Viggo Mortensen und Solly McLeod bei der Premiere von "The Dead Don't Hurt" beim Filmfest München 2024 (© Bojan Ritan / Filmfest München)

Solly McLeod [Interview]

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Solly McLeod wurde 2000 geboren und wuchs auf den schottischen Orkneyinseln auf. Mit zehn Jahren zog er nach London, wo er später auch die Schauspielschule besuchte. Zu seinen ersten Arbeiten vor der Kamera gehörten Rollen in den TV-Serien Die Rückkehr, House of the Dragon und Outlander. 2023 spielte er die Titelrolle in der Miniserie Tom Jones. Auf der Berlinale wurde 2024 das Coming-of-Age-Drama Last Swim, in dem Solly eine der Hauptrollen spielt, mit dem gläsernen Bären ausgezeichnet. Momentan ist er im Western The Dead Don’t Hurt (Kinostart: 8. August 2024) zu sehen, wo er unter der Regie von Viggo Mortensen und an der Seite von Vicky Krieps und Mortensen den Antagonisten spielt. Wir haben Solly im Rahmen des Filmfest München zum Gespräch getroffen.

Wieviel Spaß hat es dir gemacht, den Bösewicht in The Dead Don’t Hurt zu spielen?

Es hat Spaß gemacht, weil man sich wirklich gehen lassen kann, wenn man jemanden spielt, der unvorhersehbar, psychopatisch und verrückt ist. Das gibt einem den Raum, mit der Figur zu Spaß zu haben. Während der Dreharbeiten sagte Viggo immer wieder zu mir, „Du bist verrückt in dieser Szene! Lass einfach los! Wenn es zu überdreht ist, sag ich es dir schon.“ Und es war nie zu überdreht, also hat es offensichtlich funktioniert und es hat Spaß gemacht, sich so gehen zu lassen. Aber es war auch eine Herausforderung zu versuchen, all diesen Hass, diese Gemeinheit in mir selbst zu finden. Leichter gemacht hat es, dass ich Momente der Verwundbarkeit und Schwäche in der Figur finden konnte, wenn er einmal weniger skrupellos war oder gerade nicht die dominanteste Person im Raum. Es gibt da eine bestimmte Szene, in der er eine Auseinandersetzung mit seinem Vater hat und in der man deutlich merkt, dass er noch wie ein kleines Kind wirkt. Das konnte man auch schon im Drehbuch so lesen. Es war sein Moment der Schwäche und hat mir erlaubt, in seine Psychologie einzudringen und eine Hintergrundgeschichte für ihn zu erschaffen. Wie seine Kindheit gewesen sein muss, hat er seine Mutter verloren und solche Dinge – das ist auch, warum er von Vivienne besessen ist. Sein Character wurde dadurch nachvollziehbar und hat etwas Tiefe bekommen, statt nur eindimensional zu wirken.

Hattest du schon einen Bezug zum Westerngenre, bevor du an The Dead Don’t Hurt gearbeitet hast? Western waren ja nicht besonders beliebt, als du aufgewachsen bist.

Nein, nicht wirklich, aber Western und Cowboys sind auf der ganzen Welt bekannt. Als Kind habe ich mich manchmal als Cowboy verkleidet. Ich bin aber nicht zur Blütezeit des Westerns aufgewachsen, also wusste ich nicht besonders viel über das Genre. Aber glücklicherweise weiß Viggo eine Menge darüber! Er hat mir 50 oder 60 Filme geschickt. Western von den Dreißigern bis zu den Achtzigern. Er hat nicht erwartet, dass ich sie alle anschaue und das habe ich auch nicht getan – es waren einfach zu viele.

Aber du hattest also Hausaufgaben zu machen!

Das war eine unglaubliche Hilfe. Ich habe einige Filme komplett angeschaut, aber manchmal sagte Viggo zum Beispiel zu mir, „Schau dir an, wie der Typ mit Pferden arbeitet.“ Das waren immer nützliche Informationen. Ein paar der Filme, die ich mir komplett angeschaut habe, haben mir wirklich gefallen, wie In schlechter Gesellschaft, Panik am roten Fluss oder Ritt zum Ox-Bow. Etwas Inspiration für die Bösartigkeit in Western kam von John Waynes Figur in Panik am roten Fluss. Er schaut darin ein paar Mal wirklich furchteinflößend. Also dachte ich mir, das sollte ich mir abschauen.

Ist The Dead Don’t Hurt deiner Meinung nach ein klassischer Western oder dekonstruiert der Film die Mythologie und das Heldentum dieser alten Filme?

Ich denke, beides ist der Fall. Der Film hat all die Elemente, Themen und Archetypen von klassischen Western. Die Figuren, die ich, Danny Huston und Garret Dillahunt spielen, sind eher von diesen klassischen Elementen inspiriert. Die Charaktere von Vicky und Viggo dagegen stellen das Genre etwas auf den Kopf. Ihre Beziehung wirkt äußerst modern, ihrer Zeit voraus und ein modernes Publikum kann sich sehr damit identifizieren – genauso wie mit den Themen in Western allgemein, weswegen dieses Genre meiner Meinung nach so beliebt war. Vielleicht erlebt es gerade eine Renaissance. Western enthalten universale Themen, die sehr relevant in Bezug darauf sind, wie es in der Welt heute zugeht. Es sind noch immer dieselben archetypischen Figuren wie in unserem Film, die heute im Westen an der Macht sind – nicht nur im wilden Westen. Es gibt viele Verbindungen zwischen der heutigen Gesellschaft und der Art und Weise, wie es in den 1860er Jahren in einer Kleinstadt im wilden Westen zuging.

Es ist auch ein Film über Beziehungen.

Ja, und auch das dekonstruiert in gewisser Weise das Genre. Im Allgemeinen geht es in Western um Rache – jemand hat jemanden getötet, den du liebst, also wirst du ihn töten. In unserem Film geht es ums Vergeben, um das Ende dieses Kreislaufes der Tyrannei. Ich glaube, das ist eine sehr starke Botschaft.

Das Westerngenre ist noch immer vor allem bei Männern beliebt. Hast du diese Beobachtung auch gemacht? Was muss sich ändern, um Western attraktiver für ein weibliches Publikum zu machen?

Obwohl ich das nicht unbedingt selbst beobachtet habe, würde ich dem zustimmen und glaube, das liegt daran, dass der Großteil der klassischen Western sich vor allem mit dem beschäftigt, was wir eben klassisch männliche Themen nennen würden und damit vor allem Männer anspricht. Männer, die gegen andere Männer ums Überleben kämpfen. Ich weiß nicht, ob es einen biologischen Drang gibt, als Mann Überlegenheit zu zeigen… Vielleicht fühlten sich deswegen bisher vor allem Männer zu Western hingezogen. Es gab noch keinen Western wie diesen hier, mit einer ganz normalen Frau im Zentrum. Sie ist letztendlich die stärkste Figur im Film, aber nicht sie ist nicht stark in einem klassisch männlichen Sinn. Der Film begleitet nicht Olsen in den Krieg, sondern man bleibt bei ihr, wird Zeuge ihrer Schwierigkeiten und sieht, wie es wohl den meisten Frauen damals erging. Bei den großen Studios wurden Western zuvor von Männern gemacht, die einfach nicht an solchen Geschichten interessiert waren. Die Leute, die die Geschichtsbücher geschrieben haben, waren auch nicht an solchen Geschichten interessiert. Es ging immer nur darum, wie viele Männer in irgendeinen Krieg zogen und kämpften, wie viele Menschen starben und wer der Held war. Das ist eine sehr männliche Art der Macht. Dass dieser Film die Sichtweise ändert, zieht auf jeden Fall ein größeres Publikum an und bringt vielleicht außerdem einigen Männern etwas bei.

Du hast schon erwähnt, dass du zur Vorbereitung auf diesen Film einige Hausaufgaben machen musstest. Was gehörte denn noch dazu, außer alte Filme anzuschauen?

Ich musste reiten lernen. Viggo hatte ich erzählt, ich könne reiten – und zu einem gewissen Grad war das auch die Wahrheit. Ich bin für andere Jobs schon auf Pferden gesessen, aber nie besonders lange. Viggo riet mir, „Vielleicht solltest du ein Pferd in London finden, auf dem du ein wenig üben kannst.“ Ich fand ein paar Bauernhöfe außerhalb von London, die Reitstunden anboten. Dort trainierte ich ein bisschen auf eigene Faust und dachte mir, ich würde das ganz gut machen. Ich schickte ein Video von meinem Fortschritt an Viggo. Er antwortete nicht… Als ich dann nach Mexiko kam, wo wir den Film drehten, traf ich den Pferdetrainer, Rex Peterson. Er sagte zu mir, „Oh, wir haben viel Arbeit vor uns! In dem Video siehst du aus wie ein Affe, der einen Football f***t!“ Das war die abgefahrenste Beschreibung für einen schlechten Reiter, die ich je gehört hatte. Aber es stimmte. Ich sah mir das Video an und wusste, was er meinte. Also arbeiteten wir fünf oder sechs Tage lang daran, für fünf Stunden am Tag. Ich konnte nicht laufen, konnte mich nicht hinsetzen, aber am Ende konnte ich reiten. Und zwar ziemlich gut. Im Film bin ich immer selbst geritten und habe sogar einige meiner Stunts selbst gemacht. Es hat sich also ausgezahlt. Und ich liebe jetzt Pferde.

Bist du irgendwann in Panik geraten, nachdem du die Rolle bekommen hattest? Schließlich konntest du nicht reden wie ein Amerikaner und du konntest nicht reiten! Und trotzdem musstest du einen Film mit Viggo Mortensen drehen, der praktisch mit Pferden aufgewachsen ist.

Mir war vollkommen bewusst, was für ein großartiger Reiter Viggo war und ich wusste, dass ich einiges an Arbeit hineinstecken musste. Aber ich wollte mich selbst herausfordern und neue Fähigkeiten erlernen. Es war beängstigend, aber es hat Spaß gemacht.

Viggo erwähnte, sie hätten dir das schwierigste Pferd gegeben.

Ja, der war wie ein Rennauto. Er war verrückt. Er war sehr stark – dieses wirklich wunderbare, blauschwarze Pferd. Anfangs mochte er nicht, dass ich auf seinem Rücken saß, soviel kann ich sagen. Aber ich bin nicht heruntergefallen!

Du hast dich auch gegenüber Vicky Krieps behauptet. Sie ist eine starke Schauspielerin und du musstest ihr gegenüber den Antagonisten spielen. Warst du zu irgendeinem Zeitpunkt eingeschüchtert?

Natürlich. Allerdings nicht unbedingt von Vicky. Vicky ist eine wundervolle Person. Sie ist großartig und hat mir genau wie alle anderen am Set wirklich dabei geholfen, mich dort wohlzufühlen. Als junger Newcomer hätte ich mich wohl dort leicht fehl am Platz fühlen können. Aber ich habe mich willkommen gefühlt, als ob ich dort hingehörte. Mit Vicky zu arbeiten, hat mein Schauspiel um das Zehnfache verbessert. Einfach mit ihr zu spielen, war schon eine Erfahrung. Sie ist fantastisch, gibt einem eine Menge, und sie ist einschüchternd, wenn sie es sein will. Aber das hat in bestimmten Szenen geholfen und zwischen unseren beiden Figuren gibt es auf jeden Fall eine Chemie. So wie es eine bestimmte Chemie zwischen Freunden oder Liebenden gibt, gibt es in einem Film auch eine Chemie zwischen Feinden. Darauf haben wir aufgebaut und ich glaube, das merkt man.

Du hast auch bereits mit Daniel Craig gedreht.

Tatsächlich habe ich ihn gar nicht getroffen, aber ich spiele eine kleine Rolle in Luca Guadagninos neuem Film Queer. Darin spiele ich in einigen Szenen die jüngere Version von Daniels Figur.

Warst du ein Fan von Viggo, als du aufgewachsen bist? Saßt du schon mit zehn Jahren vor dem Fernseher und hast Der Herr der Ringe angeschaut?

Ich war sogar jünger! Ich war vielleicht acht Jahre alt, als mein Großvater anfing, mir all diese Filme wie Star Wars und Indiana Jones zu zeigen. Die großen Franchises und Trilogien. Der Herr der Ringe war natürlich eine davon. Genau das waren die Filme, deretwegen ich Schauspieler schon in jungen Jahren anfangen wollte, zu schauspielern. Als ich Viggo schließlich traf, machte ich aber erstmal auf cool. Ich habe ihm nicht sofort erzählt, dass ich ein Fan von ihm war.

Vielen Dank für das Gespräch!



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