Szenenbild Rosalie
© 2024 Tresor Films / Gaumont / LDRP II / Artemis Productions / X-Verleih

Rosalie

Rosalie Filmplakat
Rosalie // Deutschland-Start: 19. September 2024 (Kino)

Inhalt / Kritik

Irgendwo auf dem Lande in Frankreich, Ende des 19. Jahrhunderts. Die junge, hübsche Rosalie (Nadia Tereszkiewicz) wird mit dem kriegsversehrten Wirtshausbesitzer Abel Dulac (Benoît Magimel) verheiratet. Dieser ehelicht sie aufgrund ihrer Mitgift, die er braucht, um seine Schulden abzubauen. Doch in der Hochzeitsnacht erlebt Abel eine unerwartete Überraschung: Rosalie hat starken Haarwuchs am ganzen Körper, ein Geheimnis, welches durch regelmäßige Geschichtsrasur bislang versteckt werden konnte. Der frisch gebackene Ehemann ist alles andere als begeistert, doch Rosalie versucht sich ihm gewogen zu machen und entwirft einen Plan, wie man seine Schulden weiter tilgen kann: Sie präsentiert sich zum ersten Mal mit ausgewachsenem Bart in der Öffentlichkeit und zieht so Klientel und Schaulustige für das Lokal an. Doch können die Ortsgemeinschaft und ihr Gatte Rosalies Außergewöhnlichkeit wirklich akzeptieren?

Historisch inspiriert und schauspielerisch überzeugend

Frauen mit Bart bringen es immer wieder zu fragwürdiger Berühmtheit wie z.B. die in The Greatest Showman dargestellte Annie Jones oder die britische Motivationsrednerin und Social-Media-Persönlichkeit Harnaam Kaur. Fragwürdig deswegen, weil der Bekanntheitsgrad wohl in erster Linie daher rührt, dass diese Bearded Ladies bis heute als andersartig und kurios wahrgenommen werden und früher sogar häufig in sogenannten „Freakshows“ vorgeführt wurden. Man braucht nicht viel Vorstellungskraft oder Einfühlungsvermögen, um sich die Ausgrenzung, Beleidigung und Diskriminierung vorzustellen, welche diese Menschen historisch erfahren haben oder auch heutzutage noch erleben. Grund genug, dieses Thema auf die große Leinwand zu bringen, wie es Regisseurin und Drebuchschreiberin Stéphanie Di Giusto hier getan hat.

Rosalie basiert auf der Lebensgeschichte der historischen Bearded Lady Clémentine Delait. Die Französin lebte von 1865 bis 1939 und betrieb mehrere Jahre gemeinsam mit ihrem Mann in der Kleinstadt Thaon-les-Vosges ein Lokal namens „Le café de la Femme à Barbe“ (= Café zur bärtigen Frau). Der Film knüpft an diese historischen Fakten jedoch nur recht weitläufig an und bringt stattdessen eine eigene Erzählung auf die Leinwand. Besonders geglückt ist dabei die Wahl der Hauptdarstellerin Nadia Teresziewicz, welche die Figur der Rosalie mit großer emotionaler Bandbreite darstellt. In Körperhaltung, Mimik und Gestik reichen die Emotionen von herzzerreißend verzweifelt über unbeholfen verführerisch bis konfrontativ provokant und lassen die Zuschauer:innen zweifellos im Auf und Ab dieser Lebensgeschichte mitfühlen. Die Sympathie für die Situation der Hauptfigur trägt den Film, unterstützt von schöner Szenerie und Bildsprache, die zwar nicht außergewöhnlich, aber stimmig sind. Und Rosalies bezaubernde Kleider lassen bei Fans von Kostümfilmen sicherlich auch keine Wünsche offen.

Gute Fragen, keine befriedigenden Antworten

Leider erfreut die Entwicklung der Figuren und der Story weniger. Es ist schwer nachzuvollziehen, wodurch sich Rosalie von der verschüchterten Braut, welche um die Gunst des Ehemannes kämpft, plötzlich zur selbstbewussten Bartträgerin wandelt. Ebenso rätselhaft bleibt, warum sie sich überhaupt so um eben diesen Mann und sein Wohl bemüht. Auch wenn man seinen anfänglichen Schock sicherlich nachvollziehen kann, heiratet er Rosalie doch nur aus finanziellen Gründen, lehnt sie anfangs vehement ab, unterschätzt sie und ihre Ideen konsequent und braucht alles in allem ärgerlich lang, um sie letztendlich doch anzuerkennen und zu lieben. Da ist Rosalies Bart beim Publikum schon viel früher zur visuellen Normalität geworden. Noch weniger Einsicht erhält man zu den Antagonisten, dem örtlichen Fabrikbesitzer Barcelin und seinem Mitarbeiter Pierre. Ihre konfrontative Handlungsweise und inneren Beweggründe bleiben überwiegend rätselhaft.

Man könnte das Drama im positiven Sinne als realistisch interpretieren. Niemand in diesem Film ist perfekt. Selbst Rosalie kann nicht wirklich als feministische Botschafterin für Body Positivity herhalten, dazu ist sie viel zu unkritisch mit ihren engsten männlichen Bezugspersonen – ihrem Vater und Abel – und bedient zu viele gesellschaftliche Konventionen, z.B. mit ihrem unbedingten Kinderwunsch und in ihrer traditionell weiblichen Fürsorgerolle. Auch das anfänglich überraschende Wohlwollen der Dorfgemeinschaft schlägt letztlich größtenteils in Ablehnung und sogar Gewalt um. Demgegenüber steht aber bspw. eine eine Szene mit einer sehr unrealistischen ärztlichen Einschätzung (eine Quasi-Diagnose der Stoffwechselstörung PCOS), welche den damaligen Stand der Medizin weit übersteigt.

Der Film versteht es zweifellos, relevante Denkanstöße zu liefern. Ist eine Frau keine Frau mehr, bloß weil sie einen Bart hat? Woher kommt der Widerwille oder gar Hass gegenüber Andersartigkeit, wenn man doch ebenso auf das schauen könnte, was uns gemeinsam ist? Wie erschließen wir uns die Schönheit jenseits von gesellschaftlichen Konventionen? Doch hätte man sich inspiriertere Antworten darauf erhofft. Und ein wenig mehr Optimismus. Da bleibt einem nur, nach dem Abspann von der besseren Welt zu träumen. Das zumindest werden wohl die meisten Zuschauer:innen tun.

Credits

OT: Rosalie
Land: Frankreich, Belgien
Jahr: 2024
Regie: Stéphanie Di Giusto
Drehbuch: Stéphanie Di Giusto, Sandrine Le Coustumer
Musik: Hania Rani
Kamera: Christos Voudouris
Besetzung: Nadia Tereszkiewicz, Benoît Magimel, Benjamin Biolay, Guillaume Gouix, Gustave Kervern

Bilder

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Rosalie
Fazit
Dieser Film hat sooo einen Bart – oder vielmehr hat diesen die namensgebende Hauptfigur Rosalie, wunderbar verkörpert von Hauptdarstellerin Nadia Tereszkiewicz. Das historisch inspirierte Kostümdrama ist visuell ansprechend in Szene gesetzt, es mangelt ihm aber bei der Figurenzeichnung und Story. Insgesamt dennoch ein solides Filmerlebnis.
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