Motel Destino
© Santoro
Motel Destino
„Motel Destino“ // Deutschland-Start: 14. November 2024 (Kino)

Inhalt / Kritik

Dass Motels keine sicheren filmischen Orte sind, weiß man spätestens seit Hitchcocks Psycho (1960). Aber dem jungen Heraldo (Iago Xavier) bleibt kaum eine andere Wahl, als in dem Stundenhotel mit dem sprechenden Namen (Destino = Schicksal) unterzutauchen, das von dem herrischen Elias (Fábio Assunção) und seiner unterdrückten Frau Dayana (Nataly Rocha) geleitet wird. Um sich vor der Polizei sowie seiner Ex-Bande zu verstecken, bietet Heraldo dem Paar seine Dienste als Elektriker und Mechaniker an. Aber schon bald findet er sich in einer nicht untypischen Konstellation des Film noir wieder. Die ebenso rätselhafte wie verführerische Dayana sieht im dem Ankömmling eine Chance, den stets gewaltbereiten Ehemann loszuwerden. Ein fiebertraumhafter Erotikthriller des algerisch-brasilianischen Regisseurs Karim Aïnouz.

Schuld und Trauer

Allerdings beginnt der Film nicht in dem merkwürdigen, von knalligen Primärfarben beleuchteten Sex-Motel, dieser Mischung aus heruntergekommenem Lusttempel, gefängnisartiger Festung und surreal übersteigertem Alptraum. Er beginnt an der fantastisch blau-weißen Küste Nordbrasiliens, an einem paradiesischen Strand nicht weit von Aïnouz‘ Geburtsstadt Fortaleza. Zwei Männer tollen herum wie junge Hunde, raufen ausgelassen, die muskulösen Körper in knappe Badehosen gepackt. Für einen Moment mag man an eine homoerotisch aufgeladene Szene denken. Dann erfahren wir, dass der blondierte Jorge (Renan Capivara) Heraldos Bruder sein muss. Denn er will Heraldo mit dem Hinweis, dass dieser bald Onkel wird, davon abhalten, die Gegend und das kriminelle Leben zu verlassen, um sich in São Paulo einen geregelten Job zu suchen. Nur einen gemeinsamen Coup muss Heraldo noch mit seinem Bruder durchziehen. Aber als er verspätet zum Tatort kommt, liegt Jorge bereits tot auf der Straße. Schuld und Trauer verfolgen den Überlebenden von nun an fast noch ärger als die Polizei und seine ehemaligen Kumpane.

Sex liegt in der Luft von der ersten Szene an. Allgegenwärtig ist er dann im Motel Destino, in dem ständig die Lustschreie aus den Zimmern dringen und das geheime Liebespaar sowie der gehörnte Ehemann meist leichtbekleidet herumlaufen – die sinnlich greifbare Schwüle tropft beinahe von der Leinwand. Etwas Animalisches durchdringt den mit Kameras überwachten Ort, nicht nur wegen der vielen Tiere, die hier leben oder von außen eindringen wie etwa eine Kobra oder ein toter Vogel. Sondern weil Karim Aïnouz in expliziten Erotikszenen Körper sprechen lässt. Sie äußern sich direkter, aber auch vieldeutiger, als es der Dialog könnte. In der Choreografie der Leiber spiegeln sich Begehren, Sehnsüchte, aber auch unterdrückte Homosexualität sowie Dominanzansprüche, insbesondere bei Dayanas Unterdrücker Elias, einem ehemaligen Polizisten und Macho alter Schule. Trotzdem bleibt die Frage, ob die Sexszenen tatsächlich so drastisch ausfallen müssen, um eine Dreiecksbeziehung auf Leben und Tod zu charakterisieren. Oder ob der Film sich hier nicht an einer Überdosis Sex and Crime vergiftet.

Realistische Bestandsaufnahme

Denn im kunstvoll fotografierten Gewand (Kamera: Hélène Louvart) eines tropischen Neo noir versteckt sich eine durchaus realistische Bestandsaufname der sozialen Realität. Sie bricht vor allem dann in die halluzinogenen Bilder ein, wenn – in wenigen Momenten – die Wut aus den Figuren herausschreit: über die Perspektivlosigkeit der Jugend, die allgegenwärtige Gewalt, das Elend der Unterklasse, den Niedergang des Landes, die Schamlosigkeit der Eliten. Zusammen mit Wislan Esmeraldo und Mauricio Zacharias hatte Karim Aïnouz das Drehbuch noch während der Präsidentschaft des Rechtspopulisten Jair Bolsonaro begonnen. Wie der Regisseur in einem Interview erklärt, wollte er die filmische Rückkehr in sein Heimatland (wie schon in Die Sehnsucht der Schwestern Gusmão, 2019) aber nicht in den typischen Look eines klassischen Sozialdramas kleiden, sondern in eine Amour fou.

Das hat etwas für sich. Ließ sich doch die ähnlich gelagerte Geschichte von Wenn der Postmann zweimal klingelt auch schon auf doppelte Weise erzählen: einmal in Ossessione (1943) von Luchino Visconti im neorealistischen Stil und dann 1981 im Neo noir von Bob Rafelson. Karim Aïnouz packt nun quasi zwei Genres in eines. Es bleibt allerdings die Frage, wie die Explizitheit der Sexszenen bei einem Arthouse-Publikum ankommen wird, auf das der Film in seiner ästhetisch reizvollen Machart zielt.

Credits

OT: „Motel Destino“
Land: Brasilien, Frankreich, Deutschland
Jahr: 2024
Regie: Karim Aïnouz
Drehbuch: Wislan Esmeraldo, Mauricio Zacharias, Karim Aïnouz
Musik: Amine Bouhafa
Kamera: Hélène Louvart
Darsteller: Fábio Assunção, Nataly Rocha, Iago Xavier, Renan Capivara

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Motel Destino
fazit
„Motel Destino“ erzählt die klassische Geschichte vom Gangster auf der Flucht, der bei einem dysfunktionalen Ehepaar unterschlüpft und sich auf eine Affäre mit der unglücklichen Frau einlässt. Regisseur Karim Aïnouz kleidet die tragische Dreiecksbeziehung in einen farbenfrohen Fiebertraum, übertreibt aber die Allgegenwart von Sex.
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