Paris, 1920: General Sergei Pavlovich Bounine (Yul Brynner) lebt seit der Revolution in Russland wie viele andere auch im Exil, wo er früheren, besseren Zeiten hinterhertrauert. Da bietet sich ihm die Möglichkeit, vielleicht doch noch ein angenehmeres Leben zu erreichen, als er einer jungen Frau (Ingrid Bergman) begegnet. Denn die sieht der Großherzogin Anastasia, der totgeglaubten jüngsten Tochter des letzten russischen Zaren Nikolaus II., sehr ähnlich. Ob sie es wirklich ist, weiß aber niemand, nicht einmal sie selbst, da sie unter Amnesie leidet. Den Versuch wäre es aber wert, sie als Zarentochter anerkennen zu lassen, da ihr damit ein großes Vermögen zustehen würde. Um die Chancen zu erhöhen, beginnen Bounine und seine Männer, die junge Frau zu trainieren und alles über Anastasia zu lehren, was es zu wissen gibt. Dabei haben sie vor allem einen Menschen im Visier, den sie überzeugen müssen: Maria Fedorovna (Helen Hayes), die Mutter des Zaren …
Die Sehnsucht nach einem Wunder
Es gehörte sicher zu den großen Realmärchen des 20. Jahrhunderts. Als eine junge Frau in den frühen 1920ern behauptete, die russische Großfürstin Anastasia Nikolajewna Romanowa und als einzige dem Mord an der Zarenfamilie entkommen zu sein, klang das zu schön, um wahr zu sein. Seit einigen Jahren steht auch fest, dass es nicht die Wahrheit war, DNA-Tests haben das bestätigt. Seinerzeit fehlten aber die Möglichkeiten, das wissenschaftlich zu bestätigen, weder in die eine, noch in die andere Richtung. Das wiederum regte die Fantasie der Menschen an, die von einem unverhofften Happy End träumen wollten und einer Rückkehr zum alten Glanz. Mehrfach wurde die Geschichte zur Vorlage für Filme, einer der bekannteren ist Anastasia aus dem Jahr 1956.
Wobei das Drama sich nicht an die wahren Begebenheiten hält. Wo die Betrügerin ursprünglich in Berlin von sich reden machte, wo sie in einer psychiatrischen Anstalt war, wird die Protagonistin hier in Paris aufgegabelt. Die Geschichte rund um Bounine ist sowieso völlig erfunden. Grundlage des Films waren dann auch nicht die Ereignisse der damaligen Zeit, sondern ein 1952 veröffentlichtes Theaterstück von Marcelle Maurette und Guy Bolton. Dass Anastasia ursprünglich auf der Bühne zu Hause war, merkt man dem Ganzen auch an. Zwar hat Regisseur Anatole Litvak (Die Nacht der Generale, Du lebst noch 105 Minuten) die Vorlage etwas erweitert, die Ballszenen sollten für etwas mehr Augenschmaus sorgen. Die meisten Szenen bestehen aber darin, dass die beiden Hauptfiguren, wahlweise auch andere Zweierkonstellationen, irgendwo herumsitzen und sich unterhalten.
Mehr Gefühl als Tiefgang
Die Frage, ob die Unbekannte wirklich die Zarentochter ist, ist dabei erstaunlich nebensächlich. Natürlich wird darüber diskutiert, vor allem wenn die früheren Bekanntschaften und die Familie Anastasias hinzukommen. Aber eindeutig geklärt wird das im Film nicht, es gibt in beide Richtungen Hinweise. Grundsätzlich hätte sich das Thema auch angeboten, um ganz allgemein über das Thema Identität zu sprechen. Aber auch daran hatte man kein Interesse, ebenso wenig für gesellschaftliche oder politische Themen. Stattdessen befasst sich Anastasia primär mit der Gefühlswelt der Figuren. Da ist die Protagonistin, die sich danach sehnt, einen Ort für sich zu finden. Die Großmutter ist durch den schmerzhaften Verlust verbittert und versucht, ihr gebrochenes Herz hinter einer harten Fassade zu verbergen. Und selbst Bounine, der zunächst rein finanzielle Absichten verfolgt, entwickelt sich im Laufe der Zeit und sieht in der jungen Frau mehr als einen potenziellen Goldesel.
Aber auch wenn der Film nicht den Tiefgang hat, den er hätte haben können, ist er doch durchaus sehenswert. Es gibt schöne Settings, aufwendige Kostüme. Und dann ist da noch die prominente Besetzung. Ob Ingrid Bergman hierfür unbedingt einen Oscar als beste Hauptdarstellerin hätte bekommen müssen, darüber kann man sich streiten, zumal sie mit ihren 40 Jahren eigentlich viel zu alt war für die Rolle. Dafür hinterlässt Helen Hayes, die mit einem Altersunterschied von gerade einmal 15 Jahren die Großmutter spielte, als zynische Matriarchin Eindruck. Publikumsliebling Yul Brynner durfte in Anastasia seinen Charme ausspielen als Opportunist, der im Geheimen Gefühle für die Protagonistin entwickelt und erkennen muss, dass es Wichtigeres gibt.
OT: „Anastasia“
Land: USA
Jahr: 1956
Regie: Anatole Litvak
Drehbuch: Arthur Laurents
Vorlage: Marcelle Maurette, Guy Bolton
Musik: Alfred Newman
Kamera: Jack Hildyard
Besetzung: Ingrid Bergman, Yul Brynner, Helen Hayes, Akim Tamiroff, Martita Hunt, Felix Aylmer, Sacha Pitoëff, Ivan Desny
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
---|---|---|---|---|
Academy Awards | 1957 | Beste Hauptdarstellerin | Ingrid Bergman | Sieg |
Beste Musik | Alfred Newman | nominiert | ||
BAFTA | 1958 | Bestes Drehbuch | Arthur Laurents | nominiert |
Golden Globes | 1957 | Beste Hauptdarstellerin (Drama) | Ingrid Bergman | Sieg |
Beste Hauptdarstellerin (Drama) | Helen Hayes | nominiert |
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