Nur wenige Themen sind derartige Aufreger wie die Aktionen der Letzten Generation und anderer radikaler Klimaaktivisten. Die einen freuen sich, dass überhaupt jemand in aller Schärfe auf die Gefahren des Klimawandels aufmerksam macht. Die anderen ärgern sich über die Störungen des Auto- und Flugverkehrs. Aber kaum jemand interessiert sich dafür, wer diese jungen Menschen eigentlich sind, die ihre eigene Zukunft für die des Planeten aufs Spiel setzen. Dokumentarfilmer Felix Maria Bühler tut genau das. Er möchte zeigen, wie fünf Aktivist*innen ticken, was sie sich erhoffen und woran sie zweifeln. Dabei macht er keinen Hehl aus seiner Sympathie für den Widerstand gegen Politik und Kohlekonzerne. Trotzdem gibt sein Film keine Haltung vor, sondern lässt Raum für unterschiedliche Sichtweisen.
Fürs Klima ins Gefängnis?
Lina, eine junge Frau von gerade mal 18 Jahren, liegt bewusstlos am Boden. Sanitäter knien über ihr, ein Messgerät piepst. Es ist einer der gefährlichen Zwischenfälle beim Hungerstreik von Klimaaktivist*innen im Berliner Regierungsviertel, kurz vor der Bundestagswahl 2021. Öffentliche Gespräche mit den drei damaligen Spitzenkandidaten wollten die Streikenden erzwingen. Vergeblich. Die Aktion musste ergebnislos abgebrochen werden. Sechs Monate später sehen wir Lina wieder. Sie trifft sich mit vier anderen Teilnehmern und Unterstützern in Berlin. Lina hat sich nun dem „Aufstand der letzten Generation“ angeschlossen. Für sie ist es der konsequente nächste Schritt. Die nächsten drei, vier Jahre sind eben entscheidend, um die dramatischen Folgen der Kipp-Punkte beim Klima doch noch zu verhindern.
Was die anderen Mitstreiter von den geplanten Klebe-Aktionen der Letzten Generation halten, möchte Lina wissen. Die vier, im Film mit Tarnnamen präsent, sind nicht durchweg begeistert. Und zwar aus verschiedenen Gründen. Taura hat das Gefühl, mehr zum Aufhalten der Klima-Kippunkte beitragen zu können, wenn sie nicht im Gefängnis sitzt. Fuchs und seine Freundin Charly wollen keine Kampagne mehr unterstützen, die konkrete Forderungen an die Regierung stellt. Es sei nach den Erfahrungen des Hungerstreiks sinnlos, sich davon etwas zu versprechen. Auch Guerrero stellt die Frage nach effektiveren Formen des Widerstandes, jenseits der persönlichen Aufopferung. Trotzdem bleiben die vier nicht minder aktiv als Lina. Wir treffen sie im inzwischen geräumten Kohle-Dorf Lützerath, Im Hambacher Forst, beim Klimastreik von „Fridays for Future“ und bei Aktionen der Gruppen „Ende Gelände“ sowie „Extinction Rebellion“.
Es braucht Vertrauen, einen solchen Film machen zu dürfen. Nicht jeden lassen die radikalen Klimaaktivist*innen an sich heran, schon aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung. Aber der Schweizer Filmstudent Felix Maria Bühler, der selbst eine Zeitlang in Lützerath lebte, durfte die fünf begleiten. Seine Kamera ist hautnah dabei, wenn Lina gegen Tränen kämpft, als sie von wütenden Autofahrern attackiert wird. Er fängt die heitere Stimmung alternativen Lebens in Baumhäusern ein, ebenso wie die Enge und Bedrohung, wenn die Polizei Demonstrierende einkreist und mit Pfefferspray wehrlos macht. Der Regisseur hat ein gutes Gespür für starke Bilder, die keines Kommentars bedürfen. Immer wieder nimmt er schaurig-schöne Zerstörungsszenarien in den Blick, etwa die Mondlandschaft des Tagesbaus. Oder Abrissbagger, die wie Raub-Dinosaurier Barrikaden „fressen“ und Dörfer zertrampeln.
Ängste und Widersprüche
Durch Bühlers Langfilmdebüt lernen wir die fünf Aktivistinnen nicht als abstrakte Gutmenschen oder Bösewichter kennen, sondern als Personen aus Fleisch und Blut, mit allen Emotionen, Träumen, Ängsten und Widersprüchen. Lohnen die Aktionen wirklich den Aufwand? Könnte man mit neuen Ideen nicht mehr erreichen? Und soll man sein ganzes Leben, seine ganze Identität, dem politischen Kampf verschreiben? Solche Fragen ziehen sich wie ein Leitfaden durch den Film, können aber nicht vertieft werden. Denn Bühler verschreibt sich einer streng begleitenden Form des Dokumentierens. Es gibt keinen Off-Kommentar, keine Experteninterviews, und eben auch keine separaten, nur für den Film geführten Gespräche mit den Protagonist*innen. Dadurch kratzt die Dokumentation an der Oberfläche von Momentaufnahmen, statt sich Zeit zu nehmen für eingehendere Reflexionen zur titelgebenden Leitfrage: wie weiter? Das war zum Beispiel beim thematisch ähnlichen Dokumentarfilm Vergiss Meyn nicht (2023) von Kilian Kuhlendahl, Fabiana Fragale und Jens Mühlhoff über den tödlichen Polizeieinsatz am Hambacher Forst anders. Selbst wenn auch hier eine ähnliche Unschlüssigkeit über die Zukunft des Klima-Aktivismus herrschte, so kam man doch den Gedanken und Gefühlen der Aktivist*innen ungleich näher.
Leider färbt die Ratlosigkeit der Protagonist*innen angesichts klimapolitischer Rückschritte auch auf den Film ab. Regisseur Felix Maria Bühler und seine Schnittmeisterin Lena Köhler bemühen sich zwar redlich um Spannungsbögen, vor allem wenn sie den Kampf um Lützerath in den Mittelpunkt stellen. Aber dessen Ausgang ist bekannt und war außerdem in den Nachrichtenbildern präsent. Trotzdem bleibt es ein wichtiges Verdienst, uns mit ein paar Menschen hinter den Barrikaden bekannt gemacht zu haben, statt sie hinter ihrer Vermummung verschwinden zu lassen. Und auch wenn sich der Regisseur jeglichen Kommentars enthält, dürfte es doch kein Zufall sein, dass er ein hoffnungsvolles Zitat ans Ende stellt: „Wir haben Lützerath verloren, aber trotzdem gewonnen“. Weil man nämlich ein Zeichen setzte, dass man die weitere Erderwärmung nicht kampflos hinnimmt.
OT: „Bis hierhin und wie weiter?“
Land: Deutschland
Jahr 2023
Regie: Felix Maria Bühler
Drehbuch: Felix Maria Bühler
Musik: Daria Cheikh-Sarraf
Kamera: Felix Maria Bühler
Hofer Filmtage 2023
Max Ophüls Preis 2024
DOK.fest München 2024
achtung berlin 2024
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