In Der Buchspazierer geht es um Carl Kollhoff (Christoph Maria Herbst), der Tag für Tag seine Stammkunden mit neuen Geschichten beliefert. Carl, der sich ansonsten von der Außenwelt abschottet, findet nur Halt in seinen zahlreichen Büchern, mit denen er zusammenwohnt. Als sich eines Tages ein kleines Mädchen (Yuna Bennett) an seine Fersen heftet, um ihn bei seiner Lieferung zu begleiten, ist der Einzelgänger erstmal so gar nicht davon begeistert. Aber nach und nach schafft es Schascha, dass Carl sich öffnet und es beginnt eine ganz besondere Reise, die nicht nur Carls und Schaschas Leben, sondern auch das seiner Kunden völlig auf den Kopf stellen wird.
Der neue Film von Ngo The Chau (Kinostart: 10. Oktober 2024) basiert auf dem gleichnamigen Roman von Carsten Henn und ist eine Liebeserklärung an Bücher und Lesefans. In dem Film geht es aber nicht nur um Literatur, sondern auch um eine außergewöhnliche Freundschaft, Trauer, Einsamkeit, Familie und den Mut über sich hinauszuwachsen. Wir hatten die Möglichkeit mit dem Regisseur im Rahmen des Filmfest Hamburg über sein neues Filmprojekt, seine Interessen und über Themen, die uns als Menschen bewegen, zu sprechen.
Was hat Sie dazu bewegt diesen Film zu machen?
Ich finde zum einen, dass der Film ein kleiner Hoffnungsschimmer in der momentan sehr tristen Zeit sein soll, in der unsere Welt von Kriegen, Katastrophen und negativen Meldungen überschattet wird. Gerade dann hat ein Film meiner Meinung nach den Auftrag, ein Feel-Good-Movie zu sein. Bei den vielen Problemen, die wir in unserer bunten Welt, in der wir leben, tagtäglich haben, sollten wir nichts unversucht lassen, um gemeinsam eine Lösung zu finden und die Hoffnung nicht zu verlieren. Außerdem finde ich, dass die junge Generation nicht vergessen darf, was Bücher sind und wo die Geschichten alle herkommen. Ich denke, dass mich das tatsächlich dazu gebracht, hat diesen Film zu machen.
Bei Der Buchspazierer handelt es sich um eine Buchverfilmung des Romans von Carsten Henn. Wie sind Sie auf das Buch aufmerksam geworden und was hat Ihnen an der Buchvorlage besonders gut gefallen?
Ich habe das Buch tatsächlich nicht vorher gelesen. Der Produzent, Daniel Hartmann, hat die Geschichte entdeckt und sie mit seiner Firma Wüste Film Studiocanal vorgeschlagen. So hatte die Reise eigentlich begonnen. In meinem Beruf ist ja das Entscheidende, sich dem Drehbuch zu widmen. Ich habe also tatsächlich erst das Drehbuch gelesen und muss sagen, dass es Daniel Hartmann mit dem Autor Andreas Roggenhagen ganz bravourös gelungen ist, mir eine Drehbuchversion vorzulegen, die ich mir auf Anhieb vorstellen konnte. Ich bin nämlich ein visueller Mensch, der aus der Kameraarbeit kommt. Daher war es für mich auch immer wichtig die Geschichte zu verstehen. Sie literarisch, aber auch in ihrer visuellen Kraft zu verstehen. Und das kam mir mit diesen vielen bunten Figuren. Mit dieser etwas entrückten Welt, in die wir mit einer Lupe irgendwie hineinschauen können.
Ist der Film am Ende so geworden, wie Sie sich das vorgestellt haben, oder hätten Sie im Nachhinein gerne etwas anders umgesetzt?
Anders? Nee, da bin ich eigentlich nicht der Typ für. Ich stehe immer sehr zu den Entscheidungen, die ich am Set treffe. Und ich finde, wir haben so viel Schönes in diesen Film hineinprojiziert, sehr viele Ideen umsetzen können. Am Ende des Tages besteht das Filmemachen darin, durch den Schnitt den Rhythmus und die Qualität des Films herauszuarbeiten. Bei Der Buchspazierer hatte ich öfters eher das Gefühl, wir können uns da noch ein bisschen entlasten, wir können den Film noch mehr atmen lassen. Daher würde ich sagen, hätte der Film aus meiner Perspektive durchaus ein paar Minuten länger sein können.
Der Buchspazierer ist eine Hommage an alle Bücherwürmer und Helden der Weltliteratur. Würden Sie sich selbst auch als Bücherwurm bezeichnen?
Das kann ich ganz klar verneinen. Ich habe tatsächlich nicht mit dicken Romanen angefangen, mir meine Leidenschaft übers Geschichten erzählen zu holen. Ich bin eher der visuellere Mensch. Filme gucken, Comics gucken, Kunst, Malerei, das Zeichnen und die Fotografie, das sind alles Sachen, die ich immer mehr gemacht habe, als Romane zu lesen. Ich habe darin einen guten Ausgleich für mich gefunden. Ich bin jemand, der sich für viele Medien interessiert. Aber Filme sind für mich sozusagen die Königsdisziplin, um alles miteinander zu vereinen.
Der Film hat viele tiefgründige Momente, die sehr berührend sind und behandelt auch ernstere Themen wie Trauer und Einsamkeit. Wie wichtig ist es für Sie als Regisseur, dass gerade solche Themen in Filmen gezeigt werden?
Mir ist das sehr wichtig. Wir hätten es uns natürlich leichter machen und sagen können, dass man sowas in einem Feel-Good Movie eigentlich gar nicht ansprechen darf. Aber ich bin ein klarer Verfechter davon zu sagen: Nein, gerade deswegen! Wir sollten es uns nicht so einfach machen, denn unser Leben besteht tatsächlich aus Licht und Schatten und ich glaube wir müssen uns alle damit anfreunden, einen sehr persönlichen Weg zu finden, um aus manchmal schwierigen Momenten herauszukommen. Und das fand ich an diesem Stoff sehr sehr wichtig. Nicht nur die heile Welt zeigen, sondern uns auch so weit hervorzuwagen, lachen und weinen sehr nah beieinander zu halten. Das berührt mich persönlich auch immer am Stärksten. Wenn ich merke, dass ich diesen Moment zu schätzen weiß, wenn es hell und fröhlich wird und ich lachen kann. Dass ich aber auch nicht vergesse, dass ich vielleicht den Tag vorher noch geweint hab. Das gehört einfach zum Leben dazu. Und ich finde, wenn man Menschen im Kino sieht, die gerade noch ihre Träne auf der Wange wegwischen und gleichzeitig schon wieder anfangen zu lachen, dann haben wir alles richtig gemacht.
Gerade die Szene zwischen Schascha und ihrem Vater war sehr emotional… Gibt es eine Szene, die Ihnen besonders nah gegangen ist?
Ja, also zum einen ist es natürlich genau diese Szene, aber tatsächlich auch der Abschluss des Films. Mich rühren sehr stark Momente, die generationsübergreifend sind. Ich mag es total, wenn junge Leute auf alte Leute treffen. Wenn ich merke, dass Alt und Jung einander finden und einander verstehen. Dass man diesen Zugang zu einem anderen Menschen entwickelt und man auch beweisen kann, dass sich junge Leute mit alten Menschen auf eine Art und Weise verstehen können, wie wir es manchmal gar nicht mehr glauben. Und das hat auch sehr viel mit Aufmerksamkeit zu tun. Wir müssen uns die älteren Menschen mehr anschauen, die jeden Tag an ihrem Fenster sitzen und nur noch rausschauen, weil sie vielleicht niemanden mehr haben. Und das macht Der Buchspazierer glaub besonders aus. Dass wir einem doch sehr entrückten alten Menschen dann auf einmal so einen jungen Flummi entgegensetzen und sie beide voneinander irgendwas lernen. Und das, was sie da beide erleben, und erfahren ist am Ende sehr wertvoll.
Carl und Schascha werden mit Sicherheit sehr viele Zuschauerherzen erobern. Was macht diese beiden Charaktere und ihre Verbindung zueinander Ihrer Meinung nach so besonders?
Ich glaube, dass sie vor allem sehr unterschiedlich sind. Am Anfang sieht man erstmal überhaupt keine Chance, dass diese beiden Charaktere irgendwie zueinander finden. Und unsere Aufgabe war es tatsächlich, diese Figuren auf Augenhöhe durch diese Stadt laufen zu lassen. Was sie auch einfach meisterlich gemacht haben. Sie haben einander zugehört, sie haben sich aufeinander eingelassen und sie haben auch die Rollen getauscht. Gerade das ist, wie ich finde, ein sehr wichtiges Thema heutzutage. Dass wir uns immer eine Scheibe von dem anderen abschneiden sollten, egal ob wir alt oder jung sind.
Letzte Frage: Warum sollten sich Filmfans den Film Der Buchspazierer auf keinen Fall entgehen lassen?
Weil der Film in diesen düsteren Tagen, wo wir so viele politische Kriege und Themen draußen in der Welt haben, wo es immer um Ungerechtigkeit und Missverständnisse geht, aufzeigt, dass Missverständnisse gelöst werden können. Dass wir einander vertrauen können und wir uns die Hoffnung bewahren sollten. Kino ist einfach eine Begegnungsstätte. Der Buchspazierer steht für Kino. Für eine Welt, in die man sich hineinziehen lassen sollte, um für ein paar Stunden einfach mal abzuschalten und trotzdem mit sehr berührenden Themen konfrontiert zu sein. Wo man bestimmt auch einiges von sich selbst wiedererkennt und man gleichzeitig auch wirklich die Chance hat, einfach noch mehr zu lernen, etwas aus einer anderen Perspektive zu sehen. Und da bietet Der Buchspazierer tatsächlich, durch die vielen tollen anderen Figuren, auch unheimlich viel Projektionsfläche. Denn ich glaube, jeder wird in diesem Film irgendeine Figur finden, bei der man merkt, ach eigentlich bin ich auch so jemand.
Vielen Dank für das Interview!
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