Der Schock ist groß bei Claudia (Ángela Molina), als sie erfährt, dass sie einen unheilbaren Gehirntumor hat. Wie viel Zeit der 70-Jährigen noch bleibt, ist nicht ganz klar. Doch für sie steht fest, dass sie nicht bis zum Schluss warten will und lieber ihr Leben beenden möchte, solange sie noch die Kontrolle darüber hat. Ihr Mann Flavio (Alfredo Castro), mit dem sie ihr ganzes Leben verbracht hat, kann wiederum den Gedanken nicht ertragen, ohne sie weitermachen zu müssen. Also beschließen die beiden, gemeinsam in die Schweiz zu fahren, wo sie in einem Institut Selbstmord begehen können. Vorher wollen sie aber noch einmal ihre Familie sehen und organisieren deshalb eine zweite Hochzeitsfeier, wo sie ihre Liebe beschwören wollen. Ihre Tochter Violeta (Mònica Almirall) schöpft aber Verdacht und hat nicht vor, die beiden ohne Weiteres gehen zu lassen …
Eine Frage des Tons
Eigentlich gilt das Filmgenre des Musicals ja als altmodisch. Obwohl es in den letzten Jahren mehrere große Hits gab, distanzieren sich die Studios gern davon. Umso bemerkenswerter ist, dass 2024 eine ganze Reihe von Filmen herauskam, die Musik und Tanz auf ganz eigene Weise mit ihren Geschichten verbunden haben. Das bekannteste und kontroverseste Beispiel war sicherlich Joker: Folie à Deux, das aus dem Porträt eines gestörten Antihelden ein Gerichtsdrama mit Gesangseinlagen machte. Deutlich interessanter ist der furiose Thriller Emilia Pérez um einen Gangsterboss, der in Zukunft als Frau leben will, sowie Living Large über einen übergewichtigen Jungen – beide Werke wurden in den letzten Monaten von Festival zu Festival weitergeleitet. Und auch bei They Will Be Dust gab es bereits einen beeindruckenden Lauf.
Die Geschichte ist dabei eigentlich nicht ungewöhnlich. Filme über schwerkranke Menschen, die ihrem Leben ein Ende setzen wollen, hat es schließlich nicht eben wenige gegeben. Pedro Almodóvar wählte in seinem englischsprachigen Debüt The Room Next Door kürzlich ein ähnliches Szenario und wurde hierfür mit dem Goldenen Löwen belohnt. Auch die Sache mit dem letzten Treffen vor der finalen Tat ist Standard. Das geschieht in solchen Selbstmorddramen fast immer. Die sich daraus ergebenden Gespräche unterscheiden sich in They Will Be Dust nicht wirklich von dem, was man aus anderen Filmen geht. Da folgen Vorwürfe und ein Flehen, vielleicht aber auch Verständnis. Zu diesem Zweck baute Regisseur und Drehbuchautor Carlos Marques-Marcet schließlich drei Geschwister ein, die erwachsenen Kinder des Paares, die unterschiedlich auf die Situation reagieren.
Sehenswert
Aber da sind eben noch die musikalischen Momente, die immer wieder das Geschehen auflockern. Diese kommen aus dem Nichts, wirken in ihrer betont theatralischen Art wie ein Fremdkörper in dem ansonsten nüchtern gehaltenen Film. Und doch ist das Ergebnis sehr interessant. Nicht nur, dass die Passagen sehr kunstvoll ausgestaltet wurden und losgelöst von der Geschichte sehenswert sind. Sie dienen in They Will Be Dust auch der Darstellung der Emotionalität, werden zu einem Spiegel der Gefühlswelt der beiden Hauptfiguren. Man taucht als Zuschauer bzw. Zuschauerin in diese ein, versteht trotz der übertriebenen Art und der Theatralik die Menschen dahinter besser. Die Szenen halten dabei die Balance aus Distanz und Intimität.
Und doch wäre es nicht fair, den Film auf dieses „Gimmick“ reduzieren zu wollen. Tatsächlich wäre das Drama, das auf dem Toronto International Film Festival 2024 Premiere feierte, auch ohne diese Szenen sehenswert gewesen. Marques-Marcet und sein Drehbuchteam haben eine Familie mit komplexen Verhältnissen geschaffen, die angesichts des nahenden Todes noch einmal thematisiert werden. Und auch schauspielerisch überzeugt das. Vor allem Hauptdarstellerin Ángela Molina (Dieses obskure Objekt der Begierde) hinterlässt als in die Jahre gekommene Künstlerin, die das Leben liebt und deshalb den Freitod wählt, großen Eindruck. Aber auch das übrige Ensemble hat seinen Anteil daran, dass They Will Be Dust zu den spannendsten Beispielen innerhalb dieses Themensegments gehört.
OT: „Polvo serán“
Land: Spanien, Italien, Schweiz
Jahr: 2024
Regie: Carlos Marques-Marcet
Drehbuch: Carlos Marques-Marcet, Clara Roquet, Coral Cruz
Musik: Maria Arnal
Kamera: Gabriel Sandru
Besetzung: Ángela Molina, Alfredo Castro, Mònica Almirall, Batet, Patrícia Bargalló, Alván Prado
Toronto International Film Festival 2024
Zurich Film Festival 2024
Internationales Filmfestival Mannheim-Heidelberg 2024
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