Cuckoo
Szenenbild aus Tilman Singers "Cuckoo" (© Neon / Foto: Felix Dickinson)

Tilman Singer [Interview]

Tilman Singer ist ein deutscher Regisseur, Produzent und Drehbuchautor. Während seines Studiums an der Kunsthochschule für Medien Köln drehte er zwei Kurzfilme, The Events at Mr. Yamamoto’s Alpine Residence sowie El fin del mundo. Als seinen Abschlussfilm drehte er Luz, eine Mischung aus Horror- und Mysteryelementen. Luz hatte dann seine Premiere bei der Berlinale 2018 und wurde in der Folge auf diversen nationalen sowie internationalen Genrefilmfestivals gezeigt. Cuckoo ist Singers zweiter Spielfilm und abermals vermischt er verschiedene Elemente zu einem Film, der irgendwo zwischen Horror, Fantasy und Thriller angesiedelt ist.

Anlässlich des bevorstehenden Kinostarts von Cuckoo am 29. August 2024 spricht Tilman Singer im Interview über die Inspiration zu dem Projekt, die Zusammenarbeit mit Hunter Schafer und Dan Stevens sowie die Bezüge zur Märchenwelt in Cuckoo.

Du hast einmal gesagt, dass du mehr von einem konkreten Gefühl zu einer Geschichte / einem Film inspiriert wirst und weniger von einem Bild oder einem Ereignis. Was für ein Gefühl inspirierte dich bei Cuckoo?

Wir waren damals mit der Mischung von Luz beschäftigt. Der Film ist als Projekt an der Kunsthochschule entstanden und ich hatte das Gefühl, dass wir Luz nur für uns machen würden und das den nie jemand sehen würde. Das war keine gute Zeit für mich, ich war sehr nervös und konnte schlecht schlafen. Ich empfand damals so eine Mischung aus Angst und Verderben, aber auch ein wenig Hoffnung. Dann kam die Einladung von der Berlinale und ich verstand, dass das, was wir machen, doch von jemandem wahrgenommen wird.

Natürlich habe ich mich nicht ständig so gefühlt, das kam mehr in Schüben. Wenn ich aber über einen gewissen Zeitraum, wenn auch nur phasenweise, etwas sehr intensiv empfinde, schenke ich diesem Gefühl Aufmerksamkeit. In diesem Zeitraum ist die Idee zu Cuckoo entstanden, wobei ich jetzt nicht mehr genau sagen kann, ob ich zuerst den Artikel oder die BBC-Dokumentation über Kuckuckskinder gesehen habe. Die Idee, dass Eltern ein Kind aufziehen, das nicht ihr eigenes ist, einen Fremdkörper sozusagen, fand ich interessant und im Horror hat dieses Thema ja schon was Existenzielles.

Cuckoo bedient sehr viele Märchenelemente. Betrachtest du den Film als ein düsteres Märchen?

Die Elemente eines Märchen findest du im Film auf jeden Fall wieder. Als wir Cuckoo planten, spielten wir bewusst mit diesen Themen und Aspekten, wobei wir in erster Linie daran dachten, wie sich die Welt Deutschland vorstellt. Wenn wir in das US-amerikanische Kino blicken und das dort vertretene Deutschlandbild, dann ist Deutschland eigentlich nur Bayern. Das dies natürlich auch ein Bild ist, was wir in vielen Märchen vorfinden, war zunächst reiner Zufall, aber während des Schreibens haben sich immer mehr dieser Märchenelemente mit eingeschlichen.

An Orten wie beispielsweise dem Hotel oder der Residenz, in der die Familie wohnt, merkt man dein Geschick für die Inszenierung von Räumen, was schon bei Luz auffiel. Wie bist du bei deren Inszenierung bei Cuckoo vorgegangen und wie war die Zusammenarbeit mit Kameramann Paul Faltz, der ja auch schon bei Luz dabei war?

Mit Paul habe ich bisher jeden meiner Filme, auch die Kurzfilme, gedreht und wir sind sozusagen ein eingespieltes Team.

Ich mag es eigentlich nicht, im Studio zu drehen, sondern nutzte lieber die Plätze und die Gebäude, die man an einem Drehort vorfindet. Ich liebe es, mit der Architektur eines Ortes zu inszenieren, wenn man sich etwas einfallen lassen muss, damit man eine bestimmte Szene in einem Raum drehen kann. Vielleicht steht eine Säule im Weg und man muss eine Möglichkeit finden, wie man nun diesen Moment filmen kann. So etwas mag ich.

In Cuckoo spielt der Gegensatz von Natur und Kultur eine große Rolle, wie du sicherlich bemerkt hast. Die Familie ist von Natur umgeben, aber sie sieht diese mit einer gewissen Distanz und ist durch die Glasfront ihrer Residenz von ihr getrennt. Im Kontrast dazu stehen Häuser, die ebenfalls mitten im Wald stehen, die sich die Natur aber schon gewissermaßen zurückerobert hat. Wir haben Häuser gesehen und besichtigt, bei denen Bäume aus den Dächern wuchsen.

Die Ankunft der Familie hat mich erinnert an das Ankommen von Hutter in Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens, wenn er über die Brücke geht, die rationale Welt verlässt und das Reich der Fantasie und des Unheimlichen betritt.

Das ist ja interessant. Wir haben nicht an Nosferatu beim Dreh oder bei der Vorbereitung gedacht, aber ich verstehe, wie deine Assoziation zustande kam. Wir dachten immer an das Reich eines Zauberers oder eines dunklen Herrschers, das die Familie nun betritt.

Da wir gerade beim dunklen Herrscher des Berges angekommen sind, bietet es sich an über Dan Stevens’ Rolle in Cuckoo zu sprechen. Wie war die Zusammenarbeit mit ihm?

Dan ist ein sehr versierter Schauspieler, der sofort versteht, worum es in einer Szene geht. Man braucht eigentlich nicht viele Takes bei ihm.

Interessanterweise kam er recht spät zu Cuckoo dazu. Wir mussten in letzter Minute umbesetzen und waren auf der Suche nach einem ungefähr 60-jährigen, weil die Rolle ursprünglich so angelegt war. Dan wollte die Rolle spielen und überzeugte mich davon, dass die Figur gar nicht so alt sein müsste. Es reicht, wenn Herr König symbolisch eine großväterliche Figur sei, meinte er.

Außerdem erzählte er mir von einem seiner Freunde, einem wohlhabenden Deutschen, der einen leichten esoterischen Touch hat. Für mich hat sich dieser Mensch sehr fremd, aber auch sehr deutsch angefühlt. Wir haben uns sehr amüsiert bei diesem Gespräch und das war der Beginn unserer Zusammenarbeit.

Kannst du auch etwas über die Zusammenarbeit mit Hunter Schafer sagen?

Hunter und ich haben während des Drehs sehr schnell ein gewisses Vertrauensverhältnis aufgebaut. Das musste sicherlich auch so sein, denn Cuckoo ist kein Mainstream-Projekt und verlangt den Akteuren Einiges ab.

Für Hunter war Cuckoo ihre erste Kinorolle und ihre erste Rolle nach Euphoria. Für mich war es der zweite Film, dieses Mal mit einem deutlich höheren Budget. Wir haben darüber gesprochen, wo wir uns gerade in unserem Leben befinden und darauf aufbauend hat sich dieses gegenseitige Vertrauen ergeben.

Nachdem ich ihr Tape gesehen hatte, mit dem sie sich für die Rolle beworben hatte, wusste ich, dass wir eigentlich schon alles für die Figur haben. Das sagte ich Hunter auch so. Ich erklärte ihr, dass wir nur den richtigen Weg finden müssen, um zu beschwören, was wir für die jeweilige Szene benötigen. Das hat uns beiden eine große Sicherheit gegeben.

Da du in Cuckoo jede Menge Anspielungen an Märchen versteckt hast, liegt vielleicht die Frage nahe, ob es eigentlich ein Märchen oder vielleicht sogar eine Sage oder einen Mythos gibt, den du gerne auf der Leinwand sehen oder gar selbst inszenieren würdest?

Das ist eine gute Frage. Ich finde, dass Hans Christian Andersens Des Kaisers neue Kleider eine tolle Geschichte ist, die man bestimmt toll inszenieren kann.

Vielen Dank für das Gespräch.



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