Pack die Fahrzeugpapiere ein, nimm dein großes Schwesterlein, und dann nichts wie auf zum visuell experimentellen Roadtrip von Berlin nach Paris. Das auch hinter der Kamera familiäre Trio aus Regisseurin, Autorin, Editorin und Hauptdarstellerin Sara Summa (Diana), ihrem zweijährigen Sohn Lupo und ihrem Bruder Robin Summa (Arthur) möchte nichts weiter, als den in die Jahre gekommenen Renault ihres Vaters zur Inspektion in die französische Hauptstadt bringen – dessen Optik an einen zwischen senfgelb und matschbraun rangierenden Proto-Cybertruck mit fragwürdigem Riesensticker an der Seite erinnert. Eigentlich eine simple Mission, doch bereits nach dem Losfahren wird ersichtlich, dass die Geschwister sich lieber gegenseitig anmotzen, als GPS oder Landkarte zu folgen. Mit jedem Stopp, jedem Umweg, jeder neuen Bekanntschaft (wie der quirky Italienerin Zora, gespielt von Livia Antonelli) und jedem aufs Neue aufkommenden Konflikt scheint die Neuzulassung des Autos in immer weiterer Ferne zu sein. Hinzu kommen die stressige Mutter Betty (Claire Loiseau) und unvorhersehbare Situationen wie Pannen oder Polizei. Doch wie sagt man so schön: Der Weg ist das Ziel.
Wohlig warm, realistisch ruppig
Von Anfang an präsentiert sich Arthur & Diana wie eine Ode an Menschen, die vor dem Jahr 2000 geboren wurden. Dank Camcorder, 16mm und flimmernden Bildrändern lösen bereits die ersten Momente nostalgische Assoziationen zu 90er-Fernsehwerbungen und den alten Familienurlaubs-VHS-Tapes aus, auch wenn die Nutzung eines Smartphones als Navigationssystem diese Immersion etwas zunichte macht. Um das auszugleichen, benutzt Diana kurze Zeit später ein Nokia 3310; ein tolles Gerät, um etwas Digital Detox zu betreiben. So wohlig, farbintensiv und körnig die Geschehnisse dargestellt werden, so düster sieht es zeitweise unter den Geschwistern aus, die kaum eine Gelegenheit auslassen, sich gegenseitig zu provozieren. Auch Sohn Lupo ist oftmals mehr Bengel als Engel (zugegebenermaßen trotzdem süß, mausert sich ab und an gar zum Showstealer).
Die dargestellte Schwester-Bruder-Beziehung ist laut Sara Summa autofiktional – so intim, wie es ein Film mit zwei Geschwistern in den Hauptrollen sein kann, aber auch so überspitzt, dass nicht deren gesamtes persönliches Leben aufgerollt wird. Die Dialoge sind dabei jedoch selten packend, da Formulierungen, Vorwürfe und Verhaltensweisen doch in schon gesehene Klischees abdriften. So könnten einige Szenen mit Diana vom artsy Tumblr-Blog einer 16-jährigen jugendlichen Person stammen. Für manche kann dies jedoch auch zur näheren Identifikation mit den Figuren beitragen, weil das gegenseitige geschwisterliche Gepiesacke durchaus realistisch konzipiert wurde (wahrscheinlich aus eigener Erfahrung).
Diana und Arthur selbst sind ebenso eher als Arthouse-Stereotype zu verstehen, menschlich nicht immer sympathisch – sie ein Freigeist, er der äußerlich Besonnene, der trotzdem Lasten mit sich herumträgt – wobei sie die Fürsorge zum kleinen Lupo eint. Eine obligatorische Quasi-Hitchhikerin, Wildcampen, eine kurze Romanze und mehrere gegen die StVO verstoßende Momente dürfen natürlich auch nicht fehlen.
Im Fokus: die Bildkunst
Was den Film von thematisch vergleichbaren Roadmovies und Familiendramen abhebt, ist seine experimentelle Visualität. Es wird mit Lichtverhältnissen gespielt, etliche Bildkompositionen erinnern fast schon an die Ästhetik und Genauigkeit einer Agnès Varda. Bei einer filmbezogenen Instagram-Seite wüsste man gar nicht, welches der zahlreichen wunderschönen und innovativen Frames in einen Post gepackt werden sollte. In vielen, eigentlich banal anmutenden Shots sind spannende Details zu entdecken, wobei die Regisseurin in etwaigen späteren Werken damit noch mehr „all-in“ gehen darf.
Die große Stärke von Arthur & Diana liegt nicht unbedingt in der Familiendynamik, sondern in surrealistischen Skits, in der Bildkunst und in der ein Gefühl des Heimeligen erzeugenden Machart. Daneben erscheint die Story eher wie ein Mittel zum Zweck, auch wenn keineswegs schlecht gespielt oder geschrieben wurde. Nur überstrahlen die kontrastreiche Farbpalette und das Mise en Scène gerade in Szenen, in denen der Film sich auch an eine avantgardistischere Erzählstruktur traut, den gesamten Rest. Als Beispiel sei hier eine Chantal Akermans News from Home ähnelnde Sequenz genannt, in der der Dialog der Geschwister aus dem Off über verschiedene Stadtszenarien drüber spricht.
OT: „Arthur & Diana“
Land: Deutschland
Jahr: 2023
Regie: Sara Summa
Drehbuch: Sara Summa
Musik: Ben Roessler
Kamera: Faraz Fesharaki
Besetzung: Sara Summa, Robin Summa, Lupo Piero Summa, Livia Antonelli, Claire Loiseau, Benjamin Schwinn, Ugo Fiore
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