Zwischenzeitlich sah es zwar so aus, als hätten die Menschen wieder die Freude am Landleben entdeckt. Im Rahmen der Corona-Pandemie zog es wieder viele hinaus aufs Land, weg von den krank machenden Städten. Ein wirklicher Trend wurde daraus aber nicht. Stattdessen geht das Sterben der Dörfer und Kleinstädte weiter, was sich gerade auch im Niedergang von Geschäften, Infrastruktur und Kultur bemerkbar macht. Immer wieder wird dieses Thema in Filmen aufgegriffen. Da war etwa die charmante französische Komödie Es sind die kleinen Dinge, bei der um den Erhalt einer Schule gekämpft wird. In Deutschland mag man es lieber dokumentarisch. Da schilderten Wir waren Kumpel und Auf der Kippe, wie ländliche Gegenden mit einem Strukturwandel umgehen. Unendlicher Raum geht nun in eine ähnliche Richtung.
Die Suche nach einer Vision
Wobei hier kein Kohlebergwerk thematisiert wird oder ein ähnliches Ende alter Arbeitsstätten und Industrieren. Vielmehr begleitet der Dokumentarfilm dabei, wenn sich die Vorpommersche Kleinstadt Loitz gegen das eigene Sterben aufbäumt. Seit 1990 hat die Gemeinde bereits ein Drittel der Einwohner und Einwohnerinnen verloren, bis 2030 wird es wohl die Hälfte sein. Das Ergebnis ist das zu erwartende: Überall stehen Gebäude leer, werden Geschäfte nicht fortgeführt, der Zerfall ist Haus für Haus, Straße für Straße zu sehen. Aber vielleicht ist diese Entwicklung ja aufzuhalten. So werden in Unendlicher Raum mehrere Projekte vorgestellt, wie wieder etwas Leben in die sterbende Stadt gebracht werden könnte. Zum einen will das Berliner Pärchen Annika und Rolando einen Raum für Begegnung schaffen. Außerdem ist ein Festival geplant.
Das klingt dann erst einmal so, als würden da wieder irgendwelche Leute aus der Großstadt Entwicklungshilfe betreiben, weil es die vor Ort nicht hinbekommen. Ganz so schlimm wird es dann aber doch nicht, Loitz ist mehr als nur eine Hilfeempfänger. Genauer wird schon versucht, die lokale Bevölkerung einzubeziehen und gemeinsam eine Zukunft zu entwickeln. Unendlicher Raum handelt dann auch maßgeblich davon, wie Fremde und Einheimische um eine Vision ringen, wie es denn weitergehen soll. Manchmal verliert sich das im Kleinklein, in anderen Fällen hätte man sich vielleicht mehr erhofft. Im Laufe des Films werden mehrere Themen angesprochen, ohne dass diese immer vertieft würde oder auch zu einem Abschluss kommt.
Zwischen Aufbruch und Rückblick
Dabei mischt sich Zukunft und Vergangenheit. Auch wenn grundsätzlich der Blick schon nach vorne gerichtet ist bei dem Versuch, etwas Neues aufzubauen, bleibt der Blick zurück nicht aus. Da erinnern sich die Menschen daran, wie es früher war, und erzählen, was ihnen der Ort bedeutet. Heimat spielt eine große Rolle. Aber was bedeutet Heimat, wenn sich alles verändert, vieles verlorengeht von dem, das einem vertraut und wichtig war? Wer sind wir, wenn sich alles verändert? Unendlicher Raum gibt sich da von einer nachdenklichen Seite, von einer etwas melancholischen auch. Obwohl es in dem Film durchaus um einen Aufbruch geht, verbreitet sich nicht so wirklich Aufbruchsstimmung.
Um eine Gute-Laune-Doku handelt es sich daher nicht. Manche werden im Anschluss vielleicht noch ratloser sein, wenn Projekte nicht funktionieren und klar geworden ist, dass die Positionen der Menschen trotz eines gemeinsamen Wunsches sehr unterschiedlich sein können. Das macht den Film, der auf dem Max Ophüls Preis 2024 Premiere hatte, aber nicht weniger sehenswert. Unendlicher Raum lädt zum einen zu Diskussionen ein, stellt aber auch eine Reihe interessanter Menschen in Loitz vor, die und an ihrem Leben teilhaben lassen, an ihren Wünschen und Träumen. Und eben den Sorgen, wenn um sie heraus alles zerfällt und offenbleibt, ob es den Ort überhaupt dauerhaft geben wird.
OT: „Unendlicher Raum“
Land: Deutschland
Jahr: 2024
Regie: Paul Raatz
Drehbuch: Paul Raatz
Musik: Adrian Dominik
Kamera: Jean-Pierre Meyer-Gehrke
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