Auch wenn die Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs eigentlich gar nicht so lang ging, wurden inzwischen so viele Filme zu diesen Themen gedreht, dass ein Leben kaum mehr ausreichen wird, um sich alle anzusehen. Zumal es auch immer mehr werden. Der Animationsfilm Das kostbarste aller Güter etwa erzählt von einem Paar, das ein jüdisches Kleinkind findet und bei sich aufnimmt. In Treasure – Familie ist ein fremdes Land begibt sich eine Frau gemeinsam mit ihrem Vater, der den Holocaust überlebt hat und verdrängen wollte, auf eine Spurensuche und versucht, die Vergangenheit aufzuarbeiten. Mit Schwarzer Zucker, Rotes Blut kommt nun ein Dokumentarfilm heraus, der sich ebenfalls in diesem Themengebiet bewegt und dabei gewissermaßen eine Mischung aus den beiden oberen Filmen darstellt.
Knifflige Spurensuche
Genauer steht in Schwarzer Zucker, Rotes Blut eine Frau im Mittelpunkt, die ebenfalls als Mädchen den Holocaust überlebt hat. Tatsächlich war sie sogar im Konzentrationslager Auschwitz, konnte aber gerettet werden. Später wurde sie von einer Familie adoptiert, die versuchte, ihr ein neues Leben zu ermöglichen und die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Symbolisch dafür steht die Häftlingsnummer, die entfernt wurde. Auf diese Weise konnte Anna Strishkowa ein normales Leben führen. Doch als sie später erfuhr, dass die Menschen, die sie für ihre Eltern hielt, nicht die leiblichen waren, wollte sie verständlicherweise wissen, wer sie ist, woher sie kommt und was ihre Geschichte ist. Sie kam aber nicht sonderlich weit, auch weil viele Unterlagen vernichtet wurden.
Als Luigi Toscano von diesem Schicksal erfuhr, wollte er sich damit aber nicht zufriedengeben und entschied sich, der inzwischen über 80 Jahre alten Frau zu helfen. Schwarzer Zucker, Rotes Blut handelt dann auch von dieser Spurensuche und den Bemühungen, die Vergangenheit zu rekonstruieren. Das ist mit den Jahren nicht unbedingt einfacher geworden. Zwar gibt es heute natürlich andere Möglichkeiten, weshalb sie tatsächlich weiterkommen und Antworten finden. Nur liegt das alles inzwischen so lange zurück, dass es zwangsläufig niemanden mehr von damals gibt, der Antworten geben könnte. Selbst als sie Spuren finden, etwa zu Verwandten, führen die ins Nichts, da die Leute längst verstorben sind.
Fragen der Identität
Dennoch ist das alles recht spannend, wenn nach und Mensch ein Leben rekonstruiert wird, das nicht hat sein dürfen. Zwangsläufig sind damit Fragen zur Identität verbunden, wenn es darum geht, wer Anna denn nun ist. Wer wäre sie geworden, wenn sie nicht als Kind aus allem herausgerissen worden wäre? Was ist in ihr, das unabhängig von all dem existiert und weiterlebt? Natürlich kann Schwarzer Zucker, Rotes Blut diese Fragen nicht beantworten. Es ist auch nicht so, als würden diese größer im Mittelpunkt stehen. Aber die detektivisch anmutenden Passagen, die von der Spurensuche handeln, werden doch immer wieder von nachdenklichen, introspektiven Momenten unterbrochen, bei denen es nicht allein um die Fakten geht, sondern die Frage der Bedeutung.
Der Film selbst ist zuweilen jedoch etwas hektisch, wenn Toscano inszenatorisch ein bisschen viel macht und sich dabei auch immer wieder selbst in den Vordergrund stellt. Anstatt die Bühne allein seiner Protagonistin zu überlassen, mischt er sich ein, macht sich bemerkbar, kommentiert munter vor sich hin. Das hätte es so nicht unbedingt gebraucht. Doch auch wenn Schwarzer Zucker, Rotes Blut so einzelne fragwürdige Passagen hat, ist das Ergebnis sehenswert. Er passt auch gut in eine Zeit, in der viele Menschen wieder die Vergangenheit zu verdrängen versuchen und es deshalb umso wichtiger ist, wenn manches nicht in Vergessenheit gerät.
OT: „Schwarzer Zucker, Rotes Blut“
Land: Deutschland
Jahr: 2024
Regie: Luigi Toscano
Drehbuch: Luigi Toscano
Musik: Mathias Kiefer, Andreas Viehöver
Kamera: Paul Götz, Nicolas Mussell, Oleksandr Zhuravsky, Denys Krasylnikov
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