Free Falling – Tanz am Abrund

Marisol (Belén Rueda) ist als Nationaltrainerin der Rhythmischen Sportgymnastik ebenso bewundert wie gefürchtet. Ihr Streben nach Perfektionismus lässt keinen Raum für Schwäche oder Fehler. Aktuell bekommt dies Angélica (Mariia Netavrovana) zu spüren, die über ein großes Talent verfügt. Immer wieder muss sie sich demütigen und beschimpfen lassen, der Druck ist enorm auf der jungen Frau. Aber auch für Marisol ist die Situation nicht einfach. So gerät sie wegen ihrer unbarmherzigen Art und der wiederkehrenden Grenzüberschreitungen immer wieder in die Kritik. Und dann muss sie auch noch erfahren, dass ihr Ehemann Octavio (Ilay Kurelovic) sie mit einer deutlich jüngeren Frau betrogen hat. Sie ist davon tief verletzt und kann doch nicht abschließen, während ihr Leben zunehmend außer Kontrolle gerät …

Verbissener Kampf

Wer es zu etwas bringen will, der muss auch bereit sein, etwas zu investieren. Das gilt gerade für diejenigen, die eine künstlerische oder eine sportliche Laufbahn einschlagen. Schließlich gibt es dort einen geradezu unmenschlichen Konkurrenzkampf, was zu jeder Menge Druck führt. Für Filme ist das ein dankbares Thema, immer wieder wird davon erzählt, wie junge Menschen zu Höchstleistungen angetrieben werden, mit teils verheerenden Folgen. Whiplash und Prélude führten das im musikalischen Bereich vor, dort zerbrechen die jeweiligen Protagonisten an den Anforderungen. Free Falling – Tanz am Abrund ist nun ein Beispiel, wie das bei einem Sport der Fall sein kann. Genauer geht es um Rhythmische Sportgymnastik, die Weltmeisterschaft steht an.

Und doch ist der spanische Film nicht ganz mit den oberen zu vergleichen. So steht hier der Sport an sich nicht wirklich im Mittelpunkt, der ist ein bloßer Anlass. Vor allem aber geht es im Gegensatz zu den obigen Leidesgenossen nicht um die junge Frau, die sich verausgabt. Die ist zwar immer wieder zu sehen, während sie von Marisol fertig gemacht wird. Erzählt wird dies jedoch aus der Perspektive der Trainerin, die Sportlerin selbst hat kaum etwas dazu zu sagen. Free Falling – Tanz am Abrund interessiert sich auch nicht wirklich für Angélica, wir erfahren kaum etwas über sie. Sie ist für die Protagonistin nur ein Mittel zum Zweck – und eben auch für den Film. Die üblichen Fragen, ob eine solche Schikane das alles wert ist, läuft hier nur am Rande mit, wird nie richtig konsequent verfolgt.

Eskalation voller Spannung

Stattdessen ist Free Falling – Tanz am Abrund primär das Porträt einer Frau, die bei ihrer Arbeit völlig verbissen ist, für die nur ein Sieg zählt und alles andere dem unterordnet. Sympathisch ist das natürlich weniger, soll es aber auch gar nicht sein. Die Protagonistin ist eher eine Antagonistin. Selbst als klar wird, dass ihr Mann sie für eine jüngere Frau verlässt, bringt ihr das nicht die Sympathien ein, die Menschen in einer solchen Situation normalerweise erhalten. Vielmehr tritt Marisol so herablassend und menschenverachtend auf, dass man sich fragen darf, wie es Octavio überhaupt so lange mit ihr aushalten konnte. An der Stelle wäre es vielleicht nicht verkehrt gewesen, auch eine andere Seite von ihr aufzuzeigen. Eine, die etwas mehr Identifikationsfläche bietet.

So aber bleibt zumindest ein Film, der von einer zunehmenden Eskalation berichtet. Wir folgen einer Frau, um die herum alles zusammenkracht, was für einen Menschen, der es gewohnt ist, alles und jeden zu kontrollieren, natürlich eine Katastrophe ist. Dass das funktioniert, ist besonders Belén Rueda (Phänomena, The Body – Die Leiche) zu verdanken, die schon einige Thriller gedreht hat und deshalb auch in diesen Szenen zu überzeugen weiß. Wobei Free Falling – Tanz am Abrund eher eine Mischung aus Drama und Psychothriller darstellt, wenn sich Marisol immer weiter hineinsteigt. Das ist spannend, auch wenn man sich an der einen oder anderen Stelle doch mehr Tiefgang gewünscht hätte und der Film immer ein wenig auf Distanz bleibt.