Als ihr Sohn stirbt, ist das für Emilie Raffray (Yolande Moreau) nicht nur ein sehr trauriges Ereignis. Es ist auch unpraktisch, da sie sich im Anschluss nicht mehr das Zimmer im Heim leisten kann, in dem sie zuletzt wohnte. Anstatt aber in Trübsinn zu verfallen, beschließt die Seniorin, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Das bedeutet für sie, dass sie sich an all den Menschen rächen will, die ihr in ihrem Leben Unrecht angetan haben. Und das sind einige. Während sie nach und nach ihre Liste abarbeitet und die Geister ihrer Vergangenheit austreibt, trifft sie Lynda (Laure Calamy), die sie als Putzfrau aus dem Heim kennt. Diese hat selbst so manches mit sich herumzutragen und entscheidet daher spontan, sich dem Rachefeldzug anzuschließen …
Die Rache der Alten
Zwar mag Gustave Kervern in erster Linie als Schauspieler bekannt sein, in mehr als 70 Filmen und Serien wirkte er mit. Zwischendurch wechselt er aber auch immer mal wieder hinter die Kamera und erzählt – oft in Zusammenarbeit mit Benoît Delépine – seine eigenen Geschichten. Diese sind auch durchaus sehenswert. In Saint Amour – Drei gute Jahrgänge (2016) ging es um ein distanziertes Vater-Sohn-Gespann, das mit einem Taxfahrer ein Odyssee startet. Bei I Feel Good (2018) folgen wir einem größenwahnsinnigen Unternehmer, der wenig Erfolg, dafür umso mehr Selbstbewusstsein hat. Sein Fernsehfilm Ich lasse mir nichts mehr gefallen entstand zwar ohne die Zusammenarbeit mit seinem üblichen Partner. Unterhaltsam ist er dennoch und zeigt dabei viele Gemeinsamkeiten mit den anderen.
Da wäre beispielsweise der Hang zu einem etwas derberen, groben Humor. Das lässt sich gerade bei der ersten Begegnung sehen, wenn Emilie mit rabiaten Mitteln Gutmachung einfordert für etwas, das ihr während der Schulzeit angetan wurde. Auch sonst ist die Rache nicht unbedingt feinsinnig oder einfallsreich. Dem Unterhaltungswert tut dies aber keinen Abbruch. Die Idee, dass eine unscheinbare Rentnerin einen Rachefeldzug startet, ist für dich genommen schon lustig, das hat vor Kurzem auch Thelma – Rache war nie süßer bewiesen. Während bei der US-Variante ein Teil des Witzes aber darin bestand, dass die schwer betagten Hauptfiguren sich kaum noch vom Fleck bewegen können, da ist das bei Ich lasse mir nichts mehr gefallen ganz anders. Gebrechlich ist die Protagonistin kaum, auf den Mund gefallen ebenso wenig.
Der Ernst hinter der Komik
Was beide Filme gemeinsam haben, ist, dass sie sich nicht allein auf dem Szenario ausruhen, sondern dieses mit ernsten Themen verbinden. Thelma ist dabei der versöhnlichere Film, aus gutem Grund, entstand er doch als Hommage an die Großmutter des Regisseurs. Ich lasse mir nichts mehr gefallen ist im Vergleich bitterer, vor allem im weiteren Verlauf, wenn nach und nach die Vergehen enthüllt werden. Da geht es dann um gesellschaftliche Missstände, um Geschlechterbilder. Auch die Passage rund um eine ehemalige Vermieterin, die sich als typischer Miethai herausstellt, ist dazu geeignet, grundsätzliche Fragen zu stellen. Wobei das alles nur gestreift wird, das hätte sich alles mit mehr Zeit vertiefen lassen.
So bleibt ein eher episodenhafter Film, der insbesondere von der Besetzung getragen wird. Yolande Moreau (Camille – Verliebt nochmal!) und Laure Calamy (It’s Raining Men), das funktioniert als Konstellation schon gut, sowohl in den humoristischen wie auch den härteren Passagen. Ihre Figuren sind interessant genug, dass man ihnen Gesellschaft leisten möchte, ohne ihnen dabei die Ecken und Kanten abzuschleifen. Ich lasse mir nichts mehr gefallen bleibt in mehrfacher Hinsicht zwar etwas unter den Möglichkeiten, ist aber auch in der vorliegenden Form einer der besseren Rachefilme der letzten Zeit. Er ist dabei von einer großen Menschlichkeit geprägt, man fühlt mit den Frauen, wenn sie die kleinen und großen Missetaten der anderen enthüllen und endlich Gerechtigkeit einfordern.
OT: „Je ne me laisserai plus faire“
Land: Frankreich
Jahr: 2024
Regie: Gustave Kervern
Drehbuch: Gustave Kervern
Kamera: Hugues Poulain
Besetzung: Yolande Moreau, Laure Calamy, Anna Mouglalis, Raphaël Quenard, Jonathan Cohen, Marie Gillain
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)