Auch wer sich keinen Champagner leisten mag, hat wahrscheinlich schon einmal von der Marke „Veuve Clicquot“ gehört. Nicht allen ist dabei bewusst, dass das französische „Veuve“ Witwe bedeutet. Wer also war die Frau, die dem heutigen Imperium ihre Trauer lieh? Der englische Regisseur Thomas Napper erzählt nun ihre Geschichte, basierend auf dem 2008 erstmals erschienenen Buch der amerikanischen Kunsthistorikerin und Weinfachfrau Tilar J. Mazzeo. Die Handlung dreht sich um die schon mehrfach in Historienfilmen thematisierte Emanzipation einer unerschrockenen Frau gegen alle Widerstände. Aber sie schließt zugleich das ebenso vielschichtige wie zärtliche Porträt der 1777 geborenen Barbe-Nicole Ponsardin (Haley Bennett) ein, die mit 20 den jungen François Clicquot (Tom Sturridge) heiratete. Der Ehemann verstarb früh, und mit nur 27 Jahren stand die junge Frau vor der Entscheidung, das Erbe weiter zu führen. Oder sich den zahlreichen und äußerst hartnäckigen Gegnern zu beugen. Denn die waren der Meinung, eine Frau sei niemals in der Lage, ein Unternehmen zu leiten.
Singen für starke Reben
Sonnenaufgang über den Weinbergen der Champagne. François zeigt seiner großen Liebe erstmals sein Reich: die bis zum Horizont reichenden Reben, denen er schon als kleiner Junge etwas vorgesungen hat, um sie stark und kräftig zu machen. François ist ein schwärmerischer junger Mann, inspiriert von Gedichten und den Idealen der Aufklärung, die wenige Jahre zuvor in der Französischen Revolution Wirklichkeit wurden – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Schon nach wenigen Sekunden der Schnitt – und ein größtmöglicher Gegensatz. Tränen laufen Barbe-Nicole über die Wangen, als ihre Zofe sie nach dem Aufstehen waschen und ankleiden will. Es ist der Tag der Beerdigung.
Die Witwe Clicquot lebt von Gegensätzen, aber vor allem von deren Verschmelzung. Drehbuchautor Erin Dignam und Regisseur Thomas Napper siedeln die Handlung auf zwei Zeitebenen an. Rückblenden erzählen ab 1799 von der äußerst romantischen Zweisamkeit, einer gleichberechtigten Partnerschaft auf Augenhöhe, die jedoch unter die Räder gerät, als der sensible François vor Konflikten mit seinem Vater Philippe (Ben Miles), dem Gründer des Champagnerhauses, in eine Drogensucht flüchtet. Die gegenwärtige Handlung beginnt mit François‘ Tod im Jahr 1806 und blättert die vielen Widerstände auf, gegen die sich die junge Witwe stemmen muss, angefangen von Missernten über politisch motivierte Exportverbote bis hin zu schieren Unglückfällen wie dem Verlust der Ware auf dem Weg nach Amsterdam. Wie sich beide Erzählstränge ineinanderschlingen, wie Trauer, Erinnerung und aktuelle Nöte zu einem einzigen Gedanken- und Bilderstrom verschmelzen – das hebt die hochemotionalen, wie von innen her beleuchteten Einstellungen (Kamera: Caroline Champetier) über die gängigen Konventionen von Filmbiografien hinaus.
Durchsetzungsstarke Romantikerin
In seiner Machart ist Die Witwe Clicquot vor allem etwas für Romantiker. Kerzenlicht schmeichelt den Gesichtern, die Kamera scheint die Charaktere regelrecht zu umgarnen, vor allem, als mit dem Weinhändler Louis Bohne (Sam Riley) ein neuer Mann in Barbe-Nicoles Leben tritt. Während die „echte“ Witwe Clicquot energisch und durchsetzungsstark gewesen sein muss, stattet Haley Bennett (Swallow, 2019), die auch als Mitproduzentin fungiert, ihre Figur zugleich mit einer zerbrechlichen Sanftheit aus. Nur selten erhebt sie ihre Stimme, um ihre innovativen, auf Spitzenqualität gerichteten Experimente zu begründen. Meist spricht sie bestimmt, aber freundlich mit ihren Gegnern. Und zuweilen äußert sie sich sogar so verträumt wie ihr verstorbener Mann, etwa wenn sie die Suche nach einem unverwechselbaren Charakter der Trauben damit rechtfertigt, dass sie den Trinkenden das Gefühl geben möchte, mitten in genau diesem Weinberg zu stehen, auf diesem paradiesischen Fleckchen Erde nahe Verzy.
Während sich der Film mit Recht auf die Schwärmereien der Frühromantik einlässt und so die Gefühlslücken füllt, die in historischen Dokumenten wie Firmenunterlagen naturgemäß keinen Platz haben, gibt er sich zugleich entschieden modern. Das wird vor allem in der beeindruckenden Schlussszene deutlich, in der Haley Bennett direkt in die Kamera und somit zu uns Zuschauern blickt. Ihre Figur muss sich da vor Gericht dafür rechtfertigen, ein Unternehmen zu führen. Und sie erklärt der versammelten Öffentlichkeit, warum sie ihren eigenen Weg nicht in der Weise gehen will, dass sie sich an die Vorgaben der Männer anpasst und als Chefin eines Unternehmens wie ein Mann agiert. Sondern dass sie darauf besteht, eine Frau bleiben zu dürfen, selbst in einer Position wie der ihren. In diesem Moment mag man sich mitten in eine heutige Debatte um Gleichberechtigung und Feminismus versetzt fühlen.
OT: „Widow Clicquot“
Land: USA
Jahr: 2023
Regie: Thomas Napper
Drehbuch: Erin Dignam
Musik: Bryce Dessner
Kamera: Caroline Champetier
Besetzung: Haley Bennett, Tom Sturridge, Sam Riley, Anson Boon, Leo Suter
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