Mit Menschen hat es die Witwe Anne (Meret Becker) nicht so wirklich. Kontakt zu den anderen in dem kleinen brandenburgischen Dorf hat sie nicht, weil sie sich weigerte, ihren Wald zu verkaufen, was man ihr bis heute übelnimmt. Zwar sind da vereinzelt Leute, die sie wieder integrieren wollen, darunter der Bürgermeister Holger (Florian Lukas) und Pastor Schlesinger (Camill Jammal). Doch Anne ist froh, wenn sie in Ruhe gelassen wird und niemanden sehen muss. Ihre Begeisterung hält sich dann auch in Grenzen, als eines Tages ihre Enkelin vor ihr steht, die 8-jährige Tilda (Luise Landau). Zumal sie mit deren Mutter Julia (Emma Bading) vor langer Zeit zerstritten hat, gesehen haben sie sich seit Jahren nicht mehr. Aber da Julia nun im Gefängnis sitzt, bleibt Anne nichts anderes übrig, als sich doch des Mädchens anzunehmen – was mit vielen Veränderungen einhergeht …
Wohin mit dem Kind?
Sie finden sich immer wieder im Dramabereich: Geschichten um Menschen, die ein verwandtes Kind bei sich aufnehmen müssen. Meistens ist das die Folge eines Todesfalls. Bei Manchester by the Sea verliert der Protagonist seinen Bruder und soll sich anschließend um dessen Sohn kümmern. Scrapper wiederum handelte von einem Mädchen, das nach dem Tod der Mutter bei ihrem Vater landet, den sie bis zu dem Zeitpunkt gar nicht kannte. Familie is nich geht da zwar in eine etwas andere Richtung, wenn die Mutter nicht stirbt, sondern „nur“ im Gefängnis landet. Das Prinzip ist aber ähnlich, wenn die Großmutter eine ungewohnte Verantwortung übernehmen muss und zumindest anfangs nicht in der Lage ist, dieser gerecht zu werden. Und das eigentlich auch gar nicht will.
Das wird sich im Laufe der Zeit natürlich ändern. Wenn bei solchen Filmen zwei Menschen zunächst miteinander fremdeln, ist das nur eine anfängliche Momentaufnahme. Sinn und Zweck ist es schon, dass die Leute zusammenfinden und zu einer Gemeinschaft werden. Familie is nich verbindet das mit einer allgemeinen Öffnung der Protagonistin. Denn die hat sich schon länger abgekapselt, physisch wie emotional. Seit dem Tod ihres Mannes ist da niemand mehr, den sie an sich heranlässt. Wenig überraschend führt die Begegnung mit der Enkelin dazu, dass Anne das überdenkt und lernt, wieder andere in ihr Leben zu lassen. Das fällt ihr schwer, die Einsiedlerin will und kann nicht nett sein. Aber man ist ja nie zu alt, um noch dazuzulernen, zumindest erste kleine Schritte sind am Ende gemacht.
Nicht originell, aber nett
Das ist alles nicht originell, Drehbuchautorin Andrea Deppert (Latte Igel und der magische Wasserstein) versucht nicht einmal, diesen Konventionen neue Seiten abzugewinnen, weder bei der Handlung noch der Figurenzeichnung. So ist Anne letztendlich nicht mehr als ein wandelndes Klischee. Bei den anderen sieht es nicht besser aus, wirkliche Charaktereigenschaften sind rar gesät. Die Darstellung des Dorfes ist bei Familie is nich auch nicht interessanter geworden. Der originellste Einfall ist noch eine Art Western-Jahrmarkt, den man aufgebaut hat. Ansonsten folgt das Drama so vielen ausgetretenen Pfaden, dass man zwischendurch gar nicht mehr genau sagen kann, welchen Film man sich da eigentlich anschaut, so austauschbar ist das geworden.
Und doch ist das Ergebnis alles andere als schlecht. Beispielsweise holt das Ensemble einiges aus dem Stoff heraus, vor allem Meret Becker ist für die Besetzung der mürrischen Außenseiterin eine gute Wahl. Dann ist das Setting ganz nett geworden. Außerdem tut die versöhnliche Stimmung gut, wenn bei Familie is nich alte Gräben überwunden werden, die Menschen wieder miteinander sprechen und sich das eine oder andere Lächeln in die Gesichter schleicht. Der Eröffnungsfilm vom Festival des deutschen Films 2024 ist eines dieser Werke, die man sich anschauen kann, um wieder mehr Zuversicht in seine Mitmenschen zu gewinnen. Dass er kurz vor Weihnachten das erste Mal im Fernsehen ausgestrahlt wird, überrascht da nicht sonderlich. Dabei wird aber auf Kitsch verzichtet und darauf vertraut, dass das Publikum auch ohne mitzieht – was bei vielen der Fall sein dürfte.
OT: „Familie is nich“
Land: Deutschland
Jahr: 2024
Regie: Nana Neul
Drehbuch: Andrea Deppert
Musik: Can Erdogan, Beat Solèr
Kamera: Bernhard Keller
Besetzung: Meret Becker, Luise Landau, Florian Lukas, Emma Bading, Banafshe Hourmazdi, Camill Jammal, Steffi Kühnert, Anita Vulesica
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