Der Jockey Remo (Nahuel Pérez Biscayart) ist ein Ausnahmetalent. Sein immenser Erfolg im Rennstall des Mafiabosses Sirena (Daniel Giménez Cacho) führt dazu, dass dieser ihm nicht nur seine Drogenexzesse verzeiht, sondern auch Millionen für neue Rennpferde ausgibt. Doch Remos destruktives Verhalten und sein immer weiter eskalierender Missbrauch von Drogen und Alkohol belasten seine Beziehung zu seiner Kollegin Abril (Úrsula Corberó), die ein Kind von ihm erwartet. Als er während des wichtigsten Rennens des Jahres unter Drogeneinfluss einen Unfall verursacht, bei dem sein Rennpferd stirbt und er selbst ins Krankenhaus eingeliefert wird, fällt er bei Sirena in Ungnade und muss vor dessen Schergen fliehen.
Erzählerisches Überraschungs-Ei
Die Inhaltszusammenfassung von Kill the Jockey ist fast schon irreführend, da der Film handlungstechnisch viel mehr bietet, als seine Prämisse verspricht. Regisseur Luis Ortega (Der schwarze Engel) erzählt eine Odyssee des Protagonisten und dessen Suche nach Bestimmung, Liebe und innerer Zufriedenheit. Über die gesamte Laufzeit spielt der Film mit den Erwartungen des Publikums und wechselt immer wieder seine Handlungsrichtung, ohne je zu verraten, wohin die Reise geht. Kill the Jockey beginnt als Mafia-Thriller im Stil der 1950er Jahre, schlägt aber bereits in der ersten Hälfte eine andere Richtung ein und integriert einen spirituellen Aspekt, bei dem Identität und Wiedergeburt eine zentrale Rolle spielen.
Nach einem Unfall auf der Rennstrecke wacht Remo in einem Krankenhaus auf, zieht sich zufällig bereitliegende Frauenkleidung an und spaziert mit einem Kopfverband durch die Straßen von Buenos Aires. Die Passanten begegnen ihm sowohl mit fragenden als auch mit interessierten Blicken – diese Szene spiegelt quasi die Emotionen des Publikums wider. Seine neue, weibliche Identität als Dolores wird weder hinterfragt noch abgelehnt. Im Gegenteil: Straßenkinder folgen ihr und sehen in Remo/Dolores eine Mutterfigur, seine Freundin Abril erkennt den Wandel und beginnt sich erneut in ihn zu verlieben, und sogar Sirena akzeptiert sein neues Ich, auch wenn ihn das nicht von seinen Rachegelüsten abbringt.
Thematischer Humor
Kill the Jockey ist mindestens eine spannende und kuriose Kinoerfahrung, auch wenn der Film seine Handlung nur schrittweise und so weit preisgibt, dass das Publikum nicht vollends das Interesse verliert. Zusätzlich integriert Luis Ortega einen ganz eigenen Humor in den Film, der auf seine Weise surreal und skurril ist. Egal ob Slapstick-Einlagen, Fieberträume oder der seltsame Fakt, dass Sirenas Baby nicht zu altern scheint – Kill the Jockey schafft den Spagat zwischen tiefsinnigen philosophischen Themen, die Raum zur Eigeninterpretation lassen, und skurrilem, aber wirkungsvollem Humor.
Innere Ambivalenzen
Spätestens nach seinem Unfall und dem Krankenhausaufenthalt befindet sich Remo in einer Abwärtsspirale und Identitätskrise. Seine Selbstwahrnehmung schwankt zwischen Mann und Frau, Gangster und Mutter, sein Geisteszustand pendelt zwischen Klarheit und Delirium. Diese bizarren Gegensätze wirken wie ein Spiegel einer zersplitterten menschlichen Seele, zeigen aber auch die Vielfalt an Persönlichkeiten, die ein Mensch in sich tragen kann. Nahuel Pérez Biscayart (120 BPM) verleiht Remo in jeder Phase seiner Entwicklung eine beeindruckende Präsenz und glänzt in jeder Darstellung der vielen Facetten seiner Figur. Auch die Nebendarsteller überzeugen, angeführt von Úrsula Corberó als desillusionierte Partnerin und Daniel Giménez Cacho als Mafiaboss. Die Chemie zwischen allen Charakteren funktioniert extrem gut. Selbst abseits der Liebesbeziehungen entsteht der Eindruck, dass alle Figuren auf seltsame Weise von Remo angezogen sind – auch, wenn sie gleichzeitig Jagd auf ihn machen, um ihn zu töten.
OT: „El Jockey“
Land: Argentinien, Spanien, USA, Mexiko, Dänemark
Jahr: 2024
Regie: Luis Ortega
Drehbuch: Fabian Casas, Luis Ortega, Rodolfo Palacios
Musik: Sune Rose Wagner
Kamera: Timo Salminen
Besetzung: Nahuel Pérez Biscayart, Adriana Aguirre, Roberto Carnaghi, Úrsula Corberó, Mariana Di Girólamo, Daniel Fanego, Daniel Giménez Cacho
Venedig 2024
Toronto International Film Festival 2024
San Sebastian 2024
Filmfest Hamburg 2024
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