In Marinette – Kämpferin. Fussballerin. Legende. widmet sich Filmemacherin Virginie Verrier der französischen Frauenfußballikone Marinette Pichon, welche in ihrem Leben mit verschiedensten Problemen zu kämpfen hatte – von gewaltvollen Familien- und Liebesbeziehungen über die Suche nach der eigenen sexuellen Identität bis hin zum schwierigen Stand von Frauen im Profisport.
Zum Home-Entertainment-Start des Films am 5. September 2024 haben wir uns mit der Regisseurin über ihre Motivation unterhalten, ein Sport-Biopic zu machen, welche Parallelen sie zwischen der Sport- und Filmwelt sieht und warum der Film auch etwas für all jene ist, die sich gar nicht für Fußball interessieren.
Spielen Sie Fußball?
Nein. (Lacht)
Noch nicht einmal probiert?
Während des Drehs habe ich versucht gegen Marinette ein Tor zu schießen. (Erneutes Lachen)
Doch Sie verfolgen Fußball? Oder wie sind Sie auf das Thema bzw. die Person gekommen?
Ich habe als Jugendliche Sport gemacht, Leichtathletik, und interessiere mich sehr für Sport. Auch für Fußball, wenn auch nur für die großen Matches.
Wie genau kam dann die Entscheidung zustande, sich die Person Marinette Pichons als Thema für den Film zu nehmen?
Sport hat mich als Persönlichkeit sehr stark geprägt, außerdem liebe ich Biopics sehr, daher hatte ich Lust ein Sport-Biopic machen. Also habe ich angefangen zu recherchieren und festgestellt, dass es nur sehr wenige Filme über Sportlerinnen gibt. Frauenfußball hatte ich auch nicht auf dem Schirm. Es war eher Zufall, dass jemand mich anrief und erzählte, dass Marinette Pichon ihre Memoiren herausbringen wird und ob das nicht etwas für meinen neuen Film sei. Und ich fragte: „Wer ist Marinette Pichon?“ (Lacht)
So entdeckte ich also ihre Biografie und las sie innerhalb von einer Stunde durch. Und ich wusste: Diese Person muss ich kennenlernen. Ich hängte mich ans Telefon und am nächsten Tag haben wir uns zum Mittagessen getroffen. Wir haben uns unterhalten und am Ende sagte sie mir: „Wenn eine Person über mein Leben einen Film macht, dann kannst nur du es sein.“ Wir hatten direkt eine großartige Verbindung.
Wie war Marinette im weiteren Verlauf involviert?
Nicht so sehr. Ich habe ein paar Interviews mit ihr und ihrer Familie und ihrem Umfeld gemacht und als das Drehbuch soweit stand, habe ich mir die Zeit genommen, es ihr und ihrer Frau in Ruhe vorzulesen. Das hat ganze 4 Stunden gebraucht. Ich habe Sequenz für Sequenz genau erklärt, was ich vorhabe. Und am Ende sagte sie: Okay, mach’s!
Sie haben beim Film Regie, Drehbuch und Produktion übernommen. Wie ist das, wenn man nicht die Geschichte einer fiktiven Figur zeigen möchte, sondern einer Person, die man persönlich treffen kann und von der auch so viel Privates aus dem Familienbereich erzählt wird? Geht das mit Nervosität einher? Ist es schwierig zu entscheiden, was man erzählt und wie?
Zu Beginn des ganzen Prozesses sagte ich zu Marinette, dass ich alles erzählen möchte. Also die Vergewaltigung der Großmutter, wie sie aus dem Nationalkader rausgeworfen worden ist, die Gewalt in der Beziehung – all diese Themen waren wichtig für mich. Und wenn sie damit nicht einverstanden gewesen wäre, hätte ich den Film nicht gemacht.
All diese Teile haben sie geformt und machen sie zu einem starken Vorbild, zum Role Model. Sie ist mit ihrem schweren Schicksal eine Hoffnungsträgerin und deswegen war es so wichtig, dass alles mit im Film ist, auch die ganz harten Partien ihres Lebens. Ohne diese Momente hätte der Film nicht dieselbe Wirkung entfalten können. Marinette war auch von Anfang an dafür. Das war gar keine Diskussion, sie steht komplett zu ihrer Geschichte.
Also nein, ich war nicht nervös und hatte auch keine Angst, sie zu verraten, weil ich wusste, dass der Film eine echte Hommage an ihre Persönlichkeit werden würde.
Gab es eine Filmvorführung, an der Marinette bzw. weitere im Film dargestellte Personen teilgenommen haben?
Ja, ich habe eine private Vorstellung gemacht für Marinette, ihre Frau und ihren Sohn, auch mit Garance [Marillier – Hauptdarstellerin] und einigen engen Freunden von Marinette. Sie war sehr berührt, der Film hat ihr und ihrer Frau gut gefallen. Ich hatte nicht mit Fotos aus ihrem Familienalbum oder Ähnlichem als historische Vorlage aus ihrer Kindheit gearbeitet, doch Marinette sagte am Ende, es sei verrückt, denn das Haus sähe von der Art her wirklich so aus wie jenes, in welchem sie aufgewachsen war, es sei extrem gut getroffen.
Sie erwähnten gerade auch Hauptdarstellerin Garance Marillier. Gab es zwischen ihr und Marinette ebenfalls Treffen?
Marinette lebte anfangs in Kanada und Garance in Frankreich, so dass ich die beiden einander erst einmal virtuell vorstellte. Da gab es einen ersten zarten Kontakt, ein vorsichtiges Rantasten. Und als es beim Dreh soweit war, haben wir Marinette für eine Woche mit eingeladen, sie war mit ihrer Frau vor Ort. Und die beiden haben so harmoniert, da war eine so große Sympathie da, dass Marinette sich entschied, Garance jeden Morgen vorm Spiel zu trainieren. Sie hat also richtig teilgenommen, obwohl das gar nicht von ihr verlangt worden war.
Garance hat im Film also selbst Fußball gespielt?
Ja, da gab es kein Double.
Was mich noch interessiert: Sehen Sie Parallelen zwischen den Schwierigkeiten, die Frauen im Bereich des Sports haben und denen, die Ihnen vielleicht auch im Filmbereich begegnen?
Es sind genau dieselben. Es ist in gewisser Weise also auch ein Biopic über mich. Aber in Frankreich haben wir noch Glück, wir haben 23 Prozent Filmemacherinnen.
Doch es gibt durchaus große Unterschiede, was die Finanzierung der Filme angeht. Männer bekommen ihre Filme weitaus höher finanziert. Und das Gleiche gilt verrückterweise auch für die Promotouren.
Mein persönlicher Eindruck ist, dass es schon eine Entwicklung gibt und in den letzten Jahren mehr Filme von Frauen für Frauen und mit starken Frauenfiguren gezeigt werden. Dass man erkannt hat, dass es dafür auch ein großes Publikum gibt. Sie haben aber nicht den Eindruck, dass es leichter geworden ist, diese Art von Filme zu machen?
Ja, das stimmt, es entwickelt sich durchaus, es gibt auch große Namen wie z.B. Justine Triet. Aber wenn man sich die globalen Gesamtzahlen betrachtet ist es eben ähnlich wie auch im Fußball: Es gibt zwei, drei Teams, die wirklich viel von sich reden machen und das Publikum ziehen. Und die anderen schwimmen im Fahrwasser und versuchen einigermaßen hinterher zu kommen. Also es gibt Fortschritt. Aber es ist nicht genug.
Ich möchte noch einmal zu einem früheren Thema zurückkommen. Sie sagten, dass sie gern ein Biopic machen wollten. Gab es hierzu auch Filmemacher:innen, die Sie inspiriert haben?
Oh das ist schwierig. Ich erinnere mich an den Film von Oliver Stone, An jedem verdammten Sonntag, der hatte Fußballszenen. Und I, Tonya. Aber ich hatte keine wirklichen Vorbilder oder Referenzen für Sport-Biopics.
Sie wussten selbst anfangs nichts über Marinette Pichon oder Frauenfußball im Allgemeinen. Warum ist der Film aus Ihrer Sicht auch für Menschen interessant, die sich eben nicht für Fußball bzw. Frauenfußball interessieren?
Für mich ist der Lebensweg einfach sehr spannend. Diese Person, die sehr gebeutelt ist vom Schicksal und eine starke Resilienz hat, das alles zu überwinden. Der Fußball ist letztendlich nur ein Thema, es gibt auch viele andere wie z.B. die Gewalt in der Beziehung und jemand, der sich durch den Sport emanzipiert. Mir haben viele Leute, die vom Film begeistert waren, gesagt: „Eigentlich interessiere ich mich gar nicht für Fußball oder Frauenfußball. Aber das war ein toller Film!“ Und genau darum geht es: Einfach eine Person, die ihren Weg geht – fast wie die Hauptfigur in einem Märchen, die verschiedenste Hindernisse zu überwinden hat. Und am Ende wir alles gut. Happy End.
Wenn Sie den Zuschauer:innen eine einzige Message – sozusagen eine Quintessenz – des Films mitgeben könnten. Welche wäre das?
Never give up [= gib niemals auf]. So ist der Titel von Marinettes Biografie. Ich habe von Leuten Nachrichten bekommen, die den Film gesehen haben, die sagten: „Das ist so stark, jetzt habe ich auch richtig Lust zu kämpfen.“ Es ist eine Botschaft der Hoffnung. Never give up!
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