The Found Footage Phenomenon
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The Found Footage Phenomenon

The Found Footage Phenomenon
„The Found Footage Phenomenon“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Inhalt  Kritik

Eine Grundthese der Horrorliteratur sowie von Horrorfilmen ist, dass sie dann funktionieren, wenn sie an unsere Urängste anknüpfen. Dracula oder Frankenstein bedienen die Furcht vor dem Tod, vor Krankheit oder dem körperlichen Verfall sowie die Idee, dass wir als Menschen eben nicht so einzigartig sind, wie wir vielleicht annehmen. Andererseits sind diese Erzählungen ebenso Fantasien und nach dem Weglegen des Romans oder beim Verlassen des Kinos verlassen wir sie und können den Horror, den wir gerade erlebt haben, abschütteln. Natürlich bleibt das ein oder andere Bild oder dieser oder jener Moment im Gedächtnis, jedoch können wir ihn mit einer gewissen Distanz betrachten, beispielsweise bei der Diskussion mit Freunden.

Horror, wie auch andere Genres, hat immer wieder versucht, den oben beschriebenen Effekt nicht nur zu verstärken, sondern zu verlängern, indem unter anderem der Horror nicht mehr als reine Fantasie auftrat. Wenn der Horror auf einmal nicht mehr länger in der Fantasie stattfindet, aber in unserer Welt verankert ist, kann man nicht mehr so schnell abschalten und sieht vielleicht sogar die Welt um einen herum mit anderen Augen. Auf dieser Idee beruht unter anderem ein Subgenre wie Found Footage, was durch Filme wie The Blair Witch Project und viele andere Vertreter berühmt wurde und bis heute einen festen Platz innerhalb des Genres einnimmt.

In ihrer Dokumentation The Found Footage Phenomenon gehen die Regisseure Sarah Appleton und Philip Escott dem Genre auf den Grund und erzählen dessen Geschichte mithilfe zahlreicher Filmausschnitte sowie anderer Filmemacher und anderer Gesprächspartner. Da The Blair Witch Project 2024 sein 25-jähriges Jubiläum feiert, setzt das diesjährige SLASH Filmfest einen Fokus auf das Found-Footage-Genre und zeigt viele seiner Vertreter in seinem Programm. Daher darf eine Dokumentation wie die von Appleton und Escott nicht fehlen, wenn es darum geht, die Geschichte, die wichtigsten Filme und die verschiedenen Einflüsse des Genres zu zeigen und zu diskutieren. Neben bekannten Werken wie Blair Witch Project, [REC] oder Paranormal Activity werden aber auch Filme wie der britische Ghostwatch oder der weniger bekannte The McPherson Tape genannt. Neben den Regisseuren der genannten Filme werfen Appleton und Escott zudem einen Blick auf die technische Entwicklung, die es möglich machte, dass in den späten Neunziger und in den Folgejahren Found Footage einen wahren Boom erlebte.

Was ist real?

Found Footage basiert auf der Prämisse, dass das im Film Gezeigte tatsächlich passiert ist und der Zuschauer kein fiktionales Werk sieht. Vielmehr wird uns etwas „Gefundenes“ gezeigt, was von Menschen gefilmt wurde, die dieses Erlebnis meist nicht überlebt haben. Der Film ist meist beschädigt, sehr amateurhaft gemacht und zeigt bisweilen auch Dinge, die man in anderen Horrorfilmen wohl eher nicht sehen würde, beispielsweise den banalen Alltag einer Familie wie in den Paranormal Activity-Filmen. In The Found Footage Phenomenon definieren Autoren wie Shellie McMurdo oder Alexandra Heller-Nicholas das Genre nicht nur, denn sie zeigt, wie sehr der technische Fortschritt zu der Zeit, die Mediengesellschaft und sowie die damit einhergehende Veränderung von Sehgewohnheiten einen Einfluss darauf hatte, dass Horrorregisseure auf diesen Wandel reagieren wollten.

Im Gespräch über die Genese von Cannibal Holocaust spricht Regisseur Ruggero Deodato davon, dass eine wichtige Inspiration die Reaktion seines Sohnes auf die Nachrichten und die darin gezeigten Brutalitäten war, die er nicht mehr länger ertragen wollte. Found Footage will die Nähe zur Realität und evoziert diese sowohl erzählerisch wie auch technisch, was in den besten Fällen zu einem Seherlebnis führt, was sehr intensiv ist und nicht mehr erlaubt, dass man sich in das bekannten Mantra flüchten kann, es sei ja alles nur ein Film. In diesem Zusammenhang ist auch interessant, wenn Appleton und Escott auf die Werbekampagnen oder die Wirkungsgeschichte von Filmen wie Cannibal Holocaust oder Blair Witch Project zu sprechen kommen, die über das Werk hinaus darauf abzielten, dessen Wirkung noch zu vertiefen.

Insgesamt also ist The Found Footage Phenomenon sicherlich eine Dokumentation, die sich an Horrorfans richtet, aber auch jene, die an der Verbindung von Kunst und Gesellschaft interessiert sind. Ästhetisch und erzählerisch muss man jedoch anmerken, dass bei einer Laufzeit von über anderthalb Stunden nach einer Weile etwas im Kreis dreht und etwas mehr Stringenz dem Projekt sicherlich gut getan hätte, vor allem, wenn der Erkenntnisgewinn nicht mehr unbedingt zunimmt.

Credits

OT: „The Found Footage Phenomenon“
Land: UK
Jahr: 2021
Regie: Sarah Appleton, Philip Escott
Drehbuch: Sarah Appleton, Philip Escott
Kamera: Jim Kunz, Sarah Appleton

Trailer

Filmfeste

Sitges 2021
SLASH 2024

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The Found Footage Phenomenon
fazit
„The Found Footage Phenomenon“ ist eine interessante, wenn auch etwas zu lang geratene Dokumentation über Found Footage Horror, dessen Geschichte und Einflüsse. Sarah Appleton und Philip Escott nutzen zahlreiche Filmausschnitte sowie Mitschnitte aus Interviews mit Regisseuren und Autoren, um ein ausführliches und informatives Porträt des Subgenres zu zeigen.
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