Im Jahre 2004 erschien die großartige Dokumentation Die Spielwütigen, in welcher Regisseur Andres Veiel (Riefenstahl) vier Eleven der renommierten Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch begleitete. Sieben Jahre lang, von 1996 bis 2003, hielt er die Höhen und Tiefen fest, die untrennbar mit einem solchen Karriereweg verbunden sind. Der nun zwanzig Jahre später erscheinende Dokumentationfilm Dann gehste eben nach Parchim – Von der Leidenschaft des Jungen Theaters mag auf den ersten Blick wie eine Art Fortsetzung im Geiste wirken: Die zwei jungen Schauspielerinnen Arikia Orbán und Gesa Penthin treten nach ihrer Ausbildung in Hamburg ihr Engagement am Parchimer Theater an. Regisseur Dieter Schumann begleitet sie dabei von 2020 bis 2022.
Die Suche nach Arbeit
Parchim ist eine Kleinstadt mit knapp 20.000 Einwohnern in der Nähe von Schwerin. Ein – möglicherweise gestelltes – Gespräch im Zug zu Beginn der Doku zeigt auf, dass es normalerweise anders herum läuft: Während Arikia und Gesa von Hamburg nach Parchim ziehen, verschlägt es zwei andere Reisende von Parchim nach Hamburg (die Frage, warum dann alle im selben Zug sitzen, wird weder gestellt noch beantwortet). Das Motiv ist dabei gleich, lediglich das Vorzeichen unterscheidet sich: Erstere bekommen in der Großstadt keinen Job, zweitere keinen in der Provinz. Das Unterangebot an Arbeitsmöglichkeiten kommt im weiteren Verlauf nicht mehr zur Sprache, ist hier auch die einzige Grundlage, die für den gewählten Titel geliefert wird. „Dann gehste eben nach Parchim“ vermittelt zunächst eine tiefere Bedeutung als dass es sich nur um eine Folge von „na ja, in Hamburg hats halt nicht geklappt“ zu handeln scheint. Ob sich Arikia und Gesa irgendwo anders beworben haben oder ob Parchim die erste Wahl nach Hamburg war, erfahren wir nicht.
Dann gehste eben nach Parchim – Von der Leidenschaft des Jungen Theaters ist aber nicht nur die Geschichte von Arikia und Gesa (sofern überhaupt attestiert werden kann, dass hier wirklich die Geschichte der beiden erzählt wird). Der zweite Teil des Titels verrät bereits, dass es auch noch einen dritten Protagonisten gibt. Dabei ist damit sowohl das Theater im Allgemeinen als Konzept, als Parallelwelt in der Gesellschaft, wie auch das ganz spezifische Theater in Parchim gemeint. Wir lernen den Schauspieler und Musiker Julian Dietz kennen, den Requisiteur Björn Pauli, der seit zehn Jahren dort arbeitet und passenderweise selbst schon zum Inventar gehört, Intendant Thomas Ott-Albrecht sowie einige Regisseure. Letztere partizipieren aber nicht alle direkt, die meisten lassen sich nur während der Probe von der Kamera begleiten, statt ihr auch Rede und Antwort zu stehen.
Sprunghaft und ohne Fokus
Die Pacingprobleme der Dokumentation lassen sich auf den fehlenden Fokus von Dann gehste eben nach Parchim – Von der Leidenschaft des Jungen Theaters zurückführen. Geht es jetzt um die beiden Schauspielerinnen? Geht es dabei um sie als Darsteller oder um sie als Privatpersonen? Geht es um das Theater in Parchim? Die Theaterkultur an sich? Die Doku scheint sich auf nichts so richtig konzentrieren zu wollen. So ist dann von allem ein bisschen dabei, was dazu führt, dass manche Segmente langweilig sind, während andere den Wunsch wecken, dass sie ausführlicher behandelt worden wären. Ein bisschen springt die Doku erzählerisch auch hin und her – nicht auf die Zeit bezogen, es scheint schon alles chronologisch festgehalten worden zu sein. Aber es fehlen flüssige Übergänge zwischen den verschiedenen Themen. Das kann auf der Metaebene als bewusster Kniff aufgefasst werden, um das Chaos eines Künstlerlebens wiederzuspiegeln – für eine so wohlwollende Auslegung tut die Dokumentation aber dann doch zu wenig, um sie sich zu verdienen.
Der Fairness halber muss natürlich erwähnt werden, dass die Corona-Pandemie neben allen sonstigen Unannehmlichkeiten auch Dann gehste eben nach Parchim – Von der Leidenschaft des Jungen Theaters in die Parade gefahren ist. Wenn durch den Lockdown plötzlich weder Proben noch Aufführungen stattfinden, dann muss sich damit eben arrangiert werden. Das kann den fehlenden Fokus jedoch nur zeitweise erklären. Es gibt einige Szenen, die wohl besser auf dem Boden des Schneideraums geblieben wären, aber das muss jeder für sich selbst entscheiden. Die Kernidee ist gut und auch die Umsetzung ist größtenteils interessant. Gerade weil es sich aber um ein Nischenthema handelt und weil mit Die Spielwütigen schon so unfassbar stark vorgelegt wurde, hätte das hier alles deutlich runder sein können und müssen.
OT: „Dann gehste eben nach Parchim – Von der Leidenschaft des Jungen Theaters“
Land: Deutschland
Jahr: 2024
Regie: Dieter Schumann
Drehbuch: Dieter Schumann
Musik: Julian Dietz
Kamera: Michael Kockot, Rainer M. Schulz, Oliver Zydek
Mitwirkende: Arikia Orbán, Gesa Penthin, Björn Pauli, Julian Dietz, Thomas Ott-Albrecht, Marlene Eiberger, Eike Schwarting, Julian Fuhrmann, Leonhardt Engel
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