Produzentin Birgit Schulz und Regisseurin Doris Metz bei der Premiere von "Petra Kelly - Act Now!" beim Filmfest München (© Joel Heyd / Filmfest München)

Doris Metz [Interview]

Als die Produzentin Birgit Schulz eine Regisseurin für einen Film über Petra Kelly  suchte, war schnell klar, dass Doris Metz die ideale Besetzung sein würde. Denn die erfahrene Dokumentarfilmerin hat zehn Jahre als Journalistin gearbeitet und die Mitgründerin der Grünen noch „live“ erlebt. In ihrem Porträt der 1992 ermordeten Hoffnungsträgerin schlägt Doris Metz einen Bogen vom damaligen Politikansatz zu den heutigen Aktivistinnen und Aktivisten von „Fridays for Future“. Sie lässt nicht die üblichen Politik-Experten zu Wort kommen, sondern enge Freundinnen, Freunde und Wegbegleiterinnen. Unter anderem hat sie John Kelly getroffen, Petras Halbbruder, der erzählt, wie wichtig der Rückhalt der in den USA lebenden Familie für die Politikerin gewesen ist. Darüber hinaus schildern Ina Fuchs, Büroleiterin von Gert Bastian und Petra Kelly, sowie Milo Yellow Hair, indianischer Aktivist gegen den Uran-Abbau, Lukas Beckmann, langjähriger politischer Vertrauter, und Otto Schily, was für sie das Besondere an Person, Charisma und Wirkung der Grünen-Aktivistin war. Auf dem Filmfest München, wo Petra Kelly – Act Now! Premiere feierte, sprachen wir mit Doris Metz über die Aktualität der Grünen-Mitbegründerin, über die damals nicht beachtete Bedrohung durch Rechtsextremisten und über private Super-8-Filme, die Petra Kelly als lebenslustigen Menschen zeigen.

Sie haben Petra Kelly noch selber erlebt und beobachtet, in Ihrer Zeit als Journalistin. Wie hat sie damals auf Sie gewirkt?

Sie war die große Hoffnungsfigur. Alle hingen an ihren Lippen. Sie verzauberte die, die nach einer anderen Politik suchten in dieser patriarchalen, verkrusteten Bundesrepublik. Sie verkörperte eine Utopie, wie man anders leben und anders Politik machen könnte. Ich bin in Bayern unter Franz-Josef Strauß aufgewachsen und erinnere mich gut, wie Petra Kelly 1982 mit Joseph Beuys nach Kempten kam. Das war ein magischer Moment, weil parallel Strauß seine Sonthofener Rede hielt, wo er alle Andersdenkenden als „Ratten und Schmeißfliegen“ beleidigte. Man muss sich Strauß vor Augen führen, um sich zu vergegenwärtigen, wie anders die politische Kultur war, für die Petra Kelly stand. Sie hatte bereits damals alle Themen miteinander verknüpft, Ökologie, Frauen, Frieden und Menschenrechte. Es war faszinierend, in welchen anderen Bahnen sie dachte. Auch ihr globales Denken war neu. Ich kannte sie zwar nicht persönlich, konnte sie aber aus der Nähe beobachten.

Warum ist ein Film über sie gerade heute so wichtig?

Sie hat modern gedacht und ihr Credo war, dass im Zentrum die Zivilgesellschaft stehen muss. Ihre Botschaft war, dass die Transformation der Gesellschaft nur möglich ist, wenn jeder einzelne sich einbringt. Sie war außerordentlich stark durch die amerikanische Civil-Rights-Bewegung geprägt. Das ist der Bogen, der sich zu den heutigen jungen Klima-Aktivistinnen und Aktivisten spannt. Man darf zwar die Zeiten nicht ahistorisch vermischen. Aber Petra Kelly war schon damals Aktivistin und Politikerin zugleich. Als die Grünen in den Bundestag einzogen, wurden sie noch getragen von einem breiten Bündnis von Gruppierungen aus der Umwelt- und Friedensbewegung. Petra Kelly blieb sich treu, sie war eine der wenigen Grünen Parlamentarier, die den außerparlamentarischen Gruppen verpflichtet blieb. Das ist der Kern, an den die Jungen heute andocken. Luisa Neubauer zum Beispiel sagt, wir müssen die Zivilgesellschaft stärken. Deshalb tritt sie nicht für die Grünen an, obwohl sie Mitglied ist.

Sie haben sich für den Film nun noch einmal lange mit ihr beschäftigt. Hat sich Ihr Bild von Petra Kelly durch die Recherche verändert?

Mich hat die Dimension der Bedrohung erschüttert, der sie ausgesetzt war. Man hat zwar früher auch schon gehört, dass sie bedroht wurde. Aber für den Film habe ich wochenlang recherchiert, ob das wirklich stimmt. Dadurch kam ich auf die rechtsextreme Lyndon LaRouche-Gruppe. Die Dimension der Einschüchterung und Gewaltandrohung durch diese Leute hat mich erschüttert. Petra Kelly wurde weltweit massiv verfolgt. Aber niemand hat das ernst genommen, Anfragen der Grünen im Bundestag dazu wurden abgeschmettert. Man tat so, als hätte es damals außer ein paar Altnazis keine Rechten gegeben. Ich habe auch mit ein paar gestandenen Bonner Journalisten gesprochen. Auch sie sagten, sie hätten das damals nicht ernst genommen. Der zweite Punkt ist die Sache mit dem Doppelselbstmord, den sie und ihr Lebensgefährte Gert Bastian angeblich begangen hätten. Darüber aufzuklären, dass das eine Lüge ist und dass Bastian seine Partnerin im Schlaf erschossen hat, war mir sehr wichtig. Es ist verstörend, dass die Grünen Mörder und Opfer in einer gemeinsamen Trauerfeier gewürdigt haben.

Petra Kelly – Act now!
„Petra Kelly – Act Now!“ erzählt aus dem Leben der gleichnamigen Politikerin. (© Copyright: Archiv Grünes Gedächtnis der Heinrich-Böll-Stiftung e.V. )

Sie haben auch viele private Super-8-Filme gesichtet.

Man hat von Petra Kelly oft das Bild, dass sie moralinsauer gewesen sei. Die privaten Aufnahmen zeigen das glatte Gegenteil. Sie war lustig und hatte viele Liebhaber. Und noch etwas war für mich neu. Das zentralste Ereignis in ihrem Leben war die erfolgreiche Revolution in der ehemaligen DDR 1989. Dass es eine Zivilgesellschaft schafft, gewaltfrei ein System zu stürzen, war der Höhepunkt in ihrem politischen Engagement. Schon einige Jahre vor der Wende hatte sie sich für die Friedensbewegung der DDR und die dortige Opposition eingesetzt.

Ich muss gestehen, vieles für mich war neu, obwohl ich die Entwicklung der Grünen immer mit Interesse verfolgt habe. War es Ihnen wichtig, das Bild von Petra Kelly, das in der deutschen Öffentlichkeit herrscht, zu korrigieren?

Mir war wichtig, ihrem wahnsinnig aktiven Leben in dieser kurzen Zeit gerecht zu werden. Mit 44 Jahren ist sie ja schon ermordet worden. Wenn man sieht, was sie wo alles angeschoben hat, kann man sie nicht mehr in ein deutsches Kästchen packen. Ich wollte den Rahmen weiten und zeigen, wie multiperspektivisch ihr Blick auf die Welt war. Das wurde selbst von ihren politischen Freunden nicht immer verstanden. In einer parteiinternen Korrespondenz steht zum Beispiel, die Petra sei einen Monat in Australien gewesen und habe „mal wieder Urlaub gemacht“. Es wurde nicht verstanden, dass sie in Australien rund um die Uhr für den dortigen Widerstand gegen Uranabbau und illegale Atomtests der Westmächte auf indigenen Gebieten gearbeitet hat. Sie hatte bereits die globale Bewegung im Sinn und politische Vernetzung, während die deutschen Grünen nur mit sich beschäftigt waren.

Über Petra Kellys bewegtes Leben könnte man vermutlich eine Doku-Serie machen. Wovon mussten Sie sich im Schnitt trennen und was davon schmerzte Sie am meisten?

Es schmerzte, dass ich ihr Engagement für Tibet nicht unterbringen konnte. Sie hatte Tibet in Deutschland zum Thema gemacht und den Dalai Lama hierher gebracht. Dieses Feld, ob man Menschenrechtsverletzungen brandmarkt oder aus wirtschaftlichen Interessen unter den Teppich kehrt, ist noch heute hochaktuell. Deshalb hätte ich es gerne gezeigt, ebenso ihre große Nähe zum Dalai Lama. Aber es gibt fast kein Material, um das visuell erzählen zu können. Und den Weg zum Dalai Lama hätten wir mit unserem knappen Budget nicht finanzieren können.

Ich finde sehr erstaunlich, wie anerkennend und reflektiert sich Otto Schily über Petra Kelly äußert, obwohl sie meistens unterschiedlicher Meinung waren. Wie haben Sie das Interview mit Schily erlebt?

Ehrlich gesagt, hat man ihn als Bundesinnenminister auch anders als empathisch erlebt. Aber ich wusste, dass meine Produzentin Birgit Schulz zu ihm einen guten Draht hat, weil sie 2009 den Film Die Anwälte – Eine deutsche Geschichte über die ehemaligen RAF-Verteidiger Otto Schily, Horst Mahler und Christian Ströbele gemacht hatte. Wir haben den Kontakt zu ihm aufgenommen und er sagte, er mache nur mit, wenn Petra Kelly selber zu Wort komme. Sie spreche viel besser für sich als jeder andere. Ich spürte schon beim ersten Recherche-Treffen, wie eng die Verbindung zwischen Schily und ihr war. Man muss auch Joseph Beuys hinzunehmen. Sie waren die drei Promis der Grünen, mit denen die Partei in ihren Anfängen fremdelte. Einerseits brauchte man sie, aber andererseits sollten alle gleich sein. Ich glaube, von daher gibt es eine besonders tiefe Ebene des Verständnisses, weil alle drei mit diesem Hadern der Partei klarkommen mussten. Schily hat das Neue an Petra Kelly gesehen. Er bewunderte, wie sie Bilder prägen konnte, die die Menschen bewegten. Und er war ebenfalls ein akribischer Arbeiter. Nachts um drei trafen sie sich manchmal am Faxgerät.

Haben Sie auch Joschka Fischer angefragt?

Ja, aber ich habe eine Abfuhr bekommen.

Ich vermute, dass Sie insgesamt viel mehr Gesprächspartner hatten als die, die man im Film sieht. Ist es ein bewusstes Konzept von Ihnen, sich auf eher wenige Protagonisten zu beschränken?

Möglichst viele Interviews hintereinander zu hängen, ist eher eine Fernsehtaktik. Wenn ich die Chance habe, mit Fördergeldern einen Kinofilm zu drehen, möchte ich anders arbeiten. Ich glaube, es zahlt sich aus, den Interviewpartnern Zeit zu geben. Darum habe ich sehr genau überlegt, wen ich überhaupt frage und auch versucht, für jeden Lebensbereich von Petra Kelly jemanden zu finden. Leute, die ständig in der Öffentlichkeit reden, sind nicht unbedingt die, die für Dokumentarfilme weiterführen. Für mich ist das Geheimnis die Kraft der Beziehung, die ein Gesprächspartner mit Petra Kelly hatte. Das spürt man sogar bei schon verstorbenen Menschen wie Bärbel Bohley. Das hört man sogar auf der Tonspur. Mit wenigen Protagonist:innen kann man Intensität besser abbilden und herstellen.

Eine Ihrer Protagonistinnen vermutet, dass Petra Kelly heute bei Aktionen der Letzten Generation mitmachen würde, wenn sie noch am Leben wäre. Teilen Sie diese Einschätzung?

Das ist natürlich Spekulation. Eine solche Behauptung ist ahistorisch. Aber es spricht etwas dafür, dass Petra Kelly das zivilgesellschaftliche Engagement weiter sehr am Herzen läge. Ich war neulich bei einer Veranstaltung, bei der zwei Vertreter der palästinensisch-israelischen Friedensinitiative „Combattants for Peace“ sprachen. Das waren Militärs, die über Gewaltfreiheit reden. Da dachte ich, Petra Kelly würde, wenn sie heute noch leben würde, im Publikum sitzen und einen flammenden Beitrag zur Gewaltfreiheit leisten. Es war eines ihrer ureigensten Themen, dass man eine Befriedung der Gesellschaft nur von innen heraus betreiben kann, indem man gewaltfreien Widerstand praktiziert und auch erzählt, wie schwer das ist.

Zur Person
Doris Metz wuchs im Allgäu auf. Nach dem Studium der Germanistik und Politik in München und einem Volontariat bei der Süddeutschen Zeitung arbeitete sie zehn Jahre als Redakteurin und Autorin des Blattes im Bereich Medien und Innenpolitik. Ihre ersten Filme machte sie in ihrer Wahlheimat Griechenland. Die Dokumentation Lesbos – Insel der Zehnten Muse (1998) wurde unter anderem für den Grimme-Preis nominiert. In ihrem ersten Kinodokumentarfilm Ich werde reich und glücklich (2002) setzte sie sich mit den fragwürdigen Versprechen von Motivationstrainern kritisch auseinander. 2005 erschien ihr vielbeachteter Film Schattenväter über die Söhne von Willy Brandt und DDR-Spion Günter Guillaume, in dem Matthias Brandt erstmals öffentlich über seinen Vater spricht. Zuletzt realisierte sie gemeinsam mit Imogen Kimmel Trans – I Got Life (2021). Die Filmemacherin arbeitet auch als Produzentin und Co-Produzentin. Sie war von 2016 bis 2020 im Bundesvorstand der AG DOK und ist seit 2016 stellvertretendes Mitglied im WDR-Rundfunkrat.



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