Paris, 1899: Der 19-jährige Claude (Jean-Pierre Léaud) hat ein großes Faible für die Kunst. Dies teilt er mit der Kunststudentin Ann Brown (Kika Markham), mit der bald Freundschaft schließt. Und so lädt sie ihn nach Wales zu ihrer Familie ein, zu der auch ihre jüngere Schwester Muriel (Stacey Tendeter) gehört. Bald schon sind die drei unzertrennlich, verbringen sehr viel Zeit miteinander. Vor allem Claude und Muriel sind sich dabei zugetan, aus der Freundschaft entwickelt sich mehr. Die beiden Familien sind davon jedoch wenig begeistert, weshalb der Beschluss gefasst wird, dass die zwei Liebenden sich ein Jahr lang nicht mehr sehen sollen. Während Claude sich bald mit dieser Situation arrangiert, leidet Muriel sehr schwer darunter …
Das unerreichbare Glück
Im Laufe seiner Karriere hat François Truffaut natürlich die unterschiedlichsten und bedeutende Filme gedreht, weshalb man kaum von dem wichtigsten Werk sprechen kann. Ganz weit oben rangiert aber sicherlich Jules und Jim, das als eines der großen Liebesdramen der Filmgeschichte gilt. Insofern verwundert es schon ein wenig, dass Zwei Mädchen aus Wales und die Liebe zum Kontinent ziemlich in Vergessenheit geraten ist. Nicht nur, dass beide Filme auf einem Roman des Schriftstellers Henri-Pierre Roché basieren. In beiden Fällen geht es auch um ein Liebesdreieck, welches nie so glücklich wird, wie es das gern hätte. Im Gegensatz zum Klassiker war die Resonanz hier aber bescheiden. Die Kritiken waren 1971 oft schlecht, an den Kinokassen fiel das Drama durch, es wurde am Film herumgeschnitten. Viel gebracht hat es nicht: Niemand konnte etwas damit anfangen.
Dabei hat der Film durchaus etwas zu bieten, zumindest wenn man sich für scheiternde Beziehungen interessiert – und auch solche, die nie wirklich zu einer werden. Bei einer Dreiecksbeziehung geht es oft darum, dass die Hauptfigur die richtige finden muss. In Zwei Mädchen aus Wales und die Liebe zum Kontinent wird in der Hinsicht zwar rumprobiert, das Ergebnis ist aber ernüchternd. Die Zuneigung ist da, zudem die gemeinsame Leidenschaft für die Kunst. Aber manchmal reicht das nicht aus. Manche Hindernisse kommen von außen, wenn die Familien dazwischenfunken. Andere sind den Figuren selbst geschuldet: Selbst als das Glück zum Greifen nahe ist, ist es doch unerreichbar, weil sich die Beteiligten nie ganz drauf einlassen. Sobald etwas errichtet ist, wird es wieder zerstört. Das Glück im Leben wird zwar nicht grundsätzlich in Zweifel gezogen. In der Konstellation bleibt aber nur Flucht oder Tod.
Hang zur Theatralik
Das ist natürlich sehr tragisch. Und doch ist das mit dem Mitfühlen hier nicht ganz einfach, da Truffaut oft ein bisschen übers Ziel hinausschießt. Das betrifft den Inhalt, bei dem er im Vergleich zum Roman noch einen traurigen Wendepunkt einführt, den es im Original gar nicht gab. Dann ist da die schwülstige Musik, die wie ein Teppich über allem liegt. Aber auch die ständigen Voiceover und der Hang zur Theatralik führen dazu, dass einen Zwei Mädchen aus Wales und die Liebe zum Kontinent trotz der ständigen amourösen Verwicklungen etwas kalt lassen darf. Es fällt zuweilen schwer, die Figuren als reale Menschen wahrzunehmen. Da ist beispielsweise Wuthering Heights deutlich näher an den Figuren dran, die Adaption des Klassikers von Emily Brontë. Der Vergleich ist insofern denkbar, da es sich in beiden Fällen um tragische Liebesgeschichten handelt. Tatsächlich finden sich hier auch mehrere Verweise auf die berühmten Schwestern, die Literaturgeschichte geschrieben haben.
Das bedeutet aber nicht, dass der Film so schlecht ist, wie er in den Kritiken seinerzeit abgebildet wurde. Da sind durchaus sehenswerte Elemente wie die schöne Ausstattung und die kunstvolle Inszenierung. Schauspielerisch lässt sich da ebenfalls wenig aussetzen. Das Drama hat zudem eine poetische Note, die sicher reizvoll sein kann. Und doch, in der Summe ist Zwei Mädchen aus Wales und die Liebe zum Kontinent ein Werk, das man eher der Vollständigkeit halber anschaut als wegen der Qualität. Ähnlich wie der überfrachtete Titel ist das Drama oft einfach zu viel und ergibt sich geradezu seiner Tragik.
OT: „Les Deux anglaises et le continent“
Land: Frankreich
Jahr: 1971
Regie: François Truffaut
Drehbuch: François Truffaut, Jean Gruault
Vorlage: Henri-Pierre Roché
Musik: Georges Delerue
Kamera: Néstor Almendros
Besetzung: Jean-Pierre Léaud, Stacey Tendeter, Kika Markham, Philippe Léotard, Sylvia Marriott, Marie Mansart
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