Die Geschichte eines Kultur ist weit mehr als eine Sammlung von Aufzeichnungen, Daten und Fakten. Auch wenn viele dies aus dem Geschichtsunterricht mitnehmen, ist sie ein wichtiges Element für die kulturelle und politische Identität eines Landes. Von diesem Konzept weiß natürlich jeder Historiker, weshalb es umso wichtiger und bisweilen müßiger ist, jene Spuren der Vergangenheit zu finden, die uns Antworten geben können auf die Herausforderungen der Gegenwart und vielleicht auch die der Zukunft. In Togo ist das Finden dieser Spuren ein widersprüchlicher Akt, denn zum einen sind die Überreste der deutschen Kolonialherrschaft durchaus sichtbar, doch ihre Deutung ist eine ganz andere Angelegenheit, die nicht unbedingt motiviert wird durch das politische Regime des Landes. Aufzeichnungen wie die des Regisseurs Hans Schomburgk, der das Land 1913 bereiste und viele Filme dort machte, sind Beispiele für solche Zeugnisse, die unendlich wichtig sind für die Identität der Togolesen, aber ihnen weitgehend unbekannt sind.
Dies dachte sich auch Dokumentarfilmer Jürgen Ellinghaus, als er die Filme Schomburgks vor vielen Jahre zum ersten Mal sah. Die eigene Bildungsgeschichte hatte ihm zu diesem Zeitpunkt wenig über die Kolonialgeschichte Deutschland beigebracht, sodass der Film ihn, wie er selbst sagt, neugierig machte, mehr darüber zu erfahren, vor allem aber den Menschen in Togo Zugang zu diesen Bildern zu verschaffen. Sein Dokumentarfilm Togoland Projektionen ist eine Reise durch Togo oder vielmehr die Drehorte der Filme Schomburgks. Dort machen Elinghaus und sein Team Halt, um den Bewohnern eben jene Filme zu zeigen, den Diskussionen danach beizuwohnen und um einen Eindruck zu gewinnen, wie das politisch-kulturelle Klima des Landes heute ist.
Das Ergebnis ist vergleichbar mit einem Werk wie Mati Diops Dahomey, der einen ähnlichen Ansatz verfolgt und mittels einer kulturellen Ereignisses einen Blick auf die Wunden der Vergangenheit wirft, ebenso wie die Nachwirkungen der Geschichte auf die Gegenwart. Gemeinsam mit Ellinghaus macht sich der Zuschauer auf die Suche nach den Dingen, welche die Bilder Schomburgks verschweigen oder vielleicht nur andeuten, wie der Regisseur ganz zu Anfang seines Filmes erklärt.
Alte und neue Schmerzen
Natürlich ist sich Ellinghaus der Risiken bewusst, die sein Vorhaben mit sich bringt, wenn er davon spricht, dass die Bilder „alte Schmerzen“ wieder ans Licht bringen werden. Selbst das behutsame Vorgehen des Regisseurs und seines Teams kann nicht die teils sehr starken Reaktionen auf die Filme Schomburgks verhindern, die naturgemäß auch die pro-kolonialistische Denkweise widerspiegeln und alles, was dies mit sich bringt. Teils meinen Zuschauer gar, ihre Großeltern auf den Bildern zu erkennen oder können sich an Geschichten erinnern, die ihnen ihre Eltern erzählten von der harten Arbeit für die Kolonialherren, die harten Strafen, die karge Bezahlung (wenn es denn eine gab) sowie die hohen Steuern.
Ellinghaus versteht sich als Beobachter dieser Prozesse, was man an seinem ästhetischen Ansatz wiedererkennt, der die Bilder für sich sprechen lässt und stets auf den Vergleich bedacht ist zwischen dem Früher in den Filmen Schomburgks und der Realität, die seine Kamera einfängt. Zugleich fängt Togoland Projektionen die Debatten eines Landes ein, in dem die Nachbeben des Kolonialismus nach wie vor zu spüren ist, das aber zugleich nach vorne blicken will. Es sind diese nachdenklich stimmenden Momente und Ansätze, die Ellinghaus’ Dokumentation auszeichnen und einem hochkomplexen und -sensiblen Thema wie diesem gerecht werden.
OT: „Togoland Projektionen“
Land: Deutschland, Frankreich, Togo
Jahr: 2023
Regie: Jürgen Ellinghaus
Kamera: Rémi Jennequin
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