Die Begeisterung von Abel (Louis Garrel) hält sich in Grenzen, dass seine Mutter Sylvie (Anouk Grinberg) noch einmal heiraten wird. Vor allem kann er mit ihrer Wahl nichts anfangen: Michel (Roschdy Zem) sitzt derzeit wegen eines Raubüberfalls im Gefängnis, wo Sylvie Theaterunterricht gibt. Bald soll dieser zwar auf freien Fuß kommen, wegen guter Führung. Abel ist jedoch skeptisch, ob dieser Sinneswandel von Dauer ist oder er nicht doch wieder straffällig wird. Schließlich ist es nicht das erste Mal, dass seine Mutter im Gefängnis auf Partnersuche war. Tatsächlich scheinen sich Abels Befürchtungen zu bewahrheiten, der neue Schwiegerpapa plant ein krummes Ding. Dummerweise bekommt dieser aber mit, dass der junge Mann ihn beschattet. Und ehe er es sich versieht, stecken er und seine platonische Freundin Clémence (Noémie Merlant) mitten in einem geplanten Überfall …
Ein Mann auf Abwegen
Als Schauspieler ist Louis Garrel natürlich gefragt, in mehreren Dutzend Filmen hat er bereits mitgewirkt. Zwischendurch wechselt er aber immer mal wieder die Seiten und inszeniert auch selbst Werke. Dabei geht es oft um zwischenmenschliche Themen. In Ein Mann zum Verlieben erzählte er beispielsweise von einem Mann – von ihm selbst verkörpert –, der auf einmal zwischen zwei Frauen steht. Mit Verkehrte Welt legte er 2022 seinen vierten Langfilm als Regisseur vor. Zwar sind auch dort Beziehungen zwischen Figuren von großer Bedeutung, diese können dabei die unterschiedlichsten Formen annehmen. Etwas überraschend kombiniert er dieses Themenfeld aber mit kriminellen Machenschaften und erweitert damit das übliche Genreumfeld, in dem sich Garrel bewegt.
Zumindest streckenweise könnte man Verkehrte Welt dann auch als eine Gaunerkomödie bezeichnen, bei der die Figuren einen Coup vorbereiten. Wobei der Film dabei weniger den klassischen Heist Movies ähnelt, bei denen irgendwelche diebischen Genies ausgeklügelte Pläne anlegen. Schon das Zielobjekt ist etwas ungewöhnlich, wenn es nicht um Schmuck oder Geld geht, sondern Kaviar. Und auch bei der Umsetzung hat das Drehbuchduo einige originelle Einfälle, die vielleicht nicht die größte kriminelle Kompetenz beweisen, dafür aber umso lustiger sind. Dabei geht es weniger um irgendwelche Slapstickeinlagen, wenn Missgeschicke geschehen. Stattdessen bleibt Garrel auch dann nahe bei den Figuren und entwickelt aus dem Zwischenspiel heraus Humor. Da muss dann auch gar nicht viel geschehen, damit das Publikum einen Grund zum Schmunzeln bekommt.
Wendungsreich und mit Einsatz gespielt
Das soll aber nicht bedeuten, dass Verkehrte Welt frei ist von Handlung. Zwar wird schon viel gesprochen, aber eben nicht nur. Da sind die kläglichen Beschattungsversuche des Sohns, die Vorbereitungen und der Überfall. Und selbst als dieser vorbei ist, ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Die Krimikomödie hat einige Wendungen eingebaut, bei denen das Publikum ungläubig staunen darf, wenn irgendwie doch alles ganz anders kommt als geplant. Der Film lässt nicht nur Pläne immer wieder scheitern, sondern beschäftigt auch die Zuschauer und Zuschauerinnen damit, dass regelmäßig Erwartungen nicht erfüllt werden. Das ist auch durchaus spannend, selbst wenn die Geschichte recht absurd ist und es kaum jemanden geben wird, der das Geschehen für bare Münze nimmt.
Es ist aber nicht allein der Inhalt, der den Film sehenswert macht. Die Krimikomödie, die 2022 bei den Filmfestspielen von Cannes Weltpremiere hatte, gefällt auch durch die schauspielerische Leistung. Die vier Hauptfiguren sind markant und mit viel Schwung gespielt. Hinzu kommen ein paar inszenatorische Spielereien, bei denen sich Garrel austobt. In der Summe ist Verkehrte Welt damit ein sympathisches, unterhaltsames Werk, mit dem man sich anderthalb Stunden lang gut die Zeit vertreiben kann. Ob die elf Nominierungen bei den Césars in dem Umfang gerechtfertigt sind, darüber lässt sich natürlich streiten. Aber es macht doch neugierig, was der Gelegenheitsregisseur beim nächsten Mal wohl auf die Beine stellen wird.
OT: „L’innocent“
Land: Frankreich
Jahr: 2022
Regie: Louis Garrel
Drehbuch: Louis Garrel, Tanguy Viel
Musik: Grégoire Hetzel
Kamera: Julien Poupard
Besetzung: Louis Garrel, Roschdy Zem, Anouk Grinberg, Noémie Merlant, Jean-Claude Pautot
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
---|---|---|---|---|
César | 2023 | Bester Film | nominiert | |
Beste Regie | Louis Garrel | nominiert | ||
Bester Hauptdarsteller | Louis Garrel | nominiert | ||
Bester Nebendarsteller | Roschdy Zem | nominiert | ||
Beste Nebendarstellerin | Anouk Grinberg | nominiert | ||
Beste Nebendarstellerin | Noémie Merlant | Sieg | ||
Bestes Original-Drehbuch | Louis Garrel, Tanguy Viel, Naïla Guiguet | Sieg | ||
Beste Musik | Grégoire Hetzel | nominiert | ||
Bester Ton | Laurent Benaïm, Alexis Meynet, Olivier Guillaume | nominiert | ||
Beste Kostüme | Corinne Bruand | nominiert | ||
Bester Schnitt | Pierre Deschamps | nominiert | ||
Prix Lumières | 2023 | Bester Hauptdarsteller | Louis Garrel | nominiert |
Beste Hauptdarstellerin | Noémie Merlant | nominiert | ||
Bestes Drehbuch | Louis Garrel, Tanguy Viel, Naïla Guiguet | nominiert | ||
Beste Musik | Grégoire Hetzel | nominiert |
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