Viele Katholiken würden alles geben für eine Privataudienz beim Papst. Aber vermutlich noch mehr Menschen wären außer sich vor Freude, wenn sie dem Dalai Lama persönlich begegnen dürften. Und das nicht nur, weil das religiöse Oberhaupt der Tibeter schon viel länger im Fokus der Weltöffentlichkeit steht. Sondern weil der charismatische Mönch aus dem Himalaya nicht die Religion in den Mittelpunkt seines Wirkens stellt, sondern das persönliche Glück jedes einzelnen von uns – und somit letztendlich das Überleben der Menschheit. Das Gefühl, dem Dalai Lama in die Augen zu schauen, verschafft nun ein Schweizer Dokumentarfilm von Barbara Miller, Philip Delaquis und Manuel Bauer. Indem der fast 90-Jährige direkt in die Kamera blickt, kommt er uns im Kino fast so nahe wie in einem echten Gespräch.
Vom Streben nach Glück
Ein lederner Stuhl: Zwei Helfer halten Tenzin Gyatso, wie der 14. Dalai Lama mit geistlichem Namen heißt, rechts und links bei den Armen, lassen ihn sanft in den Sitz sinken. Man wischt ihm kurz den Schweiß von der Stirn. Für einen Moment wirkt der alte Herr im traditionellen rot-orangenen Gewand angestrengt, vielleicht sogar verärgert über die Gebrechen des Körpers. Aber dann fängt er sich und ein Lächeln gleitet über sein Gesicht. Im Kern nimmt er damit vorweg, worum es in den nächsten 90 Minuten gehen wird: Wie man negative Gefühle vorbeiziehen lässt und Raum schafft für Mitgefühl und Glück. Welche Techniken man dafür anwenden kann, wie man es lernt und vor allem: was es in einem auslöst. Es geht, wie es der Filmtitel treffend formuliert, um die Weisheit des Glücks. Und damit um das Elementarste, was menschliches Leben ausmacht. „Denn tief im Inneren“, so beginnt der Dalai Lama das Gespräch, „streben wir alle nach Frieden und Glück“.
Es folgen die Antworten auf das ausführliche Interview, das die Filmemacher mit dem Dalai Lama geführt haben. Der Monolog zieht sich über die ganze Filmlänge, immer wieder direkt in die Kamera gesprochen, teils aber auch im Off, begleitet von Archivaufnahmen über das Leben des ins indische Exil Vertriebenen sowie von bildmächtigen Assoziationen, die das Gesagte nicht nur illustrieren, sondern die Gedanken zum Schweifen und freien Assoziieren einladen. Die für jedermann verständliche Lebensweisheit, die Tenzin Gyatso mit dem Publikum teilt, ist eine Mischung aus Vortrag, intimer Ansprache, therapeutischen Ratschlägen, weltumspannenden Lösungsansätzen und einem Hauch Predigt im guten Sinne.
Ganz vergröbert zusammengefasst lautet die Botschaft: Negative Gefühle wie Wut, Hass und Angst, die durch überzogenes Konkurrenzdenken, unangemessene Konsumsucht und permanenten Stress von der modernen Leistungsgesellschaft erzeugt und befeuert werden, sind kein unwandelbares Schicksal. Solche Emotionen haben zwar die fatale Eigenschaft, unser gesamtes Denken zu beherrschen, unsere Wahrnehmung zu verzerren und uns unglücklich zu machen. Aber wir können sie kontrollieren und ihnen damit ihre Macht über uns nehmen. Zunächst ganz einfach mit einer Atemtechnik: Einatmen, die Luft anhalten und wieder ausatmen. Schon beruhigt sich unser Geist und wir können ein Gefühl wie Wut mit Distanz betrachten. Anschließend sind wir dank unserer Intelligenz in der Lage, über uns nachzudenken und zu analysieren, woher die Wut kommt. Wir können entscheiden, uns nicht von ihr, sondern von der Fürsorge für uns selbst und für andere bestimmen zu lassen.
Bilder von schillernder Schönheit
Sicher gibt es Menschen, die Begriffe wie Atemtechnik oder analytische Meditation für esoterisch halten. Aber Charisma und Glaubwürdigkeit des Friedensnobelpreisträgers rühren schon seit über 60 Jahren daher, dass er das alles selbst erlebt hat und praktiziert. Im Film beschreibt er sich in seiner Jugend als aufbrausend. Und sein politisches Schicksal aufgrund der chinesischen Besatzung hätte ihm allem Grund gegeben, in Hass zu verfallen und in der Opferrolle stecken zu bleiben. Aber, so sein Credo: Man kann Aktion und Akteur trennen. Man kann die Aktion verurteilen, aber den Akteur als Menschen sehen, dem die Natur – wie uns allen – den Keim zum Mitgefühl eingepflanzt hat. Und der vielleicht irgendwann begreifen wird, dass jeder und jede – gleich welcher Religion, Hautfarbe oder Nation – das gleiche Glücks- und Friedenbedürfnis haben. So dass es überhaupt nichts bringt, das „Wir“ gegen „Die da“ auszuspielen, was die Wurzel zu unnötigen Konflikten und Kriegen legt.
Das Bemerkenswerte an dem Film, der von den Hollywoodstars Richard Gere und Oren Moverman als ausführenden Produzenten unterstützt wurde, ist allerdings weniger die persönliche und politische Botschaft, die man auch in Texten nachlesen kann. Sondern die einzigartige Kombination von größter Intimität mit raumgreifenden Bildern. Es sind Aufnahmen von faszinierender visueller Kraft, die Kameramann Manuel Bauer beigesteuert hat. Sie weichen den Problemen, vor denen das 21. Jahrhundert steht, keineswegs aus, aber sie transformieren sie in schillernde Schönheit – und in das Prinzip Hoffnung. Sie machen Mut, weiten die Seele und lassen die Gedanken des Dalai Lama in die Lüfte steigen, wo sie sich mischen mit positiven Emotionen, weitergesponnenen Ideen oder der Lust am großen, cineastischen Pathos. Es ist sicher kein Zufall, dass die beiden Regisseure Barbara Miller und Philip Delaquis den Namen des Mannes hinter der Kamera mit hinzunahmen in den Credit „Ein Film von …“.
OT: „Wisdom of Happiness“
Land: Schweiz, USA
Jahr: 2024
Regie: Barbara Miller, Philip Delaquis
Drehbuch: Barbara Miller, Philip Delaquis
Musik: Ariel Marx
Kamera: Manuel Bauer
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