Als Kind hatte Rosa ein sehr enges Verhältnis zu ihrem Großvater Marcelino, bei dem sie aufwuchs. Doch je älter sie wurde, umso mehr entfremdete sie sich von ihm. Inzwischen ist sie eine erwachsene Frau, hat schon lange das abgelegene Landhaus der Familie hinter sich gelassen, um in der Großstadt Karriere zu machen. Anfangs versuchte sie auch von dort aus, den Kontakt aufrechtzuerhalten. Doch auch das wurde mit der Zeit weniger, ihre Arbeit fordert ihre ganze Aufmerksamkeit. Da bleibt nicht mehr viel für sich selbst oder ein Privatleben. Umso größer ist der Schock, als sie erfährt, dass Marcelino gestorben ist und sie seine letzten Nachrichten nicht mehr erhalten hat. Also macht sich Rosa noch einmal auf in ihre alte Heimat und muss dabei feststellen, dass sie einiges über ihren Großvater nicht wusste …
Animationsdrama mit Alltagsthemen
Animationsfilme haben gerade hierzulande oft den Ruf, reine Bespaßung für Kinder zu sein. Sicher, Pixar hat immer mal wieder auch ernste Themen angesprochen, verband dies aber meist mit Humor, um ein möglichst breites Publikum anzusprechen. Ein Animationsfilm, so ganz ohne Witze? Das ist für viele unvorstellbar. Dabei gibt es zahlreiche Beispiele, dass sie deutlich mehr sein können. Dieses Jahr war da beispielsweise A Boat In The Garden, das davon erzählt, wie ein Junge und sein entfremdeter Vater sich über den Bau eines Bootes näherkommen. Bei Das kostbarste aller Güter kommt es sogar ganz knüppeldick, immerhin wird dabei der Holocaust angesprochen. Ganz so heftig wird es in All unsere Dämonen. Trotz seines okkult anmutenden Titels erzählt er aber eine Geschichte, die mit ihren alltagsnahen Themen viele zum Nachdenken bringen dürfte.
Zunächst scheint die Absicht hinter der portugiesisch-spanischen Produktion klar zu sein: Sie will den Zuschauern und Zuschauerinnen verdeutlichen zu wollen, dass das hektische Großstadtleben und der Drang zu einer Karriere letztendlich Gift sind und nur Unglück bringen. Das natürliche Leben auf dem Dorf ist hingegen das echte, wenn die Menschen dort auf das achten, was wirklich wichtig ist: die anderen Menschen. Zumindest könnte man das denken, auch die Farbgebung spricht dafür. Während zu Beginn All unsere Dämonen vieles farblos erscheint, mit viel Grau und klinischem Weiß, wird es auf dem Land freundlicher. Und doch ist das Animationsdrama keine reine Verklärung der Idylle, wenn Rosa feststellen muss, dass ihr Großvater verhasst war und sich mit vielen angelegt hatte. Tatsächlich hatte er das gesamte Umland aufgekauft, um keine Nachbarn mehr haben zu müssen – nicht gerade ein Musterbeispiel für Gemeinschaftlichkeit. Und dieser Hang zur Isolation setzte sich bei der Enkelin fort.
Versöhnlich, nachdenklich und schön anzusehen
Natürlich muss das nicht so bleiben, in Filmen tut es das selten. Bei dem Versuch, mehr über diese unbekannte Vergangenheit des Großvaters herauszufinden, kommt sie diesem näher, aber auch sich selbst und den anderen Menschen vor Ort. All unsere Dämonen hat dadurch eine versöhnliche Note, will das Publikum aufmuntern und ein wenig den Weg weisen – sowohl einem jüngeren wie einem älteren. Schließlich sollen die Zuschauer und Zuschauerinnen vergleichbar zur Protagonistin innehalten und ein wenig darüber nachdenken, ob sie glücklich sind und ob sie die richtigen Schlüsse gezogen haben. Natürlich werden die Antworten gleich mitgegeben, das wird nicht dem Zufall überlassen. Aber das wird auf eine sehr charmante und ruhige Weise getan. Und auf eine fantasievolle.
Dabei sticht der Film, der 2022 auf dem Annecy Film Festival Premiere hatte, auch visuell hervor. So unterscheiden sich die Szenen in der Stadt und auf dem Land nicht nur durch die Farbgebung. Es werden auch unterschiedliche Techniken verwendet, wenn es zunächst – passend zur entmenschlichten Umgebung – am Computer erstellte Bilder gibt, bevor es im Anschluss mit Stop Motion weitergeht. Dieser Wechsel ist nicht sehr subtil, funktioniert aber gut. Beide Phasen haben auch ihren jeweiligen Reiz. Insgesamt ist Regisseur Nuno Beato, der nach mehreren Kurzfilmen hiermit sein Langfilmdebüt gegeben hat, ein sehr schönes Werk geglückt, welches mit fantastischen Mitteln Themen anspricht, die nur zu real sind und Identifikationsfläche schaffen, dabei neugierig machen, was der Portugiese wohl als nächstes angehen wird. Und die eben auch zu Herzen gehen.
OT: „Os Demónios do Meu Avô“
IT: „My Grandfather’s Demons“
Land: Portugal, Spanien
Jahr: 2022
Regie: Nuno Beato
Drehbuch: Possidónio Cachapa, Cristina Pinheiro
Musik: Carlos Guerreiro, Manuel Riveiro, Gaiteros de Lisboa
Kamera: Celia Benavent Català
Animation: Sardinha em Lat
Annecy 2022
Fantasia Film Festival 2022
Fünf Seen Filmfestival 2024
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