Chuck Chuck Baby Szenenbild
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Chuck Chuck Baby

Chuck Chuck Baby Filmplakat
„Chuck Chuck Baby“ // Deutschland-Start: 26. Dezember 2024

Inhalt / Kritik

Mit Helen (Louise Brealey) möchte man wahrlich nicht tauschen. In einer Kleinstadt in Nordwales wohnt sie zusammen mit ihrem Ex-Mann Gary (Celyn Jones), dessen viel zu junger neuer Freundin und deren gemeinsamen Baby. Zum Haushalt gehört auch Gwen (Sorcha Cusack), Garys sterbende Mutter, die der einzige Grund ist, warum Helen nicht schon die Biege gemacht hat. Tagsüber kümmert sie sich liebevoll um die alte Frau, nachts geht sie in der Hühnerfabrik Geld verdienen. Dann taucht unvermutet Joanne (Annabel Scholey) – eine Bekannte aus Schultagen – wieder im Ort auf und bringt Helens Leben und Gefühle gehörig durcheinander.

Eine musikalische Working Class

Fangen wir lieber gleich mit dem Schlimmsten an: Ja, in Chuck Chuck Baby wird gesungen, sogar ein wenig getanzt. Oh nein, ist das etwa ein Musical? Jein. Irgendwie schon, aber auch irgendwie nicht. In jedem Fall gibt es viele gute Gründe, warum auch Musicalskeptiker dem Film eine Chance geben sollten. Einer wäre dann auch direkt, dass die Musik gerade nicht in typischer Musicalmanier über die Zuschauer:innen hereinbricht. Wenn Helen sich bspw. völlig beim Mitsingen zu Neil Diamonds Ballade I am … I said verliert, fühlt man sich direkt an eigene Momente erinnert, in denen ein ganz bestimmtes Lied die eigene Stimmung perfekt eingefangen und ausgedrückt hat. So funktioniert bei Chuck Chuck Baby die Musik in Form von Sing-Alongs mehr als Katalysator für die Gefühle der Protagonist:innen und weniger als eigenes Handlungselement. Ein Musikfilm im besten Sinne also – zu welchem hier übrigens schon jemand eine Playlist auf Spotify zusammengestellt hat.

Der Filmtitel Chuck Chuck Baby prangt als Neonschild über dem Eingang zur Hühnerfabrik, in welcher Helen mit ihren Freundinnen Lynn (Emily Aston), Paula (Beverly Rudd), Clare (Cat Simmons) und vielen weiteren Frauen am Fließband Hühnchen in Plastikverpackungen steckt. Hier entfaltet sich eine weitere Stärke des Films: Das authentische Setting im Arbeiter:innenmilieu – von den Reihenhäusern aus rotem Backstein mit abgezirkelten Gartenquadraten bis hin zu den blauen Arbeitskitteln, auf denen keine Namen, sondern nur Nummern prangen. Ebenso ungekünstelt und glaubhaft sind auch die Figuren und Beziehungen: Von Freundin Paula, die beim Reden überhaupt keinen Filter zu haben scheint, über die liebevolle Quasi-Mutter-Tochter-Verbindung zwischen Helen und Gwen, bis hin zu Gary als Antipathiefigur, der trotzdem echte Gefühle von Trauer zugestanden werden.

Mit Liebe, Witz und noch so viel mehr

Okay, das ein oder andere Element mag humoristisch und etwas überzogen sein. Garys Freundin Amy hat Augenbrauen so dick wie Schokoriegel und auch, was die Fabrikarbeiterinnen so alles mit den Hühnchen anstellen, entspricht hoffentlich nicht der Realität (falls doch, dürfte die Vegan-Fraktion einiges an Zulauf erhalten). Der Kern der Erzählung und ihre Elemente bleiben jedoch wahrhaftig. So auch in der Liebesgeschichte zwischen Helen und Joanne. Eine Prise Kitsch kann man hier nicht verleugnen, wobei die Umwerbungsversuche der beiden so zauberhaft und originell sind, wie man es schon länger nicht gesehen hat. Ihre Beziehung erhält aber auch die notwendige Tiefe durch Hürden wie Joannes Kampf mit den Dämonen ihrer Vergangenheit oder der Tatsache, dass einige im Ort sie gern wieder loswerden würden.

Tatsächlich spricht der Film eine Menge essentielle Lebensthemen an: Neben der Liebe geht es auch um (Frauen-)Freundschaft, Trauer und Missbrauch, um zweite Chancen und Neuanfänge und dass es nie zu spät ist, um sich selbst zu finden. Dabei gelingt Chuck Chuck Baby das Kunststück, die ernsten und schwierigen Themen so warm, herzlich und bunt zu verpacken, dass der Film wie eine frische Brise durch den Kinosaal weht. Alles kommt harmonisch zusammen: Eine hinreichend komplexe, authentische Story mit Witz überzeugenden Darsteller:innen, die uns die Figuren mitten ins Herz spielen, ein hervorragend eingebundener Mitsing-Soundtrack und ein farbenfrohes, retro-angehauchtes Kostümdesign mit passender Filmfarbgebung. Zwei augenzwinkernde Verweise auf die Filmklassiker Die Regenschirme von Cherbourg und Teen Lover sind da nur noch das Sahnehäubchen auf der Wundertorte.

Credits

OT: „Chuck Chuck Baby“
Land: UK
Jahr: 2023
Regie: Janis Pugh
Drehbuch: Janis Pugh
Ton: Kieron Wolfson & Lee Herrick
Kamera: Sarah Cunningham
Besetzung: Louise Brealey, Annabel Scholey, Sorcha Cusack, Celyn Jones

Bilder

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Chuck Chuck Baby
Fazit
„Chuck Chuck Baby“ ist ein musikalisches Comedy-Drama, ein vergnügt-buntes Knallbonbon, in dem nordwalisische Working Class, eine zauberhafte Love Story, schräge und liebenswerte Charaktere, aber auch ernstere Themen aufeinandertreffen. Echtes Lieblingsfilmpotenzial!
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