Die Geschichten Thomas Manns gehören ohne Zweifel in den Kanon der Weltliteratur und sind zeitlose Meisterwerke. In Buddenbrooks und Der Zauberberg behandelte er nicht nur Themen der Zeitgeschichte, sondern widmete sich der Idee der Täuschung als Lebenskonzept und als Schlüssel zum Verständnis der Welt. Aufgeklärtheit und Bildung sind keineswegs Garanten dafür, dass man nicht auf einen Jahrmarktstrick oder den Nimbus eines überzeugend auftretenden Menschen hereinfallen könnte. Mit der Figur des Cipolla aus Mario und der Zauberer schuf Mann einen Charakter, der als Sinnbild für all die charismatischen Führer gelten kann, die durch geschickte Täuschung über ihre wahre Agenda hinwegtäuschen können. Angesichts aktueller Entwicklungen wie der Wahl in den USA könnte die zeitgemäßer kaum sein. Aber es waren nicht nur die fiktionalen Charaktere, deren Leben und Handeln vom Prinzip der Täuschung definiert wurde, auch die Biografie Thomas Manns ist eine, in der dieses eine wichtige Rolle spielt
Wie kaum eine Figur in seinem Werk verkörpert Felix Krull aus Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull die Idee der Täuschung als Lebens- und Weltprinzip. Das Werk beschäftige Mann sehr lange und zwischen den einzelnen Schaffensphasen des Romans liegen teils viele Jahre zwischen. Die tiefe Verbundenheit und Sympathie, die er für seine Kreation immer wieder beteuerte, mag auch darin begründet sein, weil dieses Prinzip Thomas Mann, wie schon gesagt, nicht ganz unbekannt war.
Auf dieser Prämisse beruht André Schäfers Dokumentation oder Doku-Hybrid Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mannt. Schauspieler Sebastian Schneider schlüpft dabei in die Rolle des Felix Krull, teils spielt er auch andere Figuren des Romans, und stellt dabei ein paar der Kernmomente der Geschichte dar. Schäfer verbindet dies mit Archivmaterial zu Thomas Manns Leben sowie bekannten Interviews mit Katia, Golo und Erika Mann, die man teils aus anderen Produktionen schon kennt. Außerdem gibt es noch Auszüge aus den Tagebüchern Thomas Manns, die den Hintergrund zu seinem Roman näher beleuchten sowie die schon genannten Parallelen zwischen ihm und der Figur des Felix Krull.
Täuschung und das wahre Leben
Als eine der Schlüsselstellen des ersten Buches des Romans gilt die Begegnung zwischen dem noch sehr jungen Felix Krull und dem Schauspieler Müller-Rosé. Beim ersten Besuch einer Theateraufführung ist Krull hingerissen und wie bezaubert von der Darbietung des Mannes, der das gesamte Publikum in seinen Bann zu ziehen weiß, und bitter enttäuscht, als er ihn nach der Vorstellung in seiner Garderobe besucht. Das Schauspiel, das temporäre Täuschen ist für den Zuschauer eine unglaubliche Erfahrung, während sie einem selbst die Möglichkeit gibt, in eine Rolle zu schlüpfen, die nichts oder nur wenig mit einem selbst zu tun hat. Krull ist einer, der diese Freiheit immer wieder sucht, der zumindest zeitweise so etwas wie ein anderes Leben genießen kann. Aber er ist auch jemand, der keinerlei Verpflichtungen hat und gerade deswegen diese Freiheit für sich beanspruchen darf.
Schneider betont durch sein Spiel, seine Gestik und Mimik sowie seinen Sprachduktus die Verwandlung dieser Figur, seine Lust und Leidenschaft, seine Verträumtheit und seine Sehnsucht nach immer neuen Abenteuern. Schäfer sucht dabei stets den Vergleich zu Thomas Mann, einem Menschen, der wohl fühlte, dass er nicht so sein konnte wie er wirklich fühlte oder zumindest seinen Neigungen (außerhalb seiner Kunst) nicht nachgehen konnte. Das Prinzip der Täuschung wird zu einer Konstante in beiden Leben, dem der Romanfigur und dem des Autors, was sehr ansprechend inszeniert ist, aber, zumindest was die Person Thomas Mann betrifft, nichts Neues erzählt. Als eine Art Interpretation oder Lesart des Romans ist Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann aber durchaus interessant.
OT: „Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann“
Land: Deutschland
Jahr: 2024
Regie: André Schäfer
Drehbuch: André Schäfer, Jascha Hannover, Hartmut Kasper
Kamera: Janis Mazuch
Besetzung: Sebastian Schneider
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