Ohjus Neuigkeiten aus Lappland
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Neuigkeiten aus Lappland

Ohjus Neuigkeiten aus Lappland
„Neuigkeiten aus Lappland“ // Deutschland-Start: 14. November 2024 (Kino)

Inhalt / Kritik

Im Leben der alleinerziehenden Niina (Oona Airola) läuft wenig rund. Die Wohnung ist winzig, die Stiefmutter Hanski (Milka Ahlroth) eine Hexe. Und jetzt hat die junge Mutter auch noch aus Versehen das Panoramafenster der örtlichen Zeitung zerstört. Um den Schaden zu ersetzen, bleibt nur eins: dort arbeiten, sei es im Archiv oder als rasende Reporterin. Chefredakteur Esko (Hannu-Pekka Björkman) muss der Amateurin zwar sämtliche Adjektive aus ihren blumigen Texten streichen, doch ansonsten macht sich die Anfängerin gar nicht so schlecht. Nachrichtentechnisch schlimmer schlägt die „tote Hose“ zu Buche, die in dem verschlafenen Örtchen herrscht, tief im verschneiten Norden Lapplands. Aber was ist mit dem Knall, den Niina in einer kalten Nacht kurz vor Silvester gehört hat? Und warum will Kampfpilot Kai (Pyry Kähkönen) nicht über das unbekannte Flugobjekt sprechen, das er abfangen sollte? Niina steckt plötzlich mitten in der Story ihres Lebens in einer charmant-absurder Tragikomödie über die Kunst, nein zu sagen.

Vorne kurz, hinten lang

Auftritt Chefredakteur Esko: buschiger Schnauzer, markante Brille und eine Frisur wie ein Pudel, an dem man den „Vokuhila“-Schnitt ausprobiert hat: vorne kurz und hinten lang. Der skurrile Prototyp eines resignierten Lokaljournalisten ist nicht das einzige Original des trinkfesten und feierfreudigen Örtchens. Beinahe jede neue Einstellung führt eine andere durchgeknallte Type in die Handlung ein. Aki Kaurismäki lässt grüßen, Landsmann und offensichtlich Vorbild der finnischen Regisseurin Miia Tervo, geboren 1980 in der lappländischen Hauptstadt Rovaniemi nahe des Polarkreises. Wie er liebt sie kernige Charaktere, die bei ihr allerdings weniger schweigsam daherkommen. Und anders als Kaurismäki verlegt sie entscheidende Handlungselemente nicht ins Off, sondern gönnt ihrer Heldin Niina eine Art Entwicklungsroman mit sämtlichen Kapiteln der Selbstverwirklichung, Rückschläge inklusive.

Um Schläge geht es wortwörtlich, denn spätestens jetzt sollte man verraten, dass Niina von einem prügelnden Ehemann tyrannisiert wird. Zwar sitzt Taipio (Tommi Eronen) zu Beginn der Handlung noch im Gefängnis. Doch schon bald wird er vorzeitig entlassen werden und eines Morgens übergriffig bereits am Frühstückstisch sitzen, als die junge Mutter aufgeregt von ihrer Tochter geweckt wird. Es geht also um Grenzverletzungen in dieser durchweg schrägen Komödie, die das Ernste in eine Art typisch finnischen Humor verpackt. Und zwar nicht nur auf der persönlichen, sondern auch auf staatlicher Ebene. Die Regierung in Helsinki versucht im Jahr 1984, den Skandal eines fehlgeleiteten sowjetischen Marschflugkörpers herunterzuspielen, um den übermächtigen Nachbarn nicht gegen sich aufzubringen. Schließlich befindet man sich auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Was übrigens auf wahren Begebenheiten beruht: Heerscharen von ausländischen Journalisten machten sich damals auf den Weg zum Inari-See, aus dem schließlich die fehlgeleitete Rakete der Sowjets geborgen wurde, die zuvor auch den norwegischen Luftraum verletzt hatte.

Die Engführung des persönlichen mit dem politischen Handlungsstrang erweist sich als kluge Idee. Indem die plötzliche Investigativreporterin Niina gegen das Duckmäusertum ihres Landes ankämpft und sich in sämtliche Details der atomaren Bedrohung einliest, entdeckt sie eine innere Stärke, die sich bald auch im Privaten zeigen wird. Selbst wenn sie vorerst noch das Nein-Sagen im Spiegel üben muss und weiterhin das Gefühl hat, sie werde sterben, sobald sie ihre harmoniesüchtige Komfortzone verlasse.

Erschreckende Aktualität

Dem Branchenblatt „Variety“ sagte Regisseurin Miia Tervo (Aurora, 2019), sie habe die ersten Entwürfe des Drehbuchs bereits geschrieben gehabt, als Russland 2022 die Ukraine überfiel. Das sei der Grund gewesen, den Film fertigzustellen, den sie ansonsten nicht gedreht hätte, weil sich eine Komödie nicht mit dem Ernst der Lage vertrage. Ein solcher Verzicht wäre jedoch sehr schade gewesen, denn gerade vor dem aktuellen politischen Hintergrund wirkt Neuigkeiten aus Lappland höchst aktuell und überhaupt nicht verstaubt. Wenn zum Beispiel Niina eine Physikerin interviewt, die zuvor erklärt hatte, Europa werde im Ernstfall eines Atomkrieges innerhalb von drei Stunden ausgelöscht sein, führt das den Ernst der Lage in aller Drastik vor Augen.

Credits

OT: „Ohjus“
Land: Finnland, Estland
Jahr: 2024
Regie: Miia Tervo
Drehbuch: Miia Tervo
Musik: Lau Nau
Kamera: Meelis Veeremets
Besetzung: Oona Airola, Hannu-Pekka Björkman, Tommi Korpela, Pyry Kähkönen, Tommi Eronen

Bilder

Trailer

Interview

Ihr wollt mehr über den Film erfahren? Wir hatten die Gelegenheit, uns mit Regisseurin Miia Tervo zu unterhalten. Im Interview zu Neuigkeiten aus Lappland sprechen wir über Gewalt und Grenzüberschreitungen.

Miia Tervo [Interview]

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Neuigkeiten aus Lappland
fazit
„Neuigkeiten aus Lappland“ verknüpft im Rahmen einer Komödie zwei ernste Konfliktlinien: die Emanzipation einer jungen Mutter von ihrem prügelnden Ehemann und den Einsatz einer Journalistin gegen ihre Regierung, die die Grenzverletzung des mächtigen russischen Nachbarn achselzuckend hinnimmt. Regisseurin Miia Tervo huldigt in ihren zweiten Spielfilm dem schwarzen Humor, dem Pop der 1980er Jahre und dem liebenswerten Eigensinn ihrer Landsleute.
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