Globes 1975 Bester fremdsprachiger Film nominiert

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Lacombe Lucien: Der Spitzel
fazit
„Lacombe Lucien: Der Spitzel“ folgt einem jungen Mann, der sich eigentlich der Résistance anschließen will, stattdessen aber ein Kollaborateur wird. Das Drama wirft einen ganz eigenen Blick auf das Frankreich im Zweiten Weltkrieg und präsentiert einen seltsam widersprüchlichen Protagonisten, bei dem die Einteilung in gut und böse nicht wirklich funktioniert.
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