Sebastian Szenenbild
© Salzgeber & Co. Medien GmbH

Sebastian

Filmplakat Sebastian
„Sebastian“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Inhalt/Kritik

Max (Ruaridh Mollica) arbeitet freiberuflich bei einem Literaturmagazin in London, möchte eigentlich aber lieber eigene Werke veröffentlichen, als weiter die von anderen zu rezensieren. Einige seiner fiktionalen Kurzgeschichten über den schwulen Sexarbeiter Sebastian wurden bereits von einem Verlag publiziert und er erhält die Chance, bei diesem auch einen Roman zum gleichen Thema herauszubringen. Doch niemand weiß: Die Figur Sebastian beruht auf Max’ eigenen sexuellen Begegnungen als Escort – mit überwiegend deutlich älteren Männern als er selbst. Als Triebfeder für sein literarisches Schaffen drängt es ihn verstärkt in die Sexarbeit und die Grenzen zu seiner öffentlichen Person weichen immer mehr auf. Wo hört Max auf und wo fängt Sebastian an?

Von Sexarbeit und Autofiktion

Regisseur Mikko Mäkelä ist selbst queer und in London ansässig. Bei der Vorführung seines Films beim queerfilmfestival in Berlin erzählt er, dass es in seinem Umfeld gängig ist, sich nebenbei als Sexarbeiter zu verdingen – als gelebte Normalität gänzlich anders als jene Erzählungen voller Trauma und Scham, die man dazu üblicherweise auf der Leinwand erleben kann. In Sebastian erhält man tatsächlich einen differenzierteren Blick auf das Thema Sexarbeit. Max und seine Klienten werden ebenso begierig-dominant wie verletzlich und liebevoll gezeigt – ohne  dabei die potentiellen Gefahren des Gewerbes zu verharmlosen. Zur gründlichen Darstellung gehört es auch, die beteiligten Körper in all ihren Formen zu zeigen, egal ob schlank, jung, akkurat rasiert und durchtrainiert oder mehrgewichtig, haarig und faltenreich. Und während es im Film dementsprechend nicht an nackter Haut mangelt, geht es doch um so viel mehr als Sex.

Denn eine weiterer, zentraler Aspekt des Films ist der kreative Prozess der Autofiktion und wie das Schreiben und die gelebte Realität miteinander in Wechselwirkung stehen. Sebastian ist Max’, sein Pseudonym als Escort, gleichzeitig aber auch das Sujet von Max’ literarischen Schreiben. Die Grenzen zwischen beiden sind anfangs noch recht klar, verschwimmen aber zunehmend. Mehrfach lässt Max seine eigene Handlungsweise von kritischen Anmerkungen zu seinem Romanentwurf beeinflussen, z.B. von Seiten seines Verlags. Dies hat wiederum natürlich Auswirkungen auf den Handlungsverlauf des Films, womit Mäkelä eine kluge Metaebene zum eigenen Schaffensprozess über seine Figur Sebastian-Max aufmacht. Dabei gestattet der Regisseur sich auch einen kleinen Seitenhieb gegen den Kulturbetrieb, welcher – von wirtschaftlichen Interessen geleitet – durchaus manchmal Druck ausübt, um Werke in eine bestimmte Richtung zu lenken.

Inhaltlich und handwerklich überzeugend

Im Kern ist Sebastian ein Film über das Finden der eigenen Identität, das Zusammenbringen der verschiedenen Persönlichkeiten, die in einem schlummern: Der Schriftsteller, der Sexarbeiter, der gute Freund, der Angestellte, der Sohn oder auch der einsame, schwule junge Mann in London. In diesem Sinne beinhaltet die Story zwar sowohl „Coming Out“ als auch „Coming of Age“, ist aber vor allem ein „Coming together“. All dies schauspielerisch zu tragen ist eine anspruchsvolle Aufgabe, welcher Hauptdarsteller Ruaridh Mollica glücklicherweise vollends gewachsen ist. Im Film wird Max-Sebastian einmal erklärt, er habe so ein „netter Junge von nebenan Ding“ für sich laufen und selbiges trifft auch auf Mollica zu, wenn er Max’ schüchterne und verletzliche Seiten herauskehrt. Ebenso mühelos kann er aber auch in wütend aufgebrachte, schamvolle oder heftig lustvollen Momente übergehen.

Die übrigen Figuren sind ebenfalls ausgezeichnet besetzt und wirken jederzeit lebendig und echt, selbst wenn man nur wenige Infos zu ihnen erhält. Darunter z.B. Max’ Magazinkollegin und beste Freundin Amna (HIftu Quasem) oder seine gegensätzlichen Klienten Daniel (Ingvar Sigurdsson), ein dominant auftretender Geschäftsmann, und Nicholas (Jonathan Hyde), ein zurückhaltender Literaturliebhaber. Die Kamera bleibt – den inhaltlichen Themen angemessen – nah am Protagonisten dran, die intimen Szenen sind unverblümt, aber nie unnötig explizit oder gar vulgär. Dazu werden auch die Orte, an denen der Film spielt, inszenatorisch geschickt eingesetzt. So spiegelt sich bspw. Max’ innere Identitätssuche und Rastlosigkeit ins Außen, wann immer er sich in den Straßen der Stadt und unter Menschen verliert. Über ein paar Stolpersteine im Erzählfluss während des letzten Drittels kann man dann auch getrost hinwegschauen, wenn der Film doch in allen anderen Punkten derart zu überzeugen versteht.

Credits

OT: „Sebastian“
Land: Großbritannien, Belgien, Finnland
Jahr: 2024
Regie: Mikko Mäkkelä
Drehbuch: Mikko Mäkelä
Musik: Ilari Heinilä
Kamera: Ikka Salminen
Besetzung: Ruaridh Mollica, Hiftu Quasem, Ingvar Sigurdsson, Jonathan Hyde, Leanne Best, Lara Rossi

Bilder

Trailer

Filmfeste

Sundance Film Festival 024
queerfilmfestival 2024

Kaufen/Streamen

Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.




(Anzeige)

Sebastian
Fazit
In "Sebastian" verbindet Regisseur Mikko Mäkelä mühelos eine Geschichte vom Finden der eigenen (queeren) Identität mit selbstreferentiellen Beobachtungen über die Natur von Autofiktion und einer erfreulich differenzierten Darstellung von Sexarbeit. Die kluge Inszenierung punktet zudem mit hervorragendem Schauspiel bis in die Nebenrollen. Eine klare Empfehlung - auch, oder vielleicht besonders, für Heteronormative.
Leserwertung0 Bewertungen
0
9
von 10