Regisseur, Autor und Hauptdarsteller Artus in der Hitkomödie "Was ist schon normal?" (© SquareOne Entertainment)

Artus [Interview]

Er kam, sah und siegte: Mit Was ist schon normal? ist Artus nicht nur der erfolgreichste Film des Jahres in Frankreich gelungen. Die Komödie um ein diebisches Vater-Sohn-Duo, das inkognito bei einer Ferienreise von Menschen mit geistiger Behinderung unterkommt, lockte mehr als zehn Millionen Besucher und Besucherinnen in die Kinos. Das ist dort keiner heimischen Produktion seit Monsieur Claude und seine Töchter 2014 gelungen. Am 5. September 2024 kommt der riesige Publikumserfolg auch in die deutschen Kinos. Das haben wir zum Anlass genommen, um das Multitalent zu interviewen, das nicht nur Regie geführt und das Drehbuch geschrieben hat, sondern auch in der Hauptrolle zu sehen ist. Wir sprechen mit ihm über die Motivation hinter dem Projekt, die Arbeit mit der Besetzung und was er für sich selbst gelernt hat.

Könntest du uns etwas über die Entstehungsgeschichte von Was ist schon normal? verraten? Wie bist du auf die Idee gekommen?

Ich hatte einfach Lust einen Film über Menschen zu machen, die man meiner Meinung nach zu wenig sieht und die ein wahnsinnig komisches Potenzial haben. Eine schöne Verrücktheit, wie ich finde. Ich wollte auch, dass dieses Menschliche herauskommt bei dem Film, schon beim Dreh, weil es so viele Dreharbeiten gibt, wo dieser menschliche Aspekt zu kurz kommt. Wir haben uns zusammen auf eine wunderbare Abenteuerreise eingelassen, die zu einem Film wurde. Bei uns ging es nicht um Egos, sondern darum, dass wir zusammen sind und etwas gemeinsam erschaffen.

Hattest du vor dem Film schon Erfahrungen mit Menschen mit geistigen Behinderungen gesammelt?

Ja, ich hatte immer mal wieder Erfahrungen gesammelt durch Leute in meinem Umfeld. Ich habe auch eine Schwägerin, der es schwerfällt zu kommunizieren, was auch eine Form der Beeinträchtigung ist. Was mich daran so reizt, ist die Beziehung, die sie zur Kindheit haben. Es ist gar nicht so, dass sie nicht erwachsen geworden sind. Aber sie sind verspielter und verträumter. Letztendlich fühle ich mich mit jemandem wie Arnaud, der die ganze Zeit nur von Dalida schwärmt, viel wohler als mit einem, der immer nur schlecht drauf ist und eine Fresse zieht.

Was ist schon normal? Un P'tit truc en plus
Auftritt der Chaostruppe: In „Was ist schon normal?“ gibt sich der Gauner Paulo (Artus) als Mann mit geistiger Behinderung aus, um bei einer Ferienfahrt untertauchen zu können. (© SquareOne Entertainment)

Du hast schon gemeint, dass diese Menschen unterrepräsentiert sind. Wer selbst niemanden in seinem Umfeld hat, hat dann vielleicht auch Berührungsängste. Denkst du, dass Filme wie Was ist schon normal? dabei helfen kann, solche Berührungsängste abzubauen?

Die Reaktionen, die ich bislang hatte, gehen auf jeden Fall in diese Richtung. Mir hat auch eine Familie geschrieben, die in einem Dorf lebt und deren Tochter das Downsyndrom hat. Nachdem inzwischen die Leute im Dorf den Film gesehen haben, ist sie ein bisschen die Königin des Dorfes geworden. Es ist besser, man benimmt sich ein wenig ungeschickt und tollpatschig Menschen mit Behinderung gegenüber, als dass man sie gar nicht erst anspricht. Eigentlich ist es ganz einfach, ein Verhältnis mit ihnen aufzubauen. Das ist gar nicht so kompliziert, du musst da nicht viele Scheuklappen haben. Mir machen vielmehr Großstädter Angst, die mit den Dingern in den Ohren durch die Straßen laufen, nur mit ihren Handys beschäftigt sind und von niemandem angesprochen werden wollen. Diese Einfachheit finde ich sehr schön. Diese ganzen sozialen Codes spielen keine Rolle mehr.

Gerade weil Menschen mit Behinderung in Filmen so wenig vertreten sind, stelle ich mir das Casting schwierig vor. Wie lief das bei euch? Gibt es da spezialisierte Casting-Agenturen?

Es gibt tatsächlich solche Casting-Agenturen. Aber das wollte ich nicht. Ich wollte keine Schauspieler, sondern Persönlichkeiten. Deshalb habe ich auf Instagram gepostet, ob jemand Leute mit Behinderung kennt, die vielleicht Lust haben, in einem Film mitzuspielen, sollen sie sich bei mir melden. Ich habe mich danach mit sehr viele getroffen, um die passenden Leute zu finden. Für mich war es wichtig, das beste Team zusammenzustellen. Ich will im Kino Filme sehen, die sich wirklich erlebt anfühlen und nicht nur gespielt. Dabei durfte ich mir keine Fehler erlauben. Wenn die Sache schiefgegangen wäre, hätten die großen Studios nur gesagt: „Siehst du, die Menschen wollen solche Filme nicht sehen.“ Es war sehr schwierig, diesen Film zu machen, die Großen wollten damit nichts zu tun haben.

Wie hast du es geschafft dennoch Leute davon zu überzeugen, dass man hiermit Geld verdienen kann?

Ich wollte natürlich in erster Linie einen guten Film machen. Es ging mir nicht darum, richtig viel Geld damit zu verdienen. Aber das macht den Erfolg umso schöner, vor allem, weil ich hier mit kleinen Produzenten zusammengearbeitet habe und einem französischen Verleih, der auch nicht besonders groß ist. Das sind alles Leute, die an mich geglaubt haben, obwohl ich ihnen kein Drehbuch präsentieren konnte. Wir waren damals noch mitten im Casting-Prozess, als ich mich ihnen gesprochen haben. Wir hatten selbst beim Drehen noch kein wirkliches Drehbuch, weil das erst entstanden ist. Diejenigen, die trotzdem an mich geglaubt haben, haben sich voll und ganz auf das Projekt eingelassen. Wenn sie jetzt dafür belohnt werden, umso besser. Das haben sie sich wirklich verdient. Vielleicht war es sogar gut, dass ich so viele Ablehnungen bekommen habe, weil mich das weiter angetrieben hat, das Projekt fortzuführen. Wenn ich zu früh Erfolg gehabt hätte bei einem großen Produzenten, wäre der Film vielleicht nicht so intensiv geworden, wie er am Ende wurde.

Dafür ist der Erfolg am Ende gigantisch: Was ist schon normal“ ist der erste französische Film seit vielen Jahren, der mehr als zehn Millionen Besucher und Besucherinnen hatte. Hast du eine Erklärung dafür, weshalb ausgerechnet der Film so erfolgreich ist?

Wenn ich die hätte, würde ich jetzt ganz viele solcher Filme nachschieben. (lacht) Es war wahrscheinlich das Zusammenspiel mehrerer Punkte. Sicherlich hatte es einen Einfluss, dass wir zu einer Zeit in die Kinos gekommen sind, als die gesamte Situation in Frankreich nicht sonderlich rosig war. Es gibt einfach sehr viele Konflikte zur Zeit, die Leute grenzen sich ab. Dann kommt der Film zur Ferienzeit heraus, als ganz mieses Wetter in Frankreich war. Er bringt die Leute zusammen: Im Kinosaal triffst du alle Religionen, du triffst alle Altersgruppen. Das ist das Schöne für mich.

Die Figur, die du im Film spielst, macht im Laufe der Geschichte eine Wandlung durch und lernt einiges dazu. Wie siehst es bei dir aus? Was hast du für dich aus dem Projekt für dich mitgenommen?

Ich kannte sie schon ein wenig. Aber natürlich nimmst du immer etwas für dich mit. Was ich so schön fand, war, wie das Team reagiert hat, ganz egal, ob es die Schminkfrau war oder die Techniker, harte Kerle, die nichts an sich ranlassen, und die sich alle den Titel des Films haben tätowieren lassen. Ich habe gelernt, dass das menschliche Miteinander so viel einfacher sein kann. Man muss sich das Leben nicht so schwer machen. Ich will diese positive Energie nutzen und mit Leuten zusammen sein, die es irgendwo verdient haben.

Letzte Frage: Was sind deine nächsten Projekte?

Momentan arbeite ich an einer Live Show in Paris. Aber es ist auch ein neuer Film in Planung. Ich träume schon lange davon, einen Western zu drehen. Mir sagen zwar alles, dass ich das nicht tun sollte, aber das spornt mich noch mehr an. Ich würde gern einen Western à la Mel Brooks machen, verrückte, bescheuerte Western, wie sie heute nicht mehr gedreht werden. Darauf habe ich wirklich Lust.

Vielen Dak für das Gespräch!

© SquareOne Entertainment
Zur Person
Artus wurde am 17. August 1987 unter dem Namen Victor-Artus Solaro in Le Chesnay, Frankreich geboren. bekannt wurde er durch die Show On n’demande qu’à en rire, wo er insgesamt 86 Sketche aufführte. Auch im Anschluss trat er im Fernsehen auf, ebenso im Radio sowie auf Bühnen. Bekanntheit erlangte er zudem als Schauspieler. Mit Was ist schon normal? gab er 2024 sein Debüt als Regisseur und Autor.



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