Einen Film über das eigene Leben zu drehen, ist oft so eine Sache. Auf der einen Seite können natürlich intime Einblicke gewährt werden, die ganz spannend ausfallen können. Gleichzeitig besteht da immer die Gefahr, dass es voyeuristisch wird. Oder eben gestellt: In Zeiten dauerhafter Internet-Präsenz wird fast schon erwartet, dass man sich ständig von seiner besten Seite zeigt. Bei dem Dokumentarfilm Play Dead! kann man diesen Vorwurf kaum machen. Zwar ist Regisseur Matthew Lancit, der uns seinen Alltag mit der Familie in Paris näherbringt, durchaus sympathisch, gerade auch in den banalen Szenen. Er lässt uns aber zusätzlich an Ängsten teilhaben, die weniger massenkompatibel sind.
Über das Leben mit Diabetes
Im Mittelpunkt dieser Ängste steht dabei Matthews Diabetes-Erkrankung. Grundsätzlich hat er sich mit dieser arrangiert, sie ist fester Teil seines Alltags. Wenn er davon spricht, was er essen darf und was nicht, wir ihn mit Spritzen hantieren sehen, dann spricht er Millionen anderer Menschen von der Seele. Doch in seinem Hinterkopf ist da immer sein Onkel Harvey. Auch der hatte Diabetes, was sein Leben mit der Zeit immer weiter beeinträchtigte. Die großen Ringe unter den Augen, vor allem aber die amputierten Beine haben seinen Neffen maßgeblich geprägt, vermutlich auch verstört. Und eben diese Verstörung zeigt sich immer wieder in Play Dead!, wenn sich diese Bilder auf die eine oder andere Weise manifestieren.
Genauer fährt Lancit zweigleisig. Da gibt es die „normalen“ Szenen, die ihn, seine Frau und die Tochter zeigen. Wir bekommen dabei ein Gespür für das Verhältnis der drei und wie deren Familienleben so aussieht. Das kann dann auch ganz süß sein, wenn der Filmemacher mit der Kleinen spielt oder mit ihr diskutiert. Bei der Frau erfahren wir wiederum, was es für sie bedeutet, mit einem Mann zusammen zu sein, dem sie Gesundheit wünschen würde, dessen Krankheit aber ein so integraler Bestandteil ist, dass sie ihn ohne das alles gar nicht kennt. An diesen Stellen wird es nachdenklicher, sind die Sorgen in Play Dead! zu spüren, wenn offen über schwierige Themen gesprochen wird, ohne dabei auf die Tränendrüse zu drücken. Letzteres ist dem Protagonisten fremd. Er will nicht manipulieren, will auch kein Mitleid.
Komisch, berührend, erschreckend
Vielen werden aber vor allem die Szenen in Erinnerung bleiben, bei denen er sich einer bizarren Art von Body Horror hingibt. So versucht er etwa, die schrecklichen Erinnerungen, die er an seinen Onkel hat, umzusetzen und verwandelt sich selbst in diesen Alptraum. Das könnte so manchen im Publikum zu viel werden. Zwar weiß man natürlich, dass es sich bei Play Dead! nur um einen Film handelt. Dennoch ist die Abkehr von dem rein Alltäglichen hin zu den Schreckensvisionen nicht einfach zu verkraften. Während Genrefans sich daran erfreuen können, zumal das alles auch handgemacht ist, könnte der Anblick andere vor den Kopf stoßen. Der Schockfaktor ist da schon größer, auch weil diese Ausflüge irgendwie unerwartet kommen.
Und doch fügt sich das alles stimmig zusammen. Auch wenn der Kontrast groß ist zwischen den unbekümmerten Momenten und den scheußlichen, gehören sie doch fest zusammen bei einem Mann, der alles in sich vereint und einen Weg suchen muss, mit diesen Ängsten zu leben. Der auf mehreren Festivals gezeigte Dokumentarfilm ist auf diese Weise unterhaltsam und bewegend, furchtbar und komisch zugleich. Play Dead! erzählt einem zwar vielleicht nichts über die Krankheit, was man nicht eh schon weiß, selbst als Unbeteiligter. Aber es ist doch sehenswert und stellt uns einen Menschen vor, der aus einer Volkskrankheit und universellen Themen wie Angst und Tod etwas so Individuelles gemacht hat, dass man ihm nur zu gern bei dieser etwas anderen Nabelschau Gesellschaft leistet.
OT: „Fais le mort!“
Land: Frankreich, Portugal
Jahr: 2023
Regie: Matthew Lancit
Drehbuch: Matthew Lancit
Musik: Etienne Nicolas
Kamera: Matthew Lancit
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