Basierend auf dem gleichnamigen Bestseller erzählt Marianengraben von Paula (Luna Wedler), die nicht über den Tod ihres jüngeren Bruders hinwegkommt. Als sie eines Nachts wieder an seinem Grab steht, macht sie die Bekanntschaft von Helmut (Edgar Selge), mit dem sie erst die Urne seiner verstorbenen Frau ausgräbt und anschließend nach Italien fährt, wo die beiden sich gegenseitig helfen, mit ihren jeweiligen Situationen klarzukommen. Die Tragikomödie ist das Langfilmdebüt der Regisseurin Eileen Byrne. Wir haben uns mit ihr im Rahmen der Deutschlandpremiere auf dem Filmfest Hamburg 2024 unterhalten.
Wie kam es denn zu dem Film? Könntest du uns mehr über die Entstehungsgeschichte erzählen?
Bernard Michaux von Samsa Film, der ein Freund von mir ist, und ich wollten zusammen einen Film machen. Ich kam aber mit meinen eigenen Ideen gerade nicht weiter. Im Februar 2020 wurde der Roman bei der Berlinale vorgestellt und Bernard schickte mir das Manuskript zum Lesen. Nach 10 Seiten habe ich ihm bereits geschrieben: „Du musst diese Rechte kriegen!“ Der Stil von Jasmin Schreiber hat mir sehr aus der Seele gesprochen. Ich bin ein großer Fan von Tragikomödien und meine Kurzfilme waren meistens Dramedies. Ich finde, dass dieses Genre das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen am Besten widerspiegelt. Jasmins Stil ist sehr lustig, aber gleichzeitig beschreibt sie den Schmerz der Hauptfigur sehr wahrhaftig und nachvollziehbar. Die Trauer um ihren verlorenen Bruder hat mir die Tränen in die Augen getrieben. Bernard und ich haben uns dann also für die Rechte beworben. Es gab ein Interview und wir haben uns schließlich gegen 4 oder 5 Konkurrenten durchgesetzt. Am Anfang haben Jasmin und ich noch zusammen an der ersten Treatmentfassung geschrieben. Dann musste sie aber aussteigen, weil sie parallel noch an vielen anderen Projekten gearbeitet hat.
Habt ihr euch auch während des Drehs ausgetauscht oder wollte sie gar nichts mehr damit zu tun haben?
Sie hat uns komplett vertraut, was total schön war. Sie hat jede Drehbuchfassung bekommen, hat sich aber nicht mehr eingemischt, weil sie uns, glaube ich, einfach machen lassen wollte. Das ist ein großer Vertrauensbeweis. Sie wollte uns eigentlich beim Dreh besuchen kommen, das hat dann aber leider nicht geklappt. Sie ist aber sehr glücklich mit dem Ergebnis und das ist alles, was zählt.
Warst du denn auch nervös, weil du ihr letztendlich ja auch wahrscheinlich gefallen wolltest?
Ja, ich war sehr nervös. Wir haben vorab extra ein Screening für sie organisiert. Das war schon die fertige Schnittfassung, aber ohne Musik, ohne Sounddesign und ohne Tonmischung. Ich hatte große Angst, dass er ihr nicht gefällt. Es wäre schon eine Art von Scheitern gewesen, wenn ich es nicht geschafft hätte, ihre Geschichte in ihrem Sinne umzusetzen. Ich habe dann aber während des Films schon gemerkt, dass sie sehr viel gelacht und geweint hat. Sie hat dann einen ganz tollen Post über den Film auf Instagram geschrieben. Das war nicht nur ein großes Kompliment, sondern auch eine große Erleichterung.
Bei dem Film geht es ja nicht nur darum, Jasmin zu gefallen. Du willst auch dem Publikum gefallen und den Fans des Buchs gefallen. Und von denen gibt es einige, das Buch war sehr erfolgreich. Wie erklärst du dir diesen Erfolg?
Da ist zum einen Jasmins Schreibstil, der relativ einfach, aber sehr poetisch ist, ohne dabei prätentiös zu wirken. Und sie findet wahnsinnig schöne Bilder und Metaphern für die inneren Welten ihre Protagonist:innen. Und dann ist da diese tolle Mischung aus Tragik und Komik. Jasmin hat sich sehr witzige Situationen zwischen den Figuren einfallen lassen, aber der Roman ist gleichzeitig sehr berührend und wagt sich tief in die menschlichen Gefühlswelten hinein. Ich kenne kaum jemanden, der nicht am Ende des Romans geweint hat. Das ist in Deutschland auch eher selten. Meine Erfahrung ist, dass man in Deutschland eher Angst vor zu starken Emotionen hat, das wird immer gleich in den Kitsch geschoben. Das habe ich bereits an der Filmhochschule zu spüren bekommen. Das wurde bei mir lustigerweise immer damit entschuldigt, dass ich Halbfranzösin bin.
Du hast gesagt, dass du mit deinen eigenen Ideen nicht weitergekommen bist. Ist es einfacher, seinen Debütfilm über ein bekanntes Werk zu machen? Du musst dir zwar keine Geschichte ausdenken und bekommst mehr Aufmerksamkeit. Gleichzeitig musst du aber auch viele Erwartungen erfüllen. Das ist schon mit einigem Druck verbunden.
Ich sehe es als großes Glück an, dass ich diesen Roman verfilmen durfte. Es hat mir den Schreibprozess auf der einen Seite natürlich erleichtert, weil ich schon fertige Figuren und eine Geschichte hatte, mit denen ich arbeiten konnte. Aber Film ist ein eigenes Medium, das eine eigene Sprache hat. Das ist wie beim Übersetzen von Sprachen: Man kann nicht Wort für Wort übersetzen, sondern muss die Essenz erkennen und sie in eigenen Worten wiedergeben, so dass sie den Kern trifft. Das war ein langer Prozess, am Ende waren es 3 Jahre Arbeit. Aber es hat sich gelohnt.
Du hast eben gemeint ist, dass es nicht immer einfach war, die Buchsprache in eine Filmsprache zu übersetzen. Gibt es etwas, was bei der Umsetzung nicht funktioniert hat? Etwas, das du weglassen oder ganz anders machen musstest?
Im Roman gibt es z.B. viele Flashbacks und ich dachte erst, das würde wird super im Film funktionieren. Aber hat es dann nicht, weil die Haupthandlung, der Roadtrip, dadurch ständig ausgebremst wurde. Da es mir aber wichtig war, dass man den kleinen Bruder kennenlernt, damit man Paulas Schmerz wirklich nachvollziehen kann, musste ich mir etwas anderes einfallen lassen. Irgendwann kam uns die Idee, den kleinen Bruder einfach in der Haupthandlung auftauchen zu lassen. Auf diese Weise konnten wir diese tiefe Geschwisterliebe greifbar und spürbar machen.
Der Tod spielt in deinem Film eine große Rolle, er fährt quasi immer mit. Beide Figuren sind vom Tod beeinflusst, haben Menschen verloren, die ihnen nahestehen. Das ist ein Thema, über das wir natürlich jetzt nicht so wahnsinnig gerne reden. Denkst du, dass Filme oder Bücher dabei helfen können, dass die Leute sich diesem Thema gegenüber öffnen?
Ich hoffe es sehr. Ich finde es so schön, mit wieviel Humor und Leichtigkeit Jasmin dieses Thema angegangen ist. Und ich hoffe, dass es Menschen helfen kann, über ihre Gefühle zu reden. Beide Figuren gehen auf sehr unterschiedliche Weise mit ihrer Trauer um. Ich wollte auch zeigen, dass das okay ist. Es gibt Leute, die sich verschließen und nicht darüber reden können, weil der Schmerz zu groß ist. Und es gibt Menschen, die ihren Gefühlen Raum geben müssen oder ganz viel darüber reden müssen, um die Person nicht zu vergessen. Beides ist okay. Ich finde es schön, wie die beiden Figuren es am Ende schaffen, die andere Person zu akzeptieren, wie sie ist und ihr gleichzeitig etwas mitgeben zu können, das ihr helfen kann. Es wäre schön, wenn der ein oder andere Zuschauer dies auch erlebt: „Da ist jemand, der fühlt dasselbe wie ich! Der versteht mich!“ Das kann vielleicht helfen, sich nicht mehr so allein mit seinem Schmerz zu fühlen.
Du hast eben gemeint, dass es okay ist, auf verschiedene Weisen zu trauen. Aber Paula bringt ihre Weise ja nirgendwo hin. Sie ist komplett blockiert, als wir sie kennenlernen, und kommt einfach nicht weiter in ihrem Leben. Sie braucht da den Impuls von Helmut. Wie geht man damit um, wenn jemand im eigenen Umfeld ist, der so blockiert ist?
Ich würde es nicht wagen, da irgendwen zu beraten. Das ist nicht meine Rolle, dafür bin ich nicht ausgebildet. In meinem engeren Bekanntenkreis gab es in den letzten Jahren einige tragische Todesfälle und ich konnte beobachten, wie unterschiedlich Menschen damit umgehen. Jeder Mensch braucht in einer solchen Situation etwas anderes, um weiterzumachen und nicht am Schmerz zugrunde zu gehen. Was Paula hilft, ist dass sie sich auf eine Reise begibt und wieder etwas erlebt, Adrenalin spürt, in lustige Situationen gerät. Es ist eine Reise zurück ins Leben. Und sie lernt diesen Mann kennen, der eine ähnliche Erfahrung gemacht hat und ähnliche Gefühle hat wie sie, auch wenn er sie ganz anders zeigt. Von ihm lernt sie, dass dieser Schmerz zwar nicht einfach weggehen wird – die Zeit heilt eben nicht alle Wunden – aber dass das Leben trotzdem weitergehen und sich wieder mit schönen Erlebnissen füllen wird. Es gibt in dem Film dieses Bild mit dem Weinglas: Die Weinmenge im Glas, also der Schmerz, wird nicht kleiner, aber das Glas selbst wird immer größer.
Wir haben darüber gesprochen, was Paula gelernt hat. Was hast du für dich selbst aus der Arbeit an diesem Film und an diesem Stoff für dich mitgenommen?
Ich habe sehr viel gelernt, mehr als ich hier zusammenfassen könnte. Filmemachen ist immer ein Lernprozess, auf allen Ebenen. Es war ja mein erster Kinofilm. Ich musste also lernen, ein Set mit einem großen Team zu führen und meinem Gefühl zu vertrauen, für mich und meine Ideen und meine Überzeugungen einzustehen. Ich habe aber auch viel von den beiden Figuren gelernt, über das Leben und den Umgang mit Trauer. Und auch meine beiden Schauspieler haben mir viel beigebracht. Edgar Selge ist ein sehr feiner, sensibler und weiser Mensch mit einer großen Lebenserfahrung. Und wir haben uns oft und lange über seine Figur unterhalten. Luna Wedler geht sehr intuitiv an ihre Figuren heran. Trotz ihres jungen Alters ist sie sehr intelligent und nah an ihren Emotionen dran. Ich bewundere sie sehr dafür.
Vielen Dank für das Gespräch.
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