Heinz Hellmich (Jan Josef Liefers) bekommt Ärger in der Firma Fernfunk AG. Von den Werbeplakaten, die seine Abteilung verantwortet, sollen nicht länger vor allem weiße Menschen und glückliche Hetero-Paare herablächeln. Auf Social Media und bei der jungen potenziellen Kundschaft ist Wokeness gefragt. Heinz’ Chef (Michael Maertens) will mit der Zeit gehen und holt eine Unternehmensberatung ins Haus. Heinz verwechselt die Diversity-Beauftragte Lian Bell (Yun Huang) gleich mit der asiatischen Kellnerin. Nun haftet ihm das Klischee des alten weißen Mannes an, das eine Beförderung erschwert. Damit sich Heinz von einer anderen Seite zeigen kann, lädt der Chef zum Abendessen bei Heinz und dessen Familie ein. Werden Ehefrau Carla (Nadja Uhl) und die Teenager-Kinder Leni (Momo Beier) und Linus (Juri Winkler) mitspielen? Und wie bekommt Heinz rasch ein paar nicht-weiße Gäste ins Haus?
Bloß nichts Falsches sagen!
Im Zuge der MeToo-Bewegung hat eine neue Wokeness-Kultur das kollektive Bewusstsein umgekrempelt. Weiße Männer von vielleicht über 40 stehen im Verdacht, ideologisch rückständig zu sein, Frauen, queere Menschen und Personen anderer Hautfarbe sollen endlich stärker im gesellschaftlichen Orchester vernommen werden. Diversitätsbeauftragte sitzen in Institutionen und Unternehmen, Gendersternchen und der Glottisschlag beim gesprochenen Binnen-I fordern die Alltagssprache heraus. Die Gesellschaft hat sich polarisiert, denn was die einen für überfällige Neuerung und Achtsamkeit im Umgang halten, empfinden andere als Bevormundung und Übertreibung. Nach Willkommen bei den Hartmanns, dem erfolgreichsten deutschen Kinofilm des Jahres 2016, widmet sich der Regisseur und Drehbuchautor Simon Verhoeven wieder komödiantisch den Fallstricken, die ein neuer Zeitgeist bis in die Familien hineinträgt. Sein Filmheld Heinz vernimmt gestresst, dass er seine Ansichten und Gewohnheiten generalüberholen muss.
Um seinen Job nicht zu gefährden, räumt Heinz auf. Merkwürdige Sprüche über Bosse und Penisse auf den Tassen in der Kaffeeküche – weg damit! Nur Bilder und DVD-Filme von weißen männlichen Künstlern im Wohnzimmer? Das kann so nicht bleiben, wenn die Diversitätsbeauftragte zum Abendessen kommt. Die Kinder Leni und Linus sollen Schwarze und queere Freund*innen mitbringen, der Opa, der übers Gendern schimpft, muss fernbleiben. Wie es sich für eine Komödie gehört, erscheint er aber trotzdem. Verhoeven führt am Beispiel seiner Hauptfigur genüsslich vor, wie schwer es geworden ist, all die Wokeness-Vorschriften zu beachten und sicher zu sein, dass sich vom eigenen Verhalten auch ja niemand vor den Kopf gestoßen und in seinen Gefühlen verletzt fühlen wird. Der Zeitgeist, so scheint die Botschaft des Films zu lauten, schlägt gerade über die Stränge und erschwert mit seiner Kontrollwut den Austausch zwischen Individuen und gesellschaftlichen Gruppen.
Dialogwitz und Versöhnung
Der arme Heinz ist gar nicht aus Überzeugung politisch inkorrekt, sondern eher uninformiert und verunsichert. Dennoch bewegt sich diese Komödie auch ein wenig im Schlepptau der französischen Erfolgsfilme um Monsieur Claude. Der Patriarch, der sich plötzlich mit Schwiegersöhnen mit Migrationshintergrund konfrontiert sah und auch mit deren Eltern, führte dem Publikum mit inkorrekten Sprüchen vor, wie wenig es selbst frei von Vorurteilen ist. Auch Verhoeven setzt auf das Ensemblespiel, bei dem sich Menschen mit unvereinbaren Positionen oder unbedachtem Verhalten gegenseitig provozieren. Die Kinder von Heinz sprechen schon eine völlig andere Sprache als die Eltern und geizen nicht mit kritischen Urteilen. Die Konfliktlinie verläuft zwischen den Generationen, aber auch kreuz und quer, denn weder die Jungen, noch die Älteren sind immer gleicher Meinung. Es gibt viel Dialogwitz, aber bald zeichnet sich auch ab, dass bei Verhoeven das Harmoniebedürfnis dominiert.
Dass die Komödie auf den Hafen der Versöhnung zusteuert, kostet sie in der zweiten Hälfte Spannung und Biss. Die Ähnlichkeit mit einer Sitcom tritt deutlicher zutage, in der die Witze zwar dicht aufeinanderfolgen, aber dafür auch albern sein können. Jan Josef Liefers spielt den gebeutelten Heinz in seinem braunen Cordanzug als Sympathieträger, während Nadja Uhl als Ehefrau Carla allzu unbekümmert wirkt. Elyas M’Barek hat als Technology Consultant mit Selbstoptimierungszwang ein paar starke Auftritte, aber seine Rolle gleitet letztlich ins Alberne ab. Verhoeven packt auch zu viele Themen in die Geschichte, Künstliche Intelligenz im Betrieb, eine für die Handlung ziemlich überflüssige Reise von Heinz zur entfremdeten ältesten Tochter nach Berlin. Ein wenig Großstadt schnuppern samt queerem Milieu – auch das soll den Horizont dieses Kleinstadtbürgers erweitern. Insgesamt bietet die Komödie vergnügliche Unterhaltung mit Wohlfühlcharakter, lässt aber auch Tiefgang und Mut zu unbequemeren Figuren vermissen.
OT: „Alter weißer Mann“
Land: Deutschland
Jahr: 2024
Regie: Simon Verhoeven
Drehbuch: Simon Verhoeven
Musik: Segun Akinola
Kamera: Jo Heim
Besetzung: Jan Josef Liefers, Nadja Uhl, Friedrich von Thun, Elyas M’Barek, Meltem Kaptan, Michael Maertens, Yun Huang, Momo Beier, Juri Winkler, Sarah Mahita, Denise M’Baye, Juri Rother
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