Tetsu (Tetsuya Watari) ist in der Unterwelt Tokios wegen seines Temperaments gefürchtet, doch ebenso bekannt für seine Loyalität zu Yakuza-Boss Kurata (Ryuji Kita), der ihn zu seiner rechten Hand gemacht hat. Kurata will jedoch mit dem Leben als Verbrecher abschließen, sodass sich auch Tetsu dazu entschließt, kein Yakuza mehr zu sein, und einen Nachtklub erwirbt. Allerdings kehrt der Unterwelt niemand ohne Folgen den Rücken, was die beiden schon bald zu spüren bekommen, als die anderen Bosse ihre Fühler nach Kuratas Machtbereich ausstrecken. Besonders Otsuka (Hideaki Esumi), der noch eine Rechnung mit Tetsu zu begleichen hat, sieht seine Gelegenheit gekommen und verwickelt Kurata in ein Mordkomplott. Tetsu versucht seinen Boss zu schützen, doch dabei gerät er in die Zielscheibe skrupellose Yakuza-Killer, die in ihm einen lästigen Mitwisser sehen. Selbst als er Tokio verlässt, folgen sie seiner Spur und ein letztes Duell scheint unvermeidlich.
Gegen das System
Als Seijun Suzuki die Regie zu Tokyo Drifter übernahm, war er bereits viele Jahre für das traditionsreiche Filmstudio Nikkatsu beschäftigt gewesen und hatte wie seine Kollegen etliche Filme gedreht, viele von ihnen reine Fließbandproduktionen. Doch die gesellschaftlichen und kulturellen Umwälzungen der Zeit gingen auch an der Filmindustrie nicht ohne Folgen vorüber, sodass Suzuki sich nach mehr Einfluss auf seine Projekte sehnte und mit teils ungewöhnlichen Maßnahmen diese letztlich erlangte. Tokyo Drifter kann als ein Wegbereiter eines Prozesses gesehen werden, innerhalb dessen sich Suzuki mehr und mehr von den in alten Strukturen festgefahrenen Filmstudios loslöste, was schließlich nach der Veröffentlichung von Branded to Kill zu einem endgültigen Bruch führte. So ist Tokyo Drifter zwar auf der einen Seite immer noch ein Gangsterfilm, doch zugleich einer, der sich erzählerisch wie auch ästhetisch von vielen anderen Genreproduktionen abhebt und so etwas wie das japanische Pendant zu Jean-Luc Godards Außer Atem bildet.
Die Unterwelt Tokios, wie man sie aus vielen anderen Filmen kennt, war wahrscheinlich noch die bunter als in Tokyo Drifter. Neben Sets wie Tetsus Nachtklub, in dem die Menschen zu für die 60er moderner Popmusik ausgelassen tanzen, sind es vor allem die Farben und die Kameraperspektiven, die Suzuki auswählt, die Tokyo Drifter ein sehr individuelle Note geben. Die Verhandlungen der Bosse finden vor einer pinken Wand statt und nicht selten kommt es vor, dass man als Zuschauer auf Comics oder auf Produkte wie einen Fön aufmerksam gemacht wird. In Verbindung mit dem für den Yakuza-Film typischen Narrativ um Loyalität und Verrat wirken solche Szenen fast schon wie die konsumkritischen Kommentare in den Experimentalfilmen Godards. All dies ist aber nicht bloßes Beiwerk oder Dekor, sondern je nach Szene eine Art ironischer Bruch oder eine Verdeutlichung von der Einsamkeit des Helden. Die Tradition der Yakuza, die nach wie vor an ihren Bräuchen und Riten festhält, wirkt beinahe wie ein Relikt in dieser Zeit, doch zugleich sehr mächtig, weil Bosse wie Kurata und Otsuka nach wie vor hinter den Kulissen die Fäden in der Hand haben und über Leben und Tod entscheiden.
Ein Held ohne Wurzeln
Dieser Bruch zeigt sich schon in dem von Tetsuya Watari gespielten Helden. Auf der einen Seite ist er einer der berühmten „harten Hunde“, deren Temperament gefürchtet ist unter anderen Gangstern, doch andererseits steht er außerhalb der Ordnung, durch sein Handeln sowie sein Äußeres. Wie um dies zu betonen lässt ihn Suzuki pfeifend und den Titelsong singend durch eine verschneite Landschaft ziehen, was eines von vielen unvergesslichen Bildern dieses Filmes ist. Wie Jean-Paul Belmondo in Außer Atem ist Tetsu einer, der die Gangsterpose kann, der durch aber ebenso mehr und mehr zum Einzelgänger oder vielmehr zum „Drifter“ wird, der schließlich nirgendwo mehr hin gehört. Von der Organisation, der er die Treue geschworen hat, im Stich gelassen, bleibt ihm nur ein beschwerlicher Alleingang, welcher unausweichlich zu einer interessanten Neuorientierung des Gangster-Charakters führt. Der Rebell gegen die Ordnung will sich emanzipieren, kann dies aber nur durch einen letzten brutalen Schnitt tun, was Suzuki in einem knallbunten und bleihaltigen Finale zeigt.
OT: „Tokyo o nagaremono“
Land: Japan
Jahr: 1966
Regie: Seijun Suzuki
Drehbuch: Kohan Kawauchi
Musik: Hajime Kaburagi
Kamera: Shigeyoshi Mine
Besetzung: Tetsuya Watari, Ryuji Kita, Hideaki Esumi, Hideaki Nitani, Tamio Kawaji, Chieko Matsubara
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