Ganz kampflos wollen die Aktivisten und Aktivistinnen den Wald nicht aufgeben, der gerodet werden soll. Doch die Protestaktion bleibt ohne nennenswerten Erfolg. Als die Polizei auftaucht, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als die Flucht zu ergreifen. Unter ihnen ist auch eine junge Frau, die ihr Gesicht hinter einer Angela-Merkel-Maske verbirgt. Tatsächlich gelingt es ihr, die Verfolger abzuhängen. Dabei stürzt sie jedoch in eine Schlucht und verletzt sich. Zu ihrer großen Überraschung trifft sie im Wald auf eine Gruppe von Menschen, die sich dort ein Leben aufgebaut haben und selbst Masken tragen. Anstatt die Neue aber mit offenen Armen zu empfangen, begegnen sie ihr mit Misstrauen. Am liebsten wären sie die Fremde gleich wieder los. Doch zu groß ist die Angst davor, dass sie die Gemeinschaft verraten könnte …
Die Frage der Identität
Wenn Omer Fast einen Film dreht, dann weiß man bereits, dass dabei etwas Eigenwilliges herauskommt. Remainder (2015) handelte von einem jungen Mann, der seine Erinnerungen verloren hat und mühselig seine Vergangenheit zu rekonstruieren versucht. In Continuity (2016) ging es um ein Paar, das seinen erwachsenen Sohn verloren hat, der im Anschluss von mehreren anderen jungen Männern verkörpert wird. Seither hatte der israelische Künstler keinen Film mehr herausgebracht. Umso größer durfte die Neugierde sein, wie sein dritter Spielfilm Abendland ausfallen würde, mit dem er sich nach acht Jahren Pause zurückmeldete. Das Ergebnis ist den vorangegangenen Werken durchaus ähnlich, ohne dabei zu einer bloßen Kopie zu werden.
So beschäftigen Fast nach wie vor Fragen rund um den Themenkomplex der Identität. Dieses Mal geht er sogar noch etwas weiter, indem er seinen Figuren einen Namen und ein Gesicht verweigert. Über die Protagonistin erfahren wir nichts, außer, dass sie als Aktivistin unterwegs war. Sie selbst wird nur nach ihrer Maske benannt. Wer in einem Film Identifikationsfiguren braucht, kann sich Abendland daher sparen. Leider bleibt das Thema über längere Zeit jedoch eine reine Randnotiz. Tatsächlich spannend wird es erst, als später eine zweite Frau hinzukommt, die ebenfalls eine Maske von Angela Merkel trägt und es irgendwann auch darum geht, das Leben der jeweils anderen übernehmen zu können. Das schreit irgendwie nach einer Verwechslungskomödie, trotz der Absurdität wird aber kaum Humor angewendet. Traditionelle Unterhaltung liegt Fast ja ohnehin fern.
Seltsam und irritierend
Tatsächlich dürfte bei vielen Irritation überwiegen, vielleicht auch ein bisschen Langeweile. Mit einer Laufzeit von knapp zwei Stunden ist Abendland nicht gerade kurz, vor allem angesichts der überschaubaren Handlung. Fast macht auch nie ganz klar, worum es ihm eigentlich geht. So baut er Themen ein, welche die Menschen in den letzten Jahren umgetrieben haben. Da gibt es deutliche Verweise auf Corona und die Flüchtlingskrise. Dass die Aussteigerkommune in dieser im Wald gelegenen Parallelwelt vor den realen Problemen geflohen sind, kann man aber nicht behaupten. Teilweise versuchen sie etwas Neues, indem sie sich von Hierarchien lösen. Vieles ist aber gleichgeblieben. Gut möglich, dass damit ausgedrückt werden soll, dass eine Flucht vor dem selbst keine Option ist. Ausformuliert wird das aber wie immer nicht.
Der Verzicht auf Individualität erinnert dabei an Schirkoa: In Lies We Trust vor einigen Wochen, wo die Menschen einer utopischen Gesellschaft Papiertüten über dem Kopf trugen und ihre Namen gegen Ziffern tauschten. Während dort aber ein Werk geschaffen wurde, das sich auch der Fantastik hergab und mit einer psychologischen Komponente arbeitete – was macht es mit einem, die eigene Identität zu unterdrücken? –, ist Abendland seltsam distanziert. Das macht es ein wenig schwierig, der Geschichte zu folgen, sofern man überhaupt von einer solchen sprechen mag. Aber es ist schon ein kurioses, nicht uninteressantes Werk, mit dem sich der Filmemacher zurückmeldet und erneut das Publikum herausfordert.
OT: „Abendland“
Land: Deutschland
Jahr: 2024
Regie: Omer Fast
Drehbuch: Omer Fast
Musik: Dirk Dresselhaus
Kamera: Lukas Strebel
Besetzung: Stephanie Amarell, Marie Tragousti, Sebastian Schneider, Ivy Lißack, Janina Stopper, Amon Wendel, Sebastian Schulze, Berna Kilicli, Benedikt Laumann, Milton Welsh, Susanne Bredehöft
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