Sie gehören bei vielen zu den größten Feindbildern überhaupt: die Aktivisten und Aktivistinnen der Letzten Generation. Wenn sie in Museen Kunst attackieren, sich auf Straßen festkleben oder Flughäfen sabotieren, dann stößt das selbst bei Menschen auf Ablehnung, die dem Umweltgedanken gegenüber grundsätzlich positiv eingestellt sind. Denn es sollen ja alle für eine bessere Welt kämpfen dürfen. Es darf nur niemanden stören. Bei Wir sind so frei geht es nicht um diese Organisation, sondern die verschiedensten Aktivistengruppen, die sich für Themen stark machen. Gruppen, die ebenfalls mit ihrem Einsatz in ein Wespennest stechen und zum Teil einen hohen Preis bezahlen müssen, wenn sie für einen Wandel eintreten, der mächtige Gegner hat.
Einsatz für eine bessere Welt
Ausgangspunkt des Dokumentarfilms sind dabei die Protestaktionen gegen den G20-Gipfel 2017 in Hamburg, der auch wegen der gewaltsamen Ausschreitungen in den Nachrichten war. Zunächst werden manche im Publikum vielleicht irritiert reagieren, dass schon wieder dieses Thema ausgepackt wird, das in den letzten Jahren oft genug verarbeitet wurde. Doch zum einen dauert die Aufbereitung bis heute an. Wie ist es beispielsweise mit den Leuten weitergegangen, die an den Demonstrationen teilgenommen haben? Außerdem nutzt Wir sind so frei das Ganze als ein Beispiel unter vielen, um sich ganz allgemein mit solchem Aktivismus auseinanderzusetzen. Das Ergebnis ist eine mehrere Jahre umspannende Langzeitbetrachtung, wie sich der Einsatz in Deutschland, aber auch anderen Ländern weiterentwickelt hat.
Dabei gibt es schon eine höhere thematische Vielfalt. Eine gewisse grundsätzliche antikapitalistische Einstellung ist zwar zu spüren. Dies kann aber unterschiedliche Formen annehmen. Mal geht es beispielsweise darum, sich für das Streikrecht eizusetzen, am Beispiel des Lieferservices Gorillas, die das grundsätzlich verboten haben. Ein Franzose, der mehrfach zu Wort kommt, ging es vor allem um einen ökologischen Einsatz. Aber auch Immigration wird irgendwann angesprochen. Diese thematischen Bereiche haben zunächst nicht viel miteinander gemeinsam. Und doch treibt diese Männer und Frauen eine Unzufriedenheit mit dem Status Quo um. Wir sind so frei stellt Menschen vor, die sich für einen respektvolleren Umgang einsetzen, sowohl untereinander wie auch im Hinblick auf die Natur. Es geht um eine Gemeinsamkeit, um eine lebenswerte Welt, die allen gehört und nicht nur einigen wenigen.
Keine inhaltliche Auseinandersetzung
Die Umsetzung ist dabei, wie man das vorab erwarten konnte. Es gibt einen Mix aus Interviewszenen und Aufnahmen von Demonstrationen und Protestaktionen, darunter auch ein Video von der Polizeibrutalität in Hamburg. Gegenstimmen kommen dabei nicht zu Wort. Vergleichbar zu anderen Dokumentationen wie Niemals allein, immer zusammen, Bigger Than Us oder auch Rise up, die ebenfalls von Aktivismus handeln, gibt es keine Auseinandersetzungen mit Andersdenkenden. Man bleibt unter sich. Wenn in Wir sind so frei beispielsweise an einer Stelle die Polizei grundsätzlich beschimpft wird oder von Enteignungen fantasiert wird, fehlen mäßigende Stimmen oder andere Perspektiven. Der Traum von Gemeinsamkeit, er ist letztendlich ebenso undemokratisch wie die Weltsichten, die angeprangert werden.
Das bedeutet jedoch nicht, dass der Dokumentarfilm als solcher wertlos geworden ist. Wer gar nicht den Anspruch hat, dass es zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung kommt, findet hier einen interessanten Überblick der unterschiedlichsten Gruppierungen. Auch der eine oder andere Denkanstoß ist drin, wenn Grundsatzfragen gestellt werden und Alternativen zu einem System gesucht werden, bei dem zu viele auf der Strecke bleiben. Wer sich an diesen Gedankenspielen beteiligen mag, lernt in Wir sind so frei mehrere interessante und engagierte Leute kennen. Man darf nur eben keine richtigen Antworten erwarten, wenn es doch mehr um den Wunsch nach einer besseren Welt geht, weniger um einen konkreten Plan, wie diese erreicht werden kann.
OT: „Wir sind so frei“
Land: Deutschland
Jahr: 2024
Regie: Christian Lehmann-Feddersen, Alf Schreiber
Drehbuch: Christian Lehmann-Feddersen, Alf Schreiber
Kamera: Gerardo Milsztein, Hinrich Schultze, Hani Hamed Rowshangah, Hajo Rieckmann
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