Die Identität einer Kultur ist in der heutigen Zeit wichtiger denn je. Innerhalb aktueller politischer und gesellschaftlicher Diskussionen und Bewegungen scheint der Begriff der Identität aufgeladen wie noch nie, doch das Konzept ist weitaus wichtiger als jede schnelllebige Entwicklung. Auf dem Spiel steht dabei die Beziehung eines Volkes, einer Kultur oder einer Nation zu ihrer Vergangenheit, ihrer Gegenwart und natürlich ihrer Zukunft, sodass es umso wichtiger ist, dass man sich dieser Identität bewusst ist. Auch so kann man die schädlichen Auswüchse jener aktuellen Diskussionen vermeiden oder zumindest klein halten. Während der Zeit des Imperialismus wurden viele Kulturen gewisser Schätze oder Kunstgegenstände beraubt, die für eben diese Identität prägend sind. Ihre Rückführung ist für eine Kultur aus eben genannten Gründen ein absolutes Muss. Benin, ehemals das Königreich Dahomey, bemühte sich redlich bei Verhandlungen mit Frankreich, viele dieser Gegenstände zurück zu bekommen, was im November 2021 zu einem aufsehenerregenden Ereignis führte, als 26 geraubte Kunstschätze ihren Weg in die ehemalige Kolonie zurückfanden.
In ihrer neuen Dokumentation Dahomey zeigt die französische Regisseurin, Drehbuchautorin und Kamerafrau Mati Diop (Atlantique) dieses Ereignis sowie die damit einhergehende Diskussion innerhalb der Gesellschaft Benins. Auf der Berlinale 2024, wo Dahomey seine Weltpremiere feiern durfte, erhielt der Film den Goldenen Bären. Nun startet die Dokumentation in den deutschen Kinos und wird kurze Zeit später auf dem Streamingdienst MUBI zur Verfügung stehen. Die Aufnahmen der Rückführung, angefangen beim sorgsamen Verpacken der Kunstschätze, ihrer Ankunft in Benin und schließlich ihrer Ausstellung im Präsidentenpalast Cotonous, werden begleitet von einem Voiceover, eingesprochen vom haitianischen Schriftsteller Makenzy Orcel. Aus der Sicht von Objektnummer 26, der Statue von König Ghézo, spricht er von den Gedanken des Objekts zur Rückkehr nach Benin und die vielen Jahre der Dunkelheit, ausgelöst durch den Raub während der Zeit der Kolonialregierung. Diop gelingt weitaus mehr als eine reine Nacherzählung der Ereignisse. Sie beleuchtet auch, inwiefern diese eine politische und kulturelle Veränderung darstellen können, beispielsweise wenn sie Diskussionsrunden begleitet, in denen sich die Bürger Benins lobend wie auch kritisch zu den Entwicklungen äußern.
Ein neues Narrativ
Wenn man das Thema Kolonialismus diskutieren will, kommt man um den Aspekt des Erbes dieser Zeit nicht herum. Innerhalb vieler Diskussionen hält sich beharrlich das Narrativ, dass besonders dieses Erbe es vielen ehemaligen Kolonien unmöglich macht, auf eigenen Beinen zu stehen oder es für gesellschaftliche, politische oder gar wirtschaftliche Missstände verantwortlich sei. Dies stimmt nur teilweise, wie man auch anhand einer Dokumentation wie Dahomey eindrücklich sieht. Insbesondere die Aufnahmen der Gesprächsrunden, welche die Rückführung der 26 Kunstgegenstände ausgelöst hat, spielt immer wieder darauf an, dass viele sich einen Abschluss mit der Vergangenheit wünschen, andere jedoch sich einen Neuanfang, wenn nicht gar ein neues kulturelles Narrativ von diesem Ereignis versprechen.
Das schon erwähnte Voiceover sowie einige der Aufnahmen, wenn beispielsweise Politiker und Bürger Benins die Kunstgegenstände bestaunen und sichten, zeigen, dass Diop das Ereignis als eines begreift, das weitaus mehr zu bieten hat als prestigeträchtige Red Carpet-Events und Empfänge, die man ebenso am Rande wahrnimmt. Wenn ein Museumsmitarbeiter genau Buch führt über den teils schlechten Zustand der Gegenstände, meint man, er spräche über den Zustand eben jener kulturellen Identität, die brüchig oder gar im Wandel begriffen ist. Dahomey ist also eine Dokumentation über die Möglichkeit einer Veränderung, einer Neuformulierung eines kulturell-politischen Narrativs, aber keineswegs über eine Besinnung zur Routine für die Einwohner Benins.
OT: „Dahomey“
Land: Frankreich, Senegal, Benin
Jahr: 2024
Regie: Mati Diop
Musik: Wally Badarou, Dean Blunt
Kamera: Josephine Drouin Viallard
Berlinale 2024
Toronto International Film Festival 2024
Französische Filmtage Tübingen-Stuttgart 2024
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