Als Shambhala im Februar 2024 Weltpremiere hatte, war dies mit einem Novum verbunden: Es war der erste nepalesische Film, der im Wettbewerb der Berlinale lief. Das Drama erzählt die Geschichte von Pema (Thinley Lhamo), die in einem abgelegenen Dorf der Tradition folgend drei Brüder heiratet. Doch als einer von ihnen bei seiner Handelsreise verschwindet und das Gerücht aufkommt, seine Frau sei von jemand anderem schwanger, macht sich Pema auf die Suche nach dem Vermissten und wird dabei von dem Mönch Karma (Sonam Topden) begleitet, einem der drei Brüder. Die Reise führt sie durch die Berge und karge Landschaften, was für sie auch zu einer inneren Reise wird. Wir haben uns anlässlich des Kinostarts am 21. November 2024 mit Regisseur Min Bahadur Bham über die Arbeit an dem Film, die Bedeutung von Spiritualität und nepalesische Filme unterhalten.
Könntest du uns etwas über die Entstehungsgeschichte deines Films erzählen? Wie bist du auf die Idee gekommen?
Ich hatte diese Idee schon vor sehr langer Zeit. Mit zwölf habe ich angefangen, mit meinem Vater zu meditieren. Damals hatte ich jede Nacht einen wiederkehrenden Traum, in dem ich mein früheres Leben als Mönch gesehen habe. Ich sah ein Kloster, die Landschaften, alles. Zuerst war das etwas furchteinflößend, viele Jahre hat mich das verfolgt. In der Highschool habe ich dann eine Kurzgeschichte geschrieben. Für mich war dieser Ort meine Heimat, auch wenn es ein anderes Dorf war, und ich war entschlossen, diesen Ort zu suchen, um zu sehen, ob es ihn gibt oder alles nur meine Vorstellungskraft war. Als ich letztendlich hingegangen bin, war ich überrascht, dass alles genau so war, wie ich es gesehen hatte. Ab dem Moment war klar, dass dies mein nächster Film sein würde und ich habe angefangen, das Drehbuch zu schreiben.
Und wie schwierig war es, aus dieser Idee dann eine Geschichte zu machen?
Sehr schwierig. Es hat lange gedauert, bis ich mit dem Ergebnis zufrieden war, fast acht Jahre habe ich an dem Drehbuch gearbeitet. Am Ende waren es 50 Fassungen. Beispielsweise war die Hauptfigur am Anfang ein Mann, erst später habe ich entschieden, aus ihm eine Frau zu machen.
Wie kam es zu dieser Änderung?
Ich war der Ansicht, dass ich meine weibliche Seite entdecken müsste. Obwohl ich ein Mann bin und heterosexuell wurde mir klar, dass ich diese Seite habe. Jeder Mensch hat sie. Aus meiner Hauptfigur eine Frau zu machen, hat mir geholfen, mir dessen bewusst zu werden und mich selbst besser zu verstehen.
Dein Film handelt auch viel von der Kultur der Menschen, die dort leben. Eine Kultur, die stark von Traditionen geprägt ist. Wie gut kanntest du diese?
Ich komme zwar nicht direkt aus diesem Dorf, aber aus der Gegend. Deshalb hatte ich Freunde, die diesen Traditionen gefolgt sind, gerade der Tradition der Vielehe. Dennoch war das nicht einfach. Das Dorf, in dem wir gedreht haben, ist sehr weit entfernt. Jedes Mal, wenn ich dorthin gereist bin, für meine Recherchen, das Casting oder die Vorbereitung, musste ich mit ein bis zwei Monaten rechnen. Ich habe aber auch an der Universität Philosophie studiert und mit Freunden die tibetanische Sprache gelernt, weil die Sprache dort sich sehr von meiner unterscheidet. Ich war zwar kein kompletter Außenstehender, als ich mich mit all dem beschäftigt habe. Aber es war so unterschiedlich, dass ich viel lernen wollte, um die Menschen besser zu verstehen. Mir geht es in meinen Filmen nicht nur darum, das zu erzählen, was ich kenne. Ich will dabei auch selbst Neues lernen und erfahren.
In dieser Kultur, die du beschreibst, spielt Spiritualität eine große Rolle. In vielen Ländern nimmt diese ab, Religion wird immer unwichtiger. Warum ist es deiner Meinung nach wichtig, heute noch an etwas zu glauben?
Es stimmt, dass die Menschen heute weniger glauben. Aber ich glaube, dass tief in jedem Menschen das Bedürfnis steckt, einen Glauben zu haben. Wir sind so mechanisch geworden in den modernen Zeiten und müssen immer funktionieren, gerade in Zeiten, die so schwierig geworden sind. Wie Roboter. Das führt aber zu psychologischen Problemen, weil wir uns von dem Universum so stark entfremdet haben. Deswegen denke ich, dass es wichtig ist, zurückzukehren zu unseren Wurzeln, wieder näher bei uns selbst zu sein und ein authentisches Leben zu führen. Viele haben dafür überhaupt nicht mehr die Zeit. Wer hat in der modernen Gesellschaft noch die Zeit zu meditieren und in sich selbst hineinzuschauen? Dabei wäre das so wichtig.
Dann kommen wir auf den Dreh zu schreiben. Wie schwierig war es, dort einen Film zu drehen?
Es war wie gesagt alles nicht ganz einfach. Das Dorf, in dem die Geschichte spielt, ist der höchste besiedelte Punkt der Erde. Das sind 4200 Meter über dem Meeresspiegel. Bei den Dreharbeiten ging es aber noch höher. Teilweise waren wir in über 6000 Meter Höhe unterwegs. Das war schon sehr anstrengend, weil du auf dieser Höhe kaum noch atmen kannst und es gab ständig Wind. Das Wetter veränderte sich andauernd. Die größte Herausforderung aber war die Höhenkrankheit. Wir hatten Leute in der Crew, die eigentlich auf Meereshöhe leben und große Schwierigkeiten hatten, sich an die Bedingungen anzupassen. Aber auch beim Ensemble kam es vor, dass sie die Höhenkrankheit bekamen. Wir mussten manchmal mit dem Hubschrauber Crewmitglieder wegbringen. Zum Glück hatten wir aber eine sehr gute ärztliche Betreuung sowohl durch Leute, die im nächsten Krankenhaus arbeiteten und immer wieder vorbeikamen, aber auch durch Einheimische, die sich in der traditionellen Medizin auskennen. Ein weiteres Problem war, dass in der Gegend nicht so viele Menschen leben, wie wir für den Film gebraucht hätten. Wenn wir größere Szenen drehen wollten, kam es vor, dass wir Schafe, Pferde oder auch Menschen aus anderen Dörfern besorgen mussten, weil es vor Ort einfach nicht genug gab. Und diese Dörfer sind zum Teil sehr weit entfernt. Bei manchen musstest du sechs oder sieben Stunden laufen – und das war nur der Hinweg.
Das hört sich sehr anstrengend an.
Das war es, ja. Gleichzeitig war es eine tolle Erfahrung. Ich hatte ein wunderbares Team, bei dem jeder aufeinander achtgab. Du merkst in den Bergen einfach, wie unwichtig und verloren du als einzelner Mensch bist. Da brauchst du die Hilfe der anderen, wenn du überleben willst. Wir haben deshalb auch immer alle in einem einzigen Zelt geschlafen, um uns gegenseitig zu wärmen. In der Stadt würdest du eine solche Erfahrung nie machen.
Mit den Bedingungen habt ich euch also arrangiert. Gibt es dennoch etwas, das du gern bei deinem Film getan hättest, was aber nicht ging?
Tatsächlich ja. Die letzte Szene mit Pema und den anderen hätte eigentlich an einem ganz anderen Ort gedreht werden sollen. Dort lag aber so viel Schnee, dass das einfach nicht ging. Wir hätten neun Tage laufen müssen, um dort anzukommen. Das war einfach nicht drin. Also musste ich improvisieren und habe einen Ersatz gesucht und zum Glück auch gefunden. Außerdem hatte ich wie gesagt das Problem, dass es einfach nicht genug Menschen in der Region gab. Ich hätte gern mehr Komparsen gehabt und die Szenen größer gemacht. In meinem Drehbuch waren es noch mehrere hundert Leute. Davon musste ich mich dann aber verabschieden, das ging einfach nicht.
Dann kommen wir zur Besetzung. Wie schwierig war es, die passenden Schauspieler und Schauspielerinnen zu finden?
Ziemlich schwierig. Es hätte zwar schon Profis gegeben, mit denen ich hätte arbeiten können. Die konnten aber den lokalen Dialekt nicht, und mir war es sehr wichtig, dass das alles authentisch ist. Der Casting-Prozess hat sehr lange gedauert, mehrere Jahre. Dabei habe ich wirklich an den unterschiedlichsten Orten geschaut: in Kathmandu, im Dorf, in Taiwan, sogar in Paris, wo es eine größere Gemeinschaft von Exil-Tibetanern gibt. Vor allem bei der Hauptdarstellerin war das schwierig. Als ich Thinley Lhamo kennengelernt habe, war sie sehr schüchtern und wollte eigentlich Opernsängerin werden. Sie hat vor dem Film dann noch Schauspielunterricht genommen und hat gelernt, auf einem Pferd zu reiten. Auch sie hat daher mehrere Jahre damit verbracht zu lernen. Ich hatte ziemliches Glück, dass sie sich darauf eingelassen hat. Bei Sonam Topden, der den Mönch spielt, dauerte es auch einige Jahre, bis er so weit war. Als ich ihn das erste Mal getroffen habe, war er Bodybuilder und hatte deshalb einen völlig falschen Körper für die Rolle. Er musste also weniger fit werden. Und das dauert. Bei der Dorfbevölkerung war es hingegen ziemlich einfach. Den Schauspieler, der den jüngsten Ehemann spielt, haben wir beispielsweise im Dorf gefunden. Die meisten in unserem Film waren Laien.
Zwischen deinen beiden Langfilmen lagen neun Jahre. In dieser Zeit hat sich die Filmlandschaft bei uns und auch den anderen westlichen Ländern stark verändert. Wie sieht es in Nepal aus?
Da gab es ebenfalls viele Veränderungen. Wobei ich sie als positiv empfinde. Früher waren unsere Filme vor allem Kopien von Bollywood. Da wurde getanzt und gekämpft. Die junge Generation hat aber einen Zugang zu Filmen aus aller Welt, durch die Filmhochschule in Kathmandu, durch Netflix, durch das Internet. Die Einflüsse machen sich bemerkbar, die Jungen haben eine ganz andere Perspektive. Und sie haben auch mehr zu erzählen, weshalb es in den letzten Jahren einen großen Aufschwung gegeben hat und sie weltweit mehr Aufmerksamkeit bekommen. Und ich hoffe, dass das weiter anhält.
Und wie geht es bei dir weiter? Was sind deine nächsten Projekte?
Auf jeden Fall soll es beim nächsten Mal nicht mehr so lange dauern. Ich arbeite derzeit an zwei verschiedenen Stoffen. Mein Plan ist es, bis zum nächsten Frühjahr entschieden zu haben, welchen der beiden ich angehen werde, und dann 2026 mit dem Dreh zu beginnen. Und in der Zwischenzeit werde ich auch Filme anderer produzieren, weil ich es wichtig finde, andere zu unterstützen.
Vielen Dank für das Gespräch!
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