Martin liest den Koran
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Martin liest den Koran

„Martin liest den Koran“ // Deutschland-Start: 7. November 2024 (Kino)

Inhalt / Kritik

Auf den ersten Blick ist Martin (Zejhun Demirov) ein unscheinbarer Mensch. Er arbeitet in einem Handyshop, ist verheiratet, hat ein Kind. Und doch hat er ein dunkles Geheimnis: Er hat eine Bombe gebaut und plant diese irgendwo in der Stadt explodieren zu lassen, um möglichst viele Menschen mit in den Tod reißen zu können. Eigentlich ist bereits alles vorbereitet, er muss nur noch den Knopf drücken. Und doch kommen ihm im letzten Moment Zweifel, ob das alles richtig ist. Und so besucht er Professor Neuweiser (Ulrich Tukur), einen Professor für Islamwissenschaft, um mit ihm über den Koran zu sprechen. Denn obwohl Martin seit mittlerweile einem Jahr den Koran liest und davon überzeugt ist, dass darin der Aufruf steckt, die Ungläubigen zu töten, hat Neuweiser bei einem anderen Anschlag das Gegenteil behauptet und damit Martin sehr verunsichert …

Eine Frage der Auslegung?

Auch wenn man dies meinen sollte, sind Texte nur selten wirklich eindeutig. Wenn die Menschen etwas darin sehen, dann hängt das nur bedingt davon ab, was der Autor oder die Autorin geschrieben hat. Ebenso wichtig ist die Person, die den Text liest und sich zu eigen macht. In den meisten Fällen ist das nicht weiter tragisch. Man kann bei der Lektüre eines Stücks von Shakespeare etwa zu den unterschiedlichsten Schlüssen kommen, seit Jahrhunderten wird darüber diskutiert. Man kann es aber auch ebenso gut bleiben lassen, da es für die meisten völlig unerheblich ist. Es handelt sich um eine individuelle Erfahrung ohne größere Auswirkungen auf andere. Problematisch wird es jedoch, wenn diese Texte mit dem Anspruch verbunden sind, das Leben als solches regeln zu wollen. Das gilt besonders für die religiösen Schriften, die über eine lange Zeit entstanden sind, oft völlig willkürlich und damit besonders für Interpretationen offen.

Martin liest den Koran führt dies an einem Beispiel vor, das ebenso krass wie alltäglich ist. Immer wieder rechtfertigen Menschen ihre Brutalität damit, dass ihnen ihr Gott das so befohlen hat. Immer wieder finden sich Menschen desselben Glaubens, die das Gegenteil behaupten. Bei dem Film wird dieser Gegensatz anhand zweier Männer vorgeführt, die einen sehr unterschiedlichen Zugang zu dem Koran haben. Der eine hat ihn studiert, verfolgt eine wissenschaftliche Analyse. Der andere liest ihn privat, Religion für den Hausgebrauch quasi. Die Situation ist natürlich völlig konstruiert, das hier ist mehr als eine Art Gedankenspiel zu verstehen. Dieses ist aber durchaus interessant, da es nicht nur um die Frage geht, ob ein terroristischer Anschlag gerechtfertigt sein kann, sondern auch ganz universelle Themen. Wer bestimmt eigentlich, wer recht hat bei einer Interpretation?

Interessant, aber unnötig sprunghaft

Dass das recht abstrakte Fragen sind, ist sich Regisseur und Co-Autor Jurijs Saule, der 2022 für das damals noch unverfilmte Drehbuch den Deutschen Filmpreis erhielt, durchaus bewusst. Also versucht er, auf verschiedene Weise, das Streitgespräch aufzulockern. Zum einen wird die Geschichte der Titelfigur mit der Zeit komplexer. Martin ist eben nicht nur ein Terrorist, sondern hat ein eigenes Leben, welches ihn geprägt hat. Zum anderen fällt Martin liest den Koran durch diverse inszenatorische Tricks auf. Nervig ist dabei die wild umherirrende Kamera. Das soll wohl Spannung erzeugen, wirkt aber eher so, als wäre da eine dritte Person bei der Diskussion anwesend, die sich tierisch langweilt und deshalb ständig den Blick schweifen lässt.

Etwas zwiespältig ist zudem, wie ständig die Ebenen gewechselt wird. Das betrifft einerseits die zeitliche, wenn immer mal wieder in die Vergangenheit und zurück gesprungen wird. Es betrifft auch die Szenen, die offensichtlich nur irgendwelche Fantasien und Vorstellungen sind. Bei diesen kann es dann zwar ordentlich zur Sache gehen, es ist aber reine Effekthascherei. Das ist ein bisschen schade, weil das Thrillerdrama, welches auf den Hofer Filmtagen 2024 Premiere feierte, durchaus sehenswert ist. Martin liest den Koran ist nicht nur selbst sehr diskussionsfreudig, sondern will bewusst auch Diskussionen provozieren, wenngleich bei diesen immer die Gefahr ist, dass diese in eine einseitige Richtung laufen. Aber das lässt sich kaum vermeiden: So sehr ein Text Anlass für Interpretationen liefert, so sehr gilt das auch für einen Film – vor allem, wenn er sich eines schwierigen Themas annimmt.

Credits

OT: „Martin liest den Koran“
Land: Deutschland
Jahr: 2024
Regie: Jurijs Saule
Drehbuch: Michail Lurje, Jurijs Saule
Musik: Raphael Schalz
Kamera: Arsenij Gusev
Besetzung: Ulrich Tukur, Zejhun Demirov, Sarah Sandeh

Bilder

Trailer

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Martin liest den Koran
fazit
„Martin liest den Koran“ lässt einen Attentäter und einen Islamwissenschaftler über die Bedeutung des Korans diskutieren. Das Szenario ist konstruiert, aber nicht uninteressant, wenn die Hauptfrage mit vielen universellen Überlegungen einhergeht. Weniger spannend sind die diversen Versuche, durch Kameraspielereien oder Ebenenwechsel für Auflockerung zu sorgen.
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